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Bald Pfleger aus Mexiko in Sachsens Heimen

Im Ausland werden für sächsische Firmen Fachkräfte gesucht. Vermittlungen sind selten. Es gibt vier Hürden.

Von Nora Miethke
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Fast zehn Monate hat es gedauert, bis die von Sebastian Merle (M.) geworbenen Pflegekräften in Riesa anfangen konnten.
Fast zehn Monate hat es gedauert, bis die von Sebastian Merle (M.) geworbenen Pflegekräften in Riesa anfangen konnten. © Christian Juppe

Im Aufenthaltsraum im ersten Stock des Seniorenzentrums Elbharmonie in Riesa herrscht lebhaftes Stimmengewirr. Elf Frauen und vier Männer, alle schwarzhaarig, sitzen in blauen Ohrensesseln, rufen sich irgendwelche Worte zu und wenden dabei kleine Kärtchen in den Händen um. Es sind die ersten 15 Pflegekräfte aus Mexiko beim Vokabeltraining, die die Azurit-Gruppe für ihre mehr als 70 Senioren- und Pflegezentren in Deutschland angeworben hat.

Am 1. November haben Heimleiter Stefan Lux und sein Team die Mexikanerinnen und Mexikaner am Bahnhof abgeholt. 16 Stunden Anreise von Mexiko-City bis nach Riesa lagen hinter ihnen. „Das war ganz emotional. Sie sind uns in die Arme gefallen und waren so glücklich, hier zu sein“, sagt Lux. Es folgten ein erstes gemeinsames Abendessen und der Hausmeister erklärte, wie die Fenster zu öffnen und die Toiletten zu bedienen sind. Denn da gibt es doch einige Unterschiede zwischen Sachsen und Mexiko.Die größte Freude war, dass alle ein eigenes Zimmer bekommen haben. „Das ist so schön. Wir dachten, wir müssen uns das Zimmer teilen“, sagt Lizeth in noch holprigem Deutsch und strahlt dabei. Das Seniorenheim wurde erst im vergangenen August eröffnet, die 138 Plätze noch nicht belegt, also genügend Platz, um die mexikanischen Pflegekräfte zwischen 28 und 41 Jahren im Wohnbereich unterzubringen.

„Die Menschen sind hier so freundlich und höflich zu uns“, sagt die 28-jährige Lizeth. Die anderen nicken zustimmend. Am dritten Tag war die Gruppe schon in der Diskothek und eroberte nicht nur die Tanzfläche mit Salsa. Die jüngeren Mexikanerinnen hatten am Ende des Abends alle eine Einladung von Männern zum Date. „Wir planen lange zu bleiben, wenn wir die Chance dazu haben“,betont Lizeth. Sie ist diejenige, die sich am meisten traut, Deutsch zu sprechen.

Der Weg nach Riesa war lang und kostete viel Herzblut. Drei Frauen sind Mütter, sie werden ihre Kinder erst wieder sehen können , wenn die rechtliche Vollanerkennung ihres Berufsabschlusses stattgefunden hat. Vor September 2019 wird das vermutlich nicht der Fall sein, meint Sebastian Merle. Der Teamleiter für den Internationalen Personalservice (IPS) bei der Landesarbeitsagentur in Dresden hat die 15 Pflegekräfte in Mexiko angeworben und nach Riesa gebracht. Zehn Monate dauerte das.

Warum nehmen sie das auf sich? Die Lebensbedingungen hätten sich in Mexiko stark verschlechtert, doch die Bereitschaft zum Auswandern in die benachbarten USA sei unter Präsident Trump erheblich gesunken, hat Merle festgestellt. Und Deutschland bietet „Sicherheit, Lebensqualität, Sauberkeit und eine bessere Bezahlung“, zählen die Mexikaner auf. Die 15 werden während ihrer Ausbildung zur Pflegefachkraft als Pflegehelfer und -helferinnen bezahlt. Sie bekommen laut Lux den Mindestlohn Pflege Ost, der bei 10,55 Euro liegt. Damit werden sie in einer Woche etwa so viel verdienen wie in Mexiko in einem Monat bei sechs Tagen Arbeit.

Sachsen braucht bis zum Jahr 2022 rund 15 000 zusätzliche Pflegekräfte. Doch frei verfügbare sind auf dem sächsischen Arbeitsmarkt nicht zu finden. Deshalb schaltete Azurit den IPS ein. Er sucht ausländische Fachkräfte, die im Ausland leben. Sebastian Merle und sein siebenköpfiges Team orientieren sich dabei am Engpaß der Bundesagentur für Arbeit, also an Berufen, wo offene Stellen nicht durch deutsche Arbeitskräfte besetzt werden können. Die größten Engpässe sind bei Pflegekräften und Ärzten, IT-Experten und Ingenieuren, Handwerkern und Fachkräften für das Baugewerbe. Im Unterschied zu den akademischen Berufen sei die Suche nach Handwerkern und Baufachkräften sehr kompliziert, da die Voraussetzungen oft nicht erfüllt werden könnten, so Merle

Das Beispiel der mexikanischen Pflegekräfte zeigt, dass Ängste vor dem massenweisen Zustrom ausländischer Arbeitnehmer unbegründet sind. Denn es gibt viele Hürden zu überwinden, um in Deutschland arbeiten zu können. Und dann gibt der Arbeitsvermittler einen Grundkurs in Zuwanderung 4.0.

Erste Hürde - Positivliste: 

Kommen dürfen nur Fachkräfte, deren Berufe auf der sogenannten Positivliste stehen. Das sind gegenwärtig 38 Berufsgruppen aus dem Gesundheitsbereich, der Fahrzeug-, Luft- und Schiffsbautechnik. Berufe der Klempnerei, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Grundlage der Liste ist die aktuelle Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit.

Zweite Hürde - Berufsabschlüsse:

Kommen dürfen nur Fachkräfte mit einer nachweisbaren Berufsqualifizierung. Doch in den meisten Drittstaaten gibt es keine duale Ausbildung, oft nur eine akademische Ausbildung an Universitäten und das auch für Berufe, die in Deutschland klassische Lehrberufe sind. Damit würden die Menschen hierzulande unter ihrer Qualifikation arbeiten, was auch nicht erlaubt ist. Bei den Pflegekräften gibt es eine Ausnahme. Mexiko hat eine nationale Berufsschule, deshalb bietet sich das mittelamerikanische Land als Partner an.

Die Berufsabschlüsse müssen geprüft sein. Dafür sind acht Dokumente einzureichen, die übersetzt und beglaubigt werden müssen, angefangen bei der Geburtsurkunde, der Berufserlaubnis aus Mexiko, dem Diplom mit der Auflistung bestandener Fächer und der genauen Angabe an absolvierten praktischen und theoretischen Stunden in den aufgelisteten Fächern. Und zum Schluss noch eine Bescheinigung, das mindestens ein Jahr in dem Beruf gearbeitet wurde. Da es in Mexiko für die Übersetzung nur eine zugelassene Übersetzerin gibt, hat Merle die Dokumente in Deutschland von zehn Übersetzungsbüros übersetzen lassen. Der ganze Prozess kostet ungefähr 600 Euro pro Arbeitskraft Geld, das ausländische Pfleger und Handwerker nicht haben. Auch ein Grund, warum die Zuwanderung von berufsqualifizierten Drittstaatlern kaum stattfindet.

Dritte Hürde - Sprachkenntnisse: 

Die Jobbewerber müssen Deutsch können. Aber die Arbeitsagentur darf keine Deutschkurse außerhalb der EU finanzieren. Das müssen die künftigen Arbeitgeber übernehmen. Die 15 Pflegekräfte aus Mexiko besuchten von Mai bis Ende Oktober im Mexiko-City einen Deutschkurs, acht Stunden pro Tag und bezahlt von Azurit. Dafür mussten einige in die mexikanische Hauptstadt umziehen und den Lebensunterhalt in dieser Zeit aus ihren Ersparnissen bestreiten..

Vierte Hürde - Anerkennungsverfahren: 

Im Bereich der reglementierten Berufe benötigen ausländische Fachkräfte die Anerkennung des ausländischen Abschlusses. Sollte die zuständige Anerkennungsstelle eine Teilanerkennung feststellen, dann legt sie auch gleich fest, in welcher Form diese Defizite nachgeholt werden müssen. Der Aufenthaltstitel nach §17a Beschäftigungsverordnung ermöglicht Drittstaatlern einen Aufenthalt, um diese schulischen oder berufliche Defizite auszugleichen. Die mexikanischen Pflegekräfte werden im kommenden März ihre Ausbildung zur Fachkraft beginnen. Bis dahin absolvieren sie noch vier weitere Monate in Riesa einen Deutschkurs. Ihr Aufenthaltsstatus ist in dieser Zeit in Paragraf 16b geregelt. Er erlaubt keine Erwerbsarbeit, aber der Lebensunterhalt von 800 Euro im Monat muss gesichert sein. Das übernimmt der Arbeitgeber, in dem er für Unterbringung und Verpflegung sorgt.

Zur Ausbildung werden die 15 auf verschiedene Azurit-Heime aufgeteilt werden. Lux hofft, das zwei Mexikaner in Riesa bleiben können. Die ersten Kontakte zu den Patienten sind bei den gemeinsamen Mahlzeiten schon geknüpft worden. Weihnachten steht vor der Tür, da lassen sich schöne Aktivitäten planen. Aber erst einmal plant Lux eine mexikanische Nacht für Bewohner und Pfleger. Denn auf die Frage, was sie bislang am meisten vermissen ? Die Familie? Das warme Wetter?, meint der 27jährige Octavio Trejo: „Ich vermisse die Tacos“.