Von Bettina Klemm
Die Szene hat ihr eigenes Lied. Der Titel heißt: „100 Prozent Mensch“, der während des Christopher Street Days am Wochenende immer wieder über den Altmarkt schallte. 31 Künstler haben sich auf Initiative des Komponisten und Musikkabarettisten Holger Edmaier zusammengefunden, um gemeinsam ein Lied gegen Homophobie und für Menschenrechte zu singen. Begeistert bewegt sich Wolle Förster im Takt. „Endlich mal was Fetziges“, sagt er. Er hat kleine Kärtchen spendiert, mit denen die Veranstalter auffordern, den Titel zu downloaden, um ihn so in den Charts zu puschen. Wolle Förster ist mit der Veranstaltung mehr als zufrieden. Früher habe es in Dresden meist nur einen wenig beachteten Umzug gegeben. Doch nun habe Organisator Ronald Zenker das „lahmarschige“ Dresden auf Trab gebracht, sagt er.
„Wir sind ganz normal“
Diesmal haben die Organisatoren den Altmarkt gleich von Freitag bis Sonntag reserviert. Lesben, Schwule und Transsexuelle machen Krach, um auf sich aufmerksam zu machen. „Wir fordern eine hundertprozentige Akzeptanz, alle Rechte, wie für andere Menschen auch“, erklärt Ronald Zenker. Mit dem Fest wollen sie mit den Dresdnern ins Gespräch kommen und signalisieren: „Wir sind normal.“ Vieles sei in den vergangenen Jahren schon erreicht worden, aber eben noch keine völlige Gleichbehandlung. Zenker, der einst in einer „klassischen Familie“ und nun mit Mann und Tochter zusammenlebt, war 2007 zum ersten Mal zum Christopher Street Day (CSD) nach Dresden gekommen – und bitter enttäuscht. In Wien, wo er damals lebte, hatte er ganz andere Erfahrungen gemacht. Als der Dresdner CSD-Verein 2011 vor dem Ruin stand, übernahm Zenker, der nach Hause zurückgekehrt war, den Vorstand. Statt elf Mitglieder gibt es jetzt etwa hundert, die sich um das Fest kümmern.
Und ihr Konzept geht auf. So sind nahezu alle Parteien auf dem Altmarkt und auch mit Grußworten auf der Bühne vertreten gewesen. Zur Parade am Sonnabend waren mehr als 6 000 Teilnehmer dabei, dreimal so viele, wie im Jahr zuvor. „Im nächsten Jahr haben wir 10 000 drauf“, sagte Holger Edmaier, der auch als Moderator durch das Bühnenprogramm führte.
Das Outing ist nicht nur für die Betroffenen schwer. Wie gehen Eltern damit um? „Wir hatten einst zwei Töchter, jetzt haben wir zwei Söhne“, erzählt Holger Klotzsche. Der 72-Jährige kennt die Sorgen der Eltern. Vor zehn Jahren hat der Computertechniker einen Verein und eine Beratungsstelle gegründet. Einmal im Monat können sich betroffene Eltern in der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen – kurz KISS – des Dresdner Sozialamtes treffen und austauschen. Zum Christopher Street Day verteilen Klotzsche und seine Mitstreiter, die im Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen der Homosexuellen organisiert sind, Info-Blätter „Wie sag ich´s meinen Eltern“ sowie Broschüren für die Eltern.
Bei der Vorbereitung für den CSD erfahren Zenker und seine Mitstreiter im Hintergrund viel Unterstützung vom Büro der Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU). Auch wenn es nicht möglich war, die Regenbogenflagge als Symbol des CSD vor dem Rathaus zu hissen, so habe doch die Stadt ein Hochhaus zur Verfügung gestellt. „Obwohl Dresden CDU-regiert ist, haben wir viel mehr Freiheiten als andere Vereine in Städten, in denen die SPD das Sagen hat“, sagt Zenker. Deshalb hat der CSD gestern auch der Oberbürgermeisterin einen Preis für Toleranz überreicht.
Die Laudatio hielt David Berger. Der 46-jährige Chefredakteur des Magazins ,Männer‘ war einst als Professor beim Vatikan tätig. Solange er seinen Partner als Cousin ausgegeben hatte, schien in Rom alles bestens zu funktionieren. „Aber der Druck war extrem groß: Du bist schwul, also musst du besonders loyal sein.“ Berger hielt es nicht aus und outete sich 2010. Schließlich trennte er sich auch von der katholischen Kirche. Nun sei er gefragt worden, ob er verrückt sei, für eine CDU-Politikerin eine Laudatio zu halten. Schließlich gehöre die CDU zu den Parteien, die bremsen, wenn es um die völlige Gleichheit von Homosexuellen geht. „Aber Frau Orosz hat sich immer für den CSD eingesetzt, so konnte das großartige Fest entstehen“, sagt er. Das sahen Teilnehmer anders, sie hielten während der Rede Protestplakate hoch.