Zweieinhalb Minuten bis zum Mittagessen

Am Montag waren es 62 Portionen, die Mario Roscher beim "Essen auf Rädern" in Görlitz-Königshufen bei der Nord-Tour an den Mann oder die Frau gebracht hat. Gekocht wird es in der Küche des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Königshufen.
Bevor die Essen ausgefahren werden, helfen sich die Ausfahrer gegenseitig beim Beladen ihrer Fahrzeuge. Roschers allererstes Ziel ist das Carolinum, ein betreutes Wohnen der Caritas, in Görlitz-Rauschwalde. Dann beginnt die "Nordtour", vorrangig durch Königshufen. Der erste Besteller bekommt sein Essen beim Tourstart 10.30 Uhr.
"Naja, das ist einfach, er wohnt gleich gegenüber vom Fahrdienst in der Lausitzer Straße", erklärt der 33-Jährige, der beim DRK-Fahrdienst arbeitet. Der letzte hatte seine Mahlzeit 12.55 Uhr. "Die ist immer noch heiß, denn bis zu sechs Stunden hält das spezielle, vorgewärmte Keramikgeschirr und der Spezialbehälter, ein sogenannter Thermoport, die Temperatur", erklärt der Ausfahrer.
Rund 12.000 Schritte legte Mario Roscher allein beim Essen austeilen an diesem Montag zurück. Gezählt hat er sie selbst nicht, "dafür gibt es Schrittzähler", erklärt der Mann und betont, dass er wegen der vielen Treppen wahrlich nicht ins Fitness-Studio müsse. Etliche der Senioren, die er beliefert, wohnen im vierten oder fünften Stock. An diesem Montag dauerte das Ausfahren ein klein bisschen länger als sonst, denn Mario Roscher lieferte gleichzeitig den neuen Speiseplan mit aus und warb einen neuen Kunden für das "Essen auf Rädern". "Da gibt es natürlich einige Fragen zu beantworten", erklärt er.
Durchschnittlich 2,5 Minuten benötigte der DRK-Mitarbeiter am Montag für jede Essenausgabe. Eigentlich bräuchte er viel mehr Zeit. Denn häufig wird der 33-Jährige angesprochen und zu einem kleinen Plausch eingeladen. Doch den lehnt Roscher ab, vor allem jetzt in Coronavirus-Zeiten. Viele Senioren leben allein und sind erfreut, mal wieder jemanden zu sehen und möchten gern auch mal reden.
Den Dank fürs Essen und die Zufriedenheit mit Qualität, Menge und Geschmack des Essens nimmt er gern mit. Aber Roscher hat wenig Zeit. Er muss weiter zum nächsten Essenbesteller. Der wartet schon: auf die Mahlzeit und vielleicht auch auf eine kurze Begegnung in Zeiten, in denen überhaupt keiner mehr zu Besuch kommt.
Immer mehr Essen auf Rädern
Es werden immer mehr Essen auf Rädern, die das DRK verteilt. Senioren, die bislang täglich den Gang in den Speisesaal des DRK-Altenheimes in Königshufen absolvierten, bleiben jetzt lieber zu Hause. Es heißt Abstand halten, persönliche Kontakte einschränken. Auf ihr Mittagessen wollen sie aber nicht verzichten und bestellen es daher nach Hause. Andere Senioren melden sich neu beim DRK-Essen an, weil sie in dieser Corona-Zeit so wenig wie möglich aus der Wohnung wollen. Der DRK-Fahrdienst bringt die Mahlzeit.
Derzeit sind es täglich etwa 400 Essen auf Rädern, die Mario Roscher und noch etwa 16 weitere DRK-Mitarbeiter und Ehrenamtliche im Görlitzer Stadtgebiet und im Umland ausfahren. Vor etwa vier Wochen waren es noch um die 320 jeden Tag. Bis nach Reichenbach, Meuselwitz und in weitere Orte in dieser Gegend wird das Essen gebracht auf der sogenannten "Meuseltour". Die "Landtour" umfasst Orte wie Horka und Ludwigsdorf. "Tendenz steigend", bestätigt DRK-Vorstand Rüdiger Neumann. Die DRK-Küche hat die Kapazitäten.

Jetzt mehr Distanz
Mario Roscher macht es viel Spaß, täglich das Essen zu den Menschen zu bringen. Eigentlich sind ihm die Kontakte zu den Senioren wichtig, aber die schränkt er derzeit ein. "Ich habe das Gefühl, sie haben den Ernst der Lage begriffen, sind aber trotzdem unaufgeregt", erzählt er. Manche wollen das Essen nur vor die Tür gestellt haben, bei anderen gibt er es ab und geht. "Alles mit Abstand", betont Roscher. Desinfektionsmittel hat er im Auto und benutzt es regelmäßig.
Vor etwa zwei Jahren wies ihn seine beste Freundin darauf hin, dass der DRK-Fahrdienst Leute sucht. Seitdem ist Mario Roscher dabei. "Ich hätte früher nicht gedacht, dass ich mal helfe, Älteren den Alltag zu gestalten", sagt der gelernte Straßenbauer. Darüber habe er sich früher überhaupt keine Gedanken gemacht. Heute sieht er seine Arbeit mit den Augen eines Helfers, der für andere da ist.
Und er fühlt sich wohl dabei. Auch wenn der Arbeitstag außer Essen ausfahren noch andere Aufgaben für ihn bereithält. Da sind die verschiedenen Fahrdienste, Autopflege, Werkstattfahrten und anderes. Die Fahrten unter anderem für die Jahnschule zum Beispiel fallen derzeit weg, diese Schule ist wie alle anderen auch geschlossen.
Helfer benötigt das DRK übrigens gerade jetzt auch. Hier kann man seine Hilfe für Wohlfahrtsorganisationen wie das DRK anmelden.
Nicht gleich hupen!
Mario Roscher hätte auch nicht gedacht, dass manchmal so viel Ungeduld bei Autofahrern in Görlitz herrscht. DRK-Vorstand Neumann kann das bestätigen. "Unsere Essenausfahrer müssen manchmal in zweiter Reihe parken, um das Essen zum Besteller zu bringen", erklärt er. Das dauert jeweils nur zwei, drei Minuten. "Aber häufig erwartet unseren Fahrer dann ein Hupkonzert", bedauert Neumann. Mehr Unaufgeregtheit wäre auch hier schön, jetzt und später, wünscht sich der DRK-Vorstand.
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