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20 Jahre hin- und hergerissen

Das Dresdner Societätstheater feiert Jubiläum. Seine Geschichte ist die einer Suche nach einer Rolle in der Stadt – oder zwischen ihren Teilen.

Von Marcel Pochanke
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Aufmerksamkeit für das entstehende Theater wollten diese Künstler mit ihrer Aktion 1997 erregen – dort, wo sich heute die Künstlergarderoben befinden. Am 19. Februar 1999 eröffnete dann das Socie.
Aufmerksamkeit für das entstehende Theater wollten diese Künstler mit ihrer Aktion 1997 erregen – dort, wo sich heute die Künstlergarderoben befinden. Am 19. Februar 1999 eröffnete dann das Socie. © Theater

Die FAZ lobte das Stück, das Hamburger Abendblatt schrieb von einem „darstellerisch fesselnden, die Nerven blank legenden Theater. Gilla Cremer gastierte mit ihrem Ein-Personen-Drama „Vater hat Lager“ auch im Dresdner Societätstheater neben der Dreikönigskirche. Aber der kleine Saal war nicht annähernd zur Hälfte gefüllt. Das war im November 2000. 

Das Societätstheater war da eineinhalb Jahre alt, wieder gegründet von Enthusiasten, die das Gebäude in den 80er-Jahren vor dem Abriss bewahrt hatten. Und das junge Haus, beheimatet im ältesten noch genutzten Theaterbau der Stadt, hatte offenkundig ein Problem, Qualität und Publikumszuspruch zueinanderzubringen.

Am Wochenende feiert das Theater 20. Geburtstag. Auf dem Weg dahin musste es sich neu erfinden. Und eigentlich tut es das mit jeder Inszenierung. Die Spielpläne, die Geschäftsführer Andreas Nattermann gemeinsam mit Programmleiterin Brit Magdon erstellt, sind Gratwanderungen – kaum ein anderes Dresdner Theater muss so widerstreitenden Anforderungen entsprechen und das mit einem recht übersichtlichen Budget: Auf 870 000 Euro im Jahr ist der städtische Zuschuss 2018 gestiegen, es war nach 2017 die zweite Erhöhung der Mittel seit dem Bestehen des Hauses.

Manchmal fehlt Schmuddel-Charme

Bis ins Jahr 1779 reicht die Geschichte des Theaters zurück, das ein Bürgerverein, also eine Societät von Theaterliebhabern, gründete. Das Haus wurde um 1740 von einem Regierungskanzlisten August des Starken errichtet. Stolz wirbt das Theater im Eingangsbereich damit, das älteste Dresdens zu sein. Zugleich, das räumt Andreas Nattermann freimütig ein, mache es das Image nicht leichter, ein neues, junges Publikum anzulocken und die Bühne als den durchaus experimentellen Ort zu vermarkten. 

Der Societät aus dem 18. Jahrhundert verdankt das Haus seinen Namen – manchmal sei es eine Hypothek, sagt Brit Magdon: Der Name verströme eher eine elitäre denn eine einladende Aura. Diskussionen um eine Umbenennung habe es gegeben, die seien nun vom Tisch. Nach 20 Jahren will und muss das Theater sein Ringen um Identität und einen Ort in der Dresdner Kulturlandschaft nicht verbergen. Zwischen Neustadt und Barockviertel – die Lage des Hauses ist vielsagend. Die Theatergänger aus der Neustadt sollen angezogen werden von wagemutigen Truppen wie Cie. Freaks und Fremde oder der guts company. Klar ist aber auch, dass dem denkmalgerecht sanierten Haus der schmuddelige Charme einer subversiven Kultur fehlt.

Und dann sind da die eher gediegenen Theatergänger, ein Stammpublikum, das sich Klassiker wünscht. Kafka, Kehlmann, Hesse sind Autoren im aktuellen Spielplan, auf deren Zugkraft Verlass ist. Auch wenn sich jedes Haus ein „junges Publikum“ erträumt und Andreas Nattermann betont, dass dieses, auch dank der freien Companys, zahlreich komme: Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) erklärt ganz bewusst, dass nicht zuletzt angesichts der Demografie auch ein Publikum 50 plus zu bedenken ist. Und das seinen Platz im Socie haben soll. Für dieses ist zwar kulturell allerhand los, aber auch mal abseitiges, zeitkritisches und anspruchsvolles Theater gibt es nicht allzu üppig.

Überhaupt die freie Szene. Sie bekommt im Socie nunmehr etwas, das in den Anfangsjahren strikt ausgeschlossen war: Das Theater beteiligt sich an der Produktion. Zwischen 7 500 und 10 000 Euro gibt es. Geld, das die Künstler in Bühne, Musik oder Technik stecken können. Dazu kommt die Auftrittsgage, keine, um reich zu werden, aber auch eine, die „fair“ ist. 

Was man dann dafür bekommt, bleibt freilich eine kleine Wunderkiste. Darin liegt eine Stärke. Die Produktionen des Haues bergen enormes Überraschungspotenzial, in alle Richtungen. Indes wünscht sich Andreas Nattermann noch mehr Neugier von seinen Besuchern, mal etwas anzuschauen, von dem nicht gleich klar ist, was da kommt. Klar ist auch noch nicht, wer nach Nattermann kommt. Der Geschäftsführer geht im kommenden Jahr in den Ruhestand, ein Jahr später als vorgesehen. Das Jubiläumsjahr bekam er gewissermaßen obendrauf. Zeit für die Stadt, einen Nachfolger zu suchen, aber auch ein Dank dafür, das Haus in eine stabile Position gebracht zu haben. Auf 15000 Zuschauer im Jahr war der Zuspruch 2005 zurückgegangen, inzwischen sind es um die 25000. 

An der Zukunft des Theaters wird auch im Jubiläumsjahr prinzipiell nicht gerüttelt. Als „I-Tüpfelchen“ in der Dresdner Bühnenlandschaft sieht es Kulturbürgermeisterin Klepsch, aber auch Gottfried Ecke, der kulturpolitische Sprecher der CDU, gibt auf Nachfrage ein klares Bekenntnis zum Socie ab. Dieses beschränkt sein Wirken längst nicht mehr auf das alte Haus an der Hauptstraße. Neben Kooperationen mit freien Gruppen, die anderswo proben und auftreten, engagiert sich das Theater seit 2017 in Prohlis. Durch kulturelle Aktivitäten dem allgemeinen Rückzug ins Private entgegenzuwirken, kein geringerer ist der Anspruch des Projekts „Zu Hause in Prohlis“. Ein mutiger Weg, denn es gilt vor Ort einige Skepsis zu überwinden. Und es kostet Geld aus dem Etat des Hauses. Ein Zeichen des Erfolgs: Vor wenigen Tagen hat der Stadtrat dafür 33000 Euro extra bewilligt.

Gastspiele gehen in Festivals auf

Zurückgefahren wurden aber die Gastspiele. Damit korrigierte Nattermann einen Weg, den das Haus am Anfang einschlug. Es war einfach zu schwer, genug Aufmerksamkeit zu bekommen. Zudem ist die Bühne nicht sehr flexibel. Klar sei das auch ein Verlust, sagt Brit Magdon. Damit sei auch die anfängliche Vernetzung mit anderen Theatern im In- und Ausland wieder rückläufig geworden. Gastspiele werden jetzt vor allem in Festivals konzentriert, um ihnen Aufmerksamkeit zu sichern. Das nächste ist im Herbst geplant.

Zunächst aber wird gefeiert. Am Freitag lassen Cie. Freaks und Fremde 20 Gäste, die das Haus geprägt haben, künstlerisch aufeinanderprallen. Es folgt am Sonnabend die große Party mit Tanzen, angekündigtem Schwelgen in Erinnerungen und Programm auf zwei Bühnen.

Übrigens führt Gilla Cremer „Vater hat Lager“, das eingangs erwähnte Stück, nach wie vor auf Deutschlands Bühnen auf. Und Cremer selbst ist am kommenden Mittwoch wieder im Socie. Sie zeigt „Die Dinge meiner Eltern“. Möge der Saal dann voll sein, das Stück verdient es. Toi, toi, toi.

Das Jubiläum: Zwanzig Jahre – Twenty Years: Cie. Freaks und Fremde und Geburtstagsgäste, Freitag, 20 Uhr

Geburtstagsparty: 20 Jahre Societätstheater, Sonnabend, 20 Uhr. Kartentel. 0351/8036810.

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