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25 Beamte für eine Zierpflanze

Die Polizei durchsucht mit großem Aufgebot ein alternatives Hausprojekt in Görlitz. Danach verschließt sie die Haustür.

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© Pawel Sosnowski

Von Ingo Kramer

Freitagmorgen, 7.45 Uhr. 25 Polizeibeamte treffen am linksalternativen Hausprojekt in der Hospitalstraße 30 ein. Grund ihres Einsatzes ist eine Anzeige: An einem Fenster des Hauses hat ein Anwohner eine vermeintliche Cannabispflanze entdeckt. Kurz darauf stehen die Beamten in der betreffenden Wohnung. Cannabis finden sie dort nicht, das Gewächs stellt sich als gewöhnliche Zierpflanze heraus, eine handelsübliche Strahlenaralie. Um 8.19 Uhr ist der Einsatz beendet, die Beamten tauschen das Schloss der Haustür aus, verschließen es und verschwinden wieder.

Bis zu diesem Punkt decken sich die Angaben von Polizeisprecher Thomas Knaup und Claudia Szabo vom Haus-und-Hof-Verein, dem Vermieter der Hospitalstraße 30. Und doch bleiben viele ungeklärte Fragen zu dem Einsatz, der sich bereits am 22. Juli ereignet hat. Vor allem die nach der Verhältnismäßigkeit: Warum schickt die Polizei 25 Beamte, weil in einem Fenster eine Pflanze gesichtet wurde? Polizeisprecher Knaup hat eine wenig konkrete Erklärung: „Die Polizei wählt für ihre Maßnahmen den Kräfteansatz lage- und auftragsangepasst. Warum wir mit 25 Beamten vor Ort waren, beruht auf den vor Ort möglicherweise auf die Beamten zukommenden Aufgaben.“ Ob die Polizei etwa mit Gegenwehr rechnete oder in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gesammelt hat, die zu dieser Annahme führten, sagt er nicht.

Der Verein sieht das anders: „Ein derartiger Aufwand erscheint hochgradig unangemessen. Das hohe Aufgebot an Polizisten lässt darauf schließen, dass die Pflanze nicht der einzige Grund für die Maßnahme war“, sagt Vereinsmitglied Claudia Szabo. Vor allem durch die zeitliche Nähe zu einer angemeldeten Demonstration dränge sich der Verdacht auf, dass es sich um eine Repressionsmaßnahme gegenüber einem politisch unbequemen Hausprojekt gehandelt hat „und die Pflanze als Vorwand zur Informationsbeschaffung genutzt wurde.“

Was sie aber genauso stört, ist das ausgetauschte Haustürschloss. Nach ihren Angaben hielten sich zum Zeitpunkt der Durchsuchung fünf bis zehn Leute im Haus auf. In fast jeder Wohnung sei jemand da gewesen. Eventuell hätten viele noch geschlafen. „Durch den Wechsel und das Verschließen des Schlosses hat die Polizei eine Gefährdung der Hausbewohner leichtfertig in Kauf genommen, da dadurch Fluchtwege versperrt wurden“, sagt sie. Zudem hätten die Bewohner ihren Tagesaktivitäten nicht nachgehen können.

Das sieht Knaup anders: Die Beamten hätten bei den einzelnen Mietern vergeblich geklingelt. Erst danach sei die Haustür durch einen Schlüsseldienst geöffnet worden. Die Wohnungstür sei unverschlossen gewesen. „Zum Ende der Durchsuchung haben die Polizisten an allen Wohnungen geklopft oder geklingelt“, sagt Knaup: „Es öffnete niemand oder gab sich den Beamten gegenüber zu erkennen.“ So sei davon auszugehen gewesen, dass sich niemand im Haus aufhielt. Claudia Szabo glaubt diese Darstellung nicht. „Es funktionieren alle Klingeln. Wir vermuten, dass sie es nur kurz probiert haben und dann mit Schlüsseldienst in das Haus gelangten“, sagt sie.

Die Polizei hat um 8.53 Uhr bei Claudia Szabo angerufen und sie über den Einsatz informiert. Das bestätigen beide Seiten. „Sie hatten also meine Nummer, hätten mich also auch vorher anrufen können, anstatt das Schloss zu tauschen“, sagt sie. Warum die Polizei nicht eher angerufen hat, will Knaup nicht sagen. „Die Polizei hat die Vermieterin nach Abschluss der Durchsuchung um 8.53 Uhr telefonisch informiert. Damit ist sie ihrer Informationspflicht zeitnah nachgekommen“, sagt er lediglich.

Die Vermieterin sei am Nachmittag im Polizeirevier gewesen und habe dort drei Haustürschlüssel für das neue Schloss ausgehändigt bekommen. Das alte Schloss sei bei der Öffnung beschädigt worden, sodass ein Austausch nötig gewesen sei. Die Mieterin der Wohnung habe im Nachgang ein Durchsuchungsprotokoll erhalten. Dort konnte sie nachlesen, dass „über einen Zeitraum von vier Wochen die Aufzucht und Pflege der Pflanze beobachtet“ wurde. Für den Haus-und-Hof-Verein ist die Sache damit nicht abgeschlossen. „Wir behalten uns rechtliche Schritte vor“, sagt Claudia Szabo. Knaup gibt sich gelassen: „Zur Frage nach der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung steht es der Mieterin frei, dies rechtlich prüfen zu lassen.“