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300 Jahre Knast

„Wer nichts wagt, kommt nicht nach Waldheim“. Einst war dies ein geflügeltes Wort. In Waldheim liegt Deutschlands ältestes Gefängnis. Seine 300-jährige Geschichte ist auch die von Sachsens Justizvollzug.

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© dpa

Simona Block

Waldheim. Der Abenteuerschriftsteller Karl May saß in Waldheim hinter Gittern, auch der spätere Volkskammerpräsident der DDR, Horst Sindermann. Das Gefängnis im Zschopautal spiegelt 300 Jahre sächsischen Justizvollzug. Das mehr als fünf Hektar große Areal inmitten der Kleinstadt Waldheim ist das älteste Gefängnis Deutschlands. Es wird seit der Inbetriebnahme am 3. April 1716 ununterbrochen als Haftanstalt genutzt.

„Die Strafanstalt Waldheim galt jahrzehntelang als Vorbild für andere Anstalten“, sagte Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) am Freitag in Dresden. Aus dem ganzen deutschen und europäischen Raum seien Ende des 18. Jahrhunderts Abgesandte angereist, um den sächsischen Vollzug zu begutachten. Waldheim stehe für die wechselhafte Interpretation zentraler Begriffe der Gesellschaft wie Schuld, Strafe und Freiheit. „Sie fand ganz konkreten Ausdruck im Umgang mit den Inhaftierten von Waldheim.“

300 Jahre Geschichte und Entwicklung des Justizvollzugs sollen in einem Gedenkjahr, das am Sonntag unter dem Titel „Wandel hinter Gittern“ in Waldheim eröffnet wird, beleuchtet werden. „Kritische Reflexion des Geschehenen gehört genauso dazu wie die Würdigung der Reformbestrebungen im Vollzug“, sagte Gemkow.

Das aus mehreren Gebäuden verschiedener Epochen bestehende Gefängnis umschließt ein ehemaliges Jagdschloss der sächsischen Herrscher. Der legendäre Kurfürst August der Starke (1670-1733) machte es zum „Zucht-, Waisen- und Armenhaus“, um der Bettler und Wegelagerer Herr zu werden. „Im Vordergrund stand die Fürsorge, nur 20 Prozent der Insassen waren Straftäter“, berichtete Anstaltssprecherin Michaela Tiepner. Sie sollten zur Arbeit animiert und an ein geregeltes Leben herangeführt werden - und wurden gleichzeitig ausgebeutet.

Im 19. Jahrhundert wurde aus der „Vorzeigeanstalt“ unter brutaler Führung ein reines Zuchthaus. Aus dieser Zeit stammt auch der Satz „Wer nichts wagt, kommt nicht nach Waldheim“, sagt Tiepner. „Das war damals ein geflügeltes Wort hier.“ 14 Strafen von Kostentziehung bis zum Arrest in einer Zelle aus Latten teils für nichtige Vergehen sah der Katalog der Grausamkeiten vor. „Erst danach wurde es humanistischer, 1870 bekam Waldheim die erste Irrenabteilung in einem Gefängnis.“

Unter den Nazis - wie später in der DDR - saßen auch „Politische“ in Waldheim. 1950 wurden fast 3400 Schnellverfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher durchgeführt, die aus sowjetischen Internierungslagern verlegt worden waren. Im Zuge dieser „Waldheimer Prozesse“ wurden 24 der 33 Todesurteile in einer Nacht- und Nebelaktion im Keller vollstreckt.

Zu den prominenten Insassen zählten der Komponist und Wagner-Freund August Röckel (1814-1876), der spätere DDR-Volkskammerpräsident Horst Sindermann (1915-1990) und Abenteuerschriftsteller Karl May. Er war ab 1870 vier Jahre in Waldheim wegen Betrugs und musste Zigarren drehen - wie im Anstaltsmuseum nachgestellt. „Es war seine letzte Gefängnisstrafe“, sagt Tiepner.

Inzwischen gibt es 408 Haftplätze in mehreren Häusern, das jüngste wurde 2012 eröffnet, ein Modellprojekt. „Die Gefangenen können telefonieren, E-Mails schreiben und CD’s abspielen, die Hafträume sind wohnlicher.“ Aktuell sind 373 Männer zwischen 21 und 80 Jahren inhaftiert, die Haftstrafen von zwei Jahren bis lebenslang verbüßen. 30 ältere Insassen leben in einer Seniorenstation.

Nach den dunklen Zeiten steht laut Gemkow der humane Vollzug im Mittelpunkt des Anstaltsbetriebes, mit modernen Konzepten und Therapieangeboten. Der Minister dankte allen Bediensteten. „Sie sorgen mit Ihrem täglichen Dienst für die Sicherheit der Bürger und das Gelingen unserer modernen Vollzugskonzepte zur Resozialisierung der Gefangenen.“

Schloss Waldheim indes harrt hinter der Gefängnismauer weitgehend ungenutzt der Sanierung, in der einstigen Anstaltskirche hängt Schweißgeruch. „Sie wurde 1968 entweiht“, sagte Tiepner. Das Chorgestühl wurde entfernt, die Orgel sichergestellt und der Alter ist auf Burg Kriebstein. Unter dem gotischen Deckengewölbe wird stattdessen Volleyball und Badminton gespielt. „Es gibt keine Alternative für Freizeitsport im Winter.“ (dpa)