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300 Medikamentenstudien in der DDR

Massenhaft wurden neue Arzneimittel aus Westdeutschland an DDR-Patienten getestet. Dabei gab es auch ungeklärte Todesfälle. Nun liegen erste Ergebnisse der Aufarbeitung vor.

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© dpa

Berlin. Im Auftrag westlicher Pharmahersteller wurden in der DDR nach bisherigen Erkenntnissen rund 300 Medikamentenstudien erstellt. Dies ist das Zwischenergebnis einer Forschergruppe, die das Thema unter Federführung der Berliner Charité noch bis Ende 2015 untersucht. Zuvor hatten Zahlen von 400 bis 600 Studien im Raum gestanden. Der Bericht soll am Montag in Berlin vorgestellt werden. Die rund 300 Studien zwischen 1980 und 1990 seien als „sicher durchgeführte“ Prüfungen in allen Regionen der DDR identifiziert worden.

Hinzu kommen laut Bericht etwa 70 mögliche Studien. Hierzu seien zwar Angaben in Archiven gefunden worden. Jedoch sei unklar, ob sie tatsächlich durchgeführt wurden. Der Nachweis fehle.

Die Forscher durchforsteten Krankenhausakten, lasen Berichte der Arzneimittelhersteller und befragten Zeitzeugen. Außerdem arbeiteten sie sich durch 15.000 Akten-Seiten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit sowie Unterlagen von Bezirks- und Kreisdienststellen.

Die Arzneimittelforschung sei von Anfang an von der Stasi observiert worden, heißt es in dem Zwischenbericht. Damit sollte nicht nur die reibungslose Abwicklung der westlichen Aufträge gesichert werden. Es sei auch um die Kontrolle und Überwachung vermeintlicher politischer Gegner gegangen. Zudem sollte die Flucht von Ärzten verhindert werden.

„Das wesentliche Charakteristikum der honorierten Auftragsstudien in der DDR ist ihre Heterogenität“, fassen die Forscher zusammen. So wurden nicht nur verschiedene Arzneistoffe oder Medizinprodukte getestet. Auch die Orte und die Qualität der Tests waren demnach sehr verschieden. Laut Studie gaben nicht nur pharmazeutische Unternehmen aus der Bundesrepublik, sondern auch aus Westeuropa sowie außerhalb Europas Prüfungen in der DDR in Auftrag.

Seit Juni 2013 läuft das länderübergreifende Forschungsprojekt unter Federführung von Prof. Volker Hess vom Medizinhistorischen Institut der Charité. Das Bundesinnenministerium übernimmt rund 70 Prozent der Finanzierung.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hatte zum Start des Projekts Firmen und DDR-Mediziner zur Mitarbeit aufgefordert. Es gehe nicht darum, Ärzte zu verdammen, die in den Zwängen des DDR-Gesundheitssystems gesteckt hätten. Aber die Frage nach der persönlichen Verantwortung stehe auch im Raum. Laut Charité-Experte Hess waren die Tests fester Teil der Devisen-Erwirtschaftung in der DDR. (dpa)