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400 Jahre im Keller versteckt

Archäologen untersuchen zurzeit das Bautzener Burglehn – und bergen Funde aus neun Jahrhunderten.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Vorsichtig nimmt Nicole Eichhorn die große Münze in die Hand. Ein stolzer Ritter im Brustpanzer mit Schwert über der Schulter blickt von dem Silberling. Auch der Helm mit Federbusch ist gut zu erkennen. „Das Bild zeigt Johann Georg I. von Sachsen“, sagt die Archäologin. „Wir haben diese Münze zusammen mit einer anderen, die Christian I. darstellt, in einer Mauerritze eines Kellers aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Wir sind sicher, dass sie dort bewusst versteckt wurde.“

Bilder von den Ausgrabungen am Bautzener Burglehn

Seit Jahresbeginn untersucht Nicole Eichhorn mit vier Kollegen ein 1 200 Quadratmeter großes Areal am Bautzener Burglehn. Dabei haben sie bis jetzt Funde aus neun Jahrhunderten dokumentiert und geborgen. Eichhorn steht mit Thomas Westphalen am äußersten Rand des Grabungsfelds. „Wir haben das Grundstück erstmals 1997 archäologisch untersucht, als es die Stadt an einen Investor übergeben wollte. Diese Pläne wurden aber auf Eis gelegt“, sagt der Abteilungsleiter für Archäologische Denkmalpflege am Landesamt für Archäologie.

Gut 20 Jahre später warten die Bagger auf den Baustart. Auf einer der letzten Brachen in der Bautzener Altstadt soll in den kommenden Monaten ein Neubau entstehen. Eichhorn schaut an diesem Vormittag aber nicht in Zukunft, sondern in die Vergangenheit des Grundstücks nahe der Bautzener Ortenburg.

Geschichte kommt ans Licht

Wahrscheinlich um das Jahr 600 errichteten die slawischen Milzener auf dem Felsplateau über der Spree ihre Stammfeste. Thietmar von Merseburg erwähnte 1002 erstmals die befestigte Burganlage. An diese schließt sich im Osten das Burglehn an, wo Adlige der Burgbesatzung und Handwerker wohnten. Die jüngsten Grabungen bringen diese Geschichte nun ans Licht. Zwei slawische Keramikfragmente aus der Zeit um 1000 nach Christus sind die ältesten Funde.

Die Grabungsleiterin zeigt auf rote und schwarze Verfärbungen auf dem Granit. „Das sind Brandspuren. An diesem Ort haben wir Brandschichten vom Spätmittelalter bis ins 18./19. Jahrhundert gefunden.“ Verschmolzenes Glas hingegen zeugt von Kämpfen im April 1945. Die im Krieg zerstörten Häuser wurden nach 1945 abgerissen. Es entstand ein Parkplatz. Seine festgestampfte Erde ist mittlerweile abgetragen.

Rätselhafter Topf

In zweieinhalb Metern Tiefe zeigen kleine Markierungen auf dem Boden einen ehemaligen Haus- und Kellergrundriss. Seinen Ursprung datieren die Archäologen auf das 15. Jahrhundert. Gut nachzuvollziehen sind anhand des Pflasters und eines darunter vergrabenen Topfs mit Deckel die Erweiterung des Kellers im 16. Jahrhundert.

Das Keramikgefäß ist in viele Stücke geborsten und wartet noch auf seine Bergung durch die Experten. „Es könnte ein Topf für die Nachgeburt sein. Im 17. und 18. Jahrhundert war es Brauch, ein solches Gefäß im Keller zu vergraben“, erklärt Thomas Westphalen. Ganz in der Nähe haben die Archäologen auch die Silbermünzen aus dem Dreißigjährigen Krieg entdeckt.

Wahrscheinlich kamen die Besitzer seinerzeit nicht mehr dazu, ihren Schatz in Sicherheit zu bringen. Denn als Kurfürst Johann Georg I. am 2. Mai 1634 zur Rückeroberung Bautzens von den kaiserlichen Truppen vor den Toren stand, steckte Oberst Maximilian von der Goltz die Spreestadt an. Sie brannte fast komplett nieder. Ein Jahr später schlossen Ferdinand II. und der sächsische Feldherr Frieden in Prag. Davon erzählt die mächtigste Schuttschicht auf dem Areal. Die wechselvolle Geschichte kann Grabungsleiterin Eichhorn auch anhand geborgener Funde aus zwei Brunnen nachvollziehen. Diese hatten die einstigen Besitzer mit kaputtem Haushaltsgeschirr und Essensresten gefüllt, als sie nicht mehr benötigt wurden. Die Tonscherben liegen inzwischen in 15 Transportkisten. Sie kommen ins Depot nach Dresden, wo sie später zusammengesetzt und ausgewertet werden sollen. Außerdem wurden Tonformen gefunden, die von einem Metallgießer stammen. Er stellte im Mittelalter große Messingleuchter für Kirchen sowie Chorgestühl her.

Siedlungserweiterung jetzt datierbar

Für die Archäologen beleuchtet die Grabung ein weiteres Stück Bautzener Stadtgeschichte. „Bisher ging man davon aus, dass die Siedlungserweiterung über die Ortenburg in der slawischen Zeit begann. Aufgrund unserer Funde können wir sie nun auf die Zeit um 1200 datieren“, sagt Thomas Westphalen.

In 14 Tagen werden die Mitarbeiter des Landesamts für Archäologie ihre Arbeiten am Burglehn beenden. Danach wird das Grundstück wieder dem Investor übergeben. „Am 23. April beginnen wir mit der Begradigung des Geländes und gießen die Fundamente“, kündigt Völker Böhme von der Firma Hentschke Bau an. Dann beginnt ein neuer Zeitabschnitt: In den entstehenden Gebäudekomplex sollen eine Tagespflege, eine Wohngemeinschaft für Demenzkranke sowie barrierefreie und altersgerechte Wohnungen einziehen. Der Einzug der ersten Mieter ist für das vierte Quartal 2019 vorgesehen. (dpa)