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„50 Kilometer für zwei Liter Milch“

Milch ist ein kompliziertes Geschäft. Der Preis ist niedrig, das Image der Landwirte angekratzt. Ein Betrieb bei Leipzig will, dass alles besser wird - und stellt einen Automaten zum Selberzapfen auf.

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Von Romina Kempt

Kitzen. Haike Goltzsch kramt einen Euro aus ihrer Tasche. Ihr Enkelsohn steckt die Münze in einen Schlitz, drückt einen Knopf, und aus einem Hahn fließt frische Milch direkt in eine Glasflasche. „Ich kenne das noch von früher“, sagt die 53-Jährige. Zweimal in der Woche kommt sie zur Agrarprodukte eG in Kitzen, wo sie seit Juli ihre Milch selber zapfen kann. Das Geschäft läuft. Bald soll eine zweite „Tankstelle“ der Agrargenossenschaft in Leipzig eröffnen.

Anlagenleiter Stephan Viehweg zapft an einem Milchautomat einen Liter Rohmilch.
Anlagenleiter Stephan Viehweg zapft an einem Milchautomat einen Liter Rohmilch. © dpa

„Ich freue mich über den Zuspruch“, sagt Hans-Uwe Heilmann. Der erfahrene Landwirt sitzt gemeinsam mit Thomas Rößner im Vorstand der Genossenschaft. „Es ist aber auch verrückt: Für zwei Liter Milch fahren die Leute auch mal 50 Kilometer.“ Seine Kunden kämen für ein paar Tropfen frischer Milch nicht nur aus den umliegenden Dörfern, sondern selbst aus dem rund 25 Kilometer entfernten Leipzig.

Von 5.00 bis 22.00 Uhr können sie mit Kannen, Kübeln oder vor Ort gekauften Glasflaschen zapfen. Rund 130 Liter kämen jeden Tag aus dem Automaten, sagt Heilmann, an Spitzentagen auch weitaus mehr. Ist die Milch alle, wird die Zentrale per SMS informiert, dann kommt Nachschub. Neuigkeiten zum Automaten werden auf Facebook gepostet.

Die Schlange hinter Haike Goltzsch wächst derweil. „Den ersten Schluck trinke ich direkt im Auto“, sagt sie und verschwindet mit ihrem Enkel und drei Flaschen aus dem kleinen Häuschen, in dem der Automat steht. Hinter ihr warten bereits vier weitere Kunden. „Die Milch kommt daher, wo sie herkommen soll“, sagt Mirko Barth. Nur ein paar Meter von der Zapfanlage entfernt steht der Kuhstall des Agrarbetriebs. Die Vierbeiner liegen im Heu - einige mit Blick ins Freie. „Da ist nichts pasteurisiert oder homogenisiert. Das ist einfach nur volle, weiche Milch“, meint er weiter.

„Frische Milch schmeckt besser als die aus dem Tetrapack“, wirbt Heilmann. Seine Kundschaft schätze das. Daher boome die Direktvermarktung, wie er vermutet.

Eigentlich ist es dem Landwirt bei seiner Milchautomaten-Idee aber nicht nur um den Geschmack gegangen. „Wir wollten unser Image pflegen“, erklärt er. Es gebe zwei große Probleme: Milch werde mit Massentierhaltung assoziiert und sie sei nichts mehr wert. „Wir bekommen 26,5 Cent pro Liter, wenn wir die Milch an eine Molkerei abgeben. Daran verdienen wir nichts.“ Die Politik habe kein Interesse, die Lebensmittelpreise zu erhöhen. Auch die im Frühjahr aufgehobene Milchquote habe nichts gebracht.

Viele der rund 80 000 Milchbauern in Deutschland bangen daher um ihre Existenz. Seit dem vergangenen Jahr ist laut Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) der Auszahlungspreis um mehr als zehn Cent pro Kilo Rohmilch gefallen. Im Discount koste ein Liter Milch 51 Cent. Am Automaten in Kitzen ist es ein Euro.

Der BDM macht für den Preisverfall das derzeitige Überangebot an Milch nach dem Wegfall der Milchquote verantwortlich. Zudem verschärften die gestiegenen Produktionskosten und das russische Einfuhrverbot die Situation. Der BDM fordert ein vorübergehendes Verbot der Überproduktion und einen Mindestpreis von 40 Cent.

Ein neuer Automat in Leipzig soll die Lust auf Milch derweil weiter ankurbeln. „Ein genauer Termin für die Eröffnung steht noch nicht fest“, sagt Heilmann. Aber in den kommenden Wochen soll es so weit sein. „Wer Wert auf frische Milch legt, wird den Weg in Kauf nehmen.“ (dpa)