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500 Straftaten mehr

Die Kriminalitätskurve in Riesa zeigt nach oben. Das hat einen einfachen Grund, sagt der Polizeichef.

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© Andreas Gebert/dpa

Von Christoph Scharf

Riesa. Die Stadt ist wieder ein Stück unsicherer geworden. So sieht es aus, wenn man auf die Übersicht der jüngsten Kriminalitätsentwicklung schaut (siehe Diagramm). Im Revierbereich Riesa, zu dem neben dem Altkreis Riesa auch noch die Stadt Lommatzsch zählt, haben sich demnach vergangenes Jahr knapp 4 800 Straftaten ereignet – gut 500 mehr als im Jahr zuvor. Das stimmt aber so nicht, sagt Riesas Polizeichef Hermann Braunger. „Wir haben einen Vorfall, der die Statistik total verzerrt“, sagt der Revierleiter.

Hermann Braunger, Riesaer Polizeichef: „Auf null bekommt man die Kriminalität nicht. Nicht in einer Stadt, in der auch Menschen leben.“
Hermann Braunger, Riesaer Polizeichef: „Auf null bekommt man die Kriminalität nicht. Nicht in einer Stadt, in der auch Menschen leben.“ © Klaus-Dieter Brühl

Denn die deutschlandweit exakt so verwendete Polizeiliche Kriminalstatistik bildet nicht die Fälle ab, die sich in einem Kalenderjahr ereignen, sondern die in diesem Jahr von der Polizei abschließend bearbeitet wurden. Und da sorgte zuletzt ein einziger Mann dafür, dass die Kriminalitätskurve des gesamten Reviers wieder nach oben zeigt: „Wir konnten 2017 einen Tatverdächtigen ermitteln, der aus Kleingärten 463 Wasserhähne gestohlen hat, um sie beim Schrotthändler zu Geld zu machen“, sagt der 60-Jährige.

Für die Betroffenen ist so etwas höchst ärgerlich – für die Sicherheitslage in Riesa allerdings relativ verschmerzbar. Und dennoch bedeuten 463 verschiedene Geschädigte auch 463 einzelne Fälle für die Kriminalstatistik. Und so sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob Riesa krimineller geworden sei. Gleichzeitig sorgten die auf einen Schlag aufgeklärten 463 Fälle aber auch dafür, dass die Aufklärungsquote in Riesa nach oben ging: um gut zehn Prozent auf 68,5 Prozent. „So ist das eben mit der Statistik“, sagt Hermann Braunger.

Wenn man solche Auffälligkeiten richtig interpretiert, kann man dennoch viel aus der Statistik ablesen. So etwa, dass der weitaus größte Teil der Fälle im Revierbereich nach wie vor in der Stadt Riesa spielt. Auf Platz 2 folgt die zweitgrößte Stadt Gröditz, wo die Kriminalität deutlich zurückgegangen ist. Dann folgt schon Zeithain. „Da hat sich 2016 noch die Asylbewerberunterkunft an der Borntelle bemerkbar gemacht. Seitdem beschäftigt uns in Zeithain eine sehr aktive Jugendbande“, sagt der Revierleiter. Obwohl zwei der Beteiligten derzeit hinter Gitter sitzen, ereignen sich weiterhin Einbrüche. Gehen die auf das Konto der übrigen drei Mitglieder? „Das müssen wir erst noch ermitteln“, sagt Hermann Braunger. Hinter Zeithain folgt Nünchritz in der Kriminalitätsstatistik. Das hat unter anderem mit zahlreichen Fahrraddiebstählen zu tun, die sich erfahrungsgemäß oft an Bahn-Haltepunkten ereignen.

Fast gleichauf kommt schon der Nachbarort Glaubitz. Aber auch hier sollte man die Statistik mit großer Vorsicht betrachten: „Da schlägt sich massiv die auf dem Gemeindegebiet ansässige JVA nieder“, sagt der Polizeichef. Beschädigt ein Gefangener etwa das Siegel, das den USB-Anschluss seines Fernsehgeräts abdeckt, gilt das als Straftat. So etwas kommt in der JVA dutzendfach vor – weil Gefangene etwa verbotenerweise USB-Sticks mit Bildern an die Geräte anstöpseln wollen. Das landet genauso in der Statistik wie sogenannte Rohheitsdelikte – wenn sich also mehrere Gefangene in die Haare bekommen. Von der JVA abgesehen, gibt es in Glaubitz nur eine verschwindend geringe Anzahl an Straftaten. Diebstähle etwa tauchen nur vereinzelt in der Kriminalitätsstatistik des Ortes auf. „Das Hab und Gut der Gefangenen ist so sicher in deren Zellen verwahrt, wie ich mir das etwa in Riesa nur wünschen würde“, sagt Hermann Braunger.

Ganze zwölf Wohnungseinbrüche

Und tatsächlich liegen in der früheren Kreisstadt die Dinge etwas anders. Dort gab es 2017 allein 122 Fälle von Einbrüchen in Keller und Dachböden. „Wenn dort ein Fahrrad verschwindet, macht das schnell einen Schaden von 500 bis weit über 1 000 Euro aus“, sagt der Revierleiter. Wohnungseinbrüche dagegen sind – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung – in Riesa extrem selten. Von den klassischen Tages-Wohnungseinbruchs-Diebstählen gab es in Riesa in der 2017er Statistik genau zwölf Fälle. Und von denen wurden auch noch elf aufgeklärt, was einer Aufklärungsquote von mehr als 90 Prozent entspricht. Zum Vergleich: Bei den Kellereinbrüchen werden nur zwölf Prozent aufgeklärt.

Wie kann das sein? „Bei den Wohnungseinbrüchen waren das meist Fälle, bei denen der Täter im Umfeld des Bestohlenen zu suchen ist“, sagt Braunger. So ist etwa Person X der Meinung, dass die Spielkonsole in der Wohnung seine Freundes Y eigentlich ihm gehört. Und wenn X mal nicht da ist, knackt er die Tür, um sie sich „zurückzuholen“. „Wenn wir in Riesa tatsächlich mal eine professionelle osteuropäische Einbrecherbande hätten, würden wir nur sehr kleinen Bruchteil der Fälle aufklären können“, sagt Braunger. Die Profikriminellen aber würden eher in Orte gehen, wo potenziell mehr Beute zu erwarten sei – nach Radebeul etwa. Insgesamt würden die Riesaer trotz der jüngsten Statistik sicher leben. „Auf null bekommt man die Kriminalität nicht. Nicht in einer Stadt, in der auch Menschen leben.“