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7000 Griechen auf der Spur

Jugendliche aus Griechenland führt ihre Suche nach Görlitz und in die Zeit des Ersten Weltkrieges.

Von Susanne Sodan
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Bei ihrer Ankunft 1916: Griechische Soldaten und Offiziere marschieren die Berliner Straße in Görlitz entlang.
Bei ihrer Ankunft 1916: Griechische Soldaten und Offiziere marschieren die Berliner Straße in Görlitz entlang. © Stadtarchiv Görlitz

Familie Alleke hatte in den vergangenen Tagen einen Mitbewohner mehr. Für eine knappe Woche wohnte Lydia Andreaki bei ihnen. Hannah Alleke ist Schülerin am Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz, Lydia Andreaki lebt auf Kreta und besucht eine Schule in der Hafenstadt Chania. Und sie beide haben mitgemacht bei einem deutsch-griechischen Schülerprojekt. Es geht um die Historie der 7000 griechischen Soldaten, die 1916 nach Görlitz kamen. 30 Schüler – 15 aus Görlitz und 15 aus Kreta – waren in den vergangenen Tagen auf Suche nach Spuren, die die Geschichte in Görlitz und Zgorzelec hinterlassen hat.

Das deutsch-griechische Schülerworkcamp ist ein Projekt zwischen dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Sachsen, dem Gymnasium und einer Schule in Chania auf Kreta. Es fand jetzt zum zweiten Mal statt. 2016, beim ersten Mal, war der 100. Jahrestag der Geschichte, um die es geht: Griechenland war zu Beginn des Ersten Weltkrieges politisch gespalten. Die Wirren der Koalitionen bekam auch das griechische IV. Armeekorps unter Oberst Chatzopoulus zu spüren. Das Korps wurde 1916 in Nordgriechenland eingekesselt, ein Rückzug war nicht möglich. Oberst Chatzopoulus wandte sich schließlich an das Kaiserreich mit der Bitte um Aufnahme der Männer auf deutschem Boden.

Und so kamen 1916 rund 7000 griechischen Soldaten nach Görlitz. „Sie waren keine Kriegsgefangenen, sondern hatten Gaststatus“, erzählt Carsten Riedel von der Kriegsgräberfürsorge. Er hat das Camp wieder gemeinsam mit der Görlitzer Lehrerin Petra Großert, die sich und ihre Schüler schon seit vielen Jahren für das Thema interessiert, sowie der Schule in Chania organisiert. Untergebracht wurden die Soldaten in einem Barackenlager in Moys. Dennoch, nicht alle überlebten. Die Soldaten waren durch den Krieg, die Reise, hiesige Wetterbedingungen, die Ernährungslage geschwächt und häufig anfälliger für Krankheiten wie die spanische Grippe. Andere der Soldaten gingen nach Kriegsende zurück oder woanders hin. Aber viele blieben auch, gründeten Familien und Geschäfte.

Hannah Alleke war mit ihrer Gruppe zum Beispiel auf Spurensuche nahe der Frauenkirche. In der Kurve zwischen Post- und Demianiplatz war früher ein griechisches Geschäft. Ein anderer Anlaufpunkt war das Tivoli, damals ein beliebtes Offizierskasino. Es gibt auch noch ganz direkte Spuren. Auf dem städtischen Friedhof sind über hundert der griechischen Soldaten begraben. Keiner der dreißig Schüler hat direkte familiäre Beziehungen zu den Görlitzer Griechen. Aber das ist auch nicht wichtig. Vielmehr gehe es mit dem Projekt auch darum, sich heute besser kennenzulernen, erklärt Carsten Riedel. Gerade nach der griechischen Finanz- und Staatskrise seien Vorurteile wieder stärker geworden, in Griechenland und in Deutschland.

Die Begegnung der jungen Leute scheint Früchte zu tragen. Beim Pilotprojekt vor zwei Jahren, so wissen die Schüler von ihren Vorgängern, sind Freundschaften entstanden, die bis heute halten. Eine andere Kultur, neue Freunde – deshalb hat auch Hannah Alleke teilgenommen, erzählt sie. „Wir verstehen uns auch super“, sagt sie über ihre Kurzzeit-Mitbewohnerin Lydia Andreaki. Im April kommt der Tausch: Dann reisen die 15 deutschen Jugendlichen auf die Insel Kreta, und Hannah wird für eine Woche bei Familie Andreaki wohnen. Und es wird wieder auf Spurensuche gehen, zu einem Thema des Zweiten Weltkrieges.

Zusammenleben für eine Woche: Lydia Andreaki wohnte die vergangenen Tage bei Hannah Alleke in Görlitz. Im April wird getauscht. Dann wohnt Hannah bei Lydia auf Kreta. 
Zusammenleben für eine Woche: Lydia Andreaki wohnte die vergangenen Tage bei Hannah Alleke in Görlitz. Im April wird getauscht. Dann wohnt Hannah bei Lydia auf Kreta.  © Susanne Sodan