Großenhain
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Ab da war nichts mehr wie zuvor

Die Mär vom spontanen Volkszorn bei den November- Pogromen 1938 entlarvt eine Schau mit Großenhain-Bezug.

Von Kathrin Krüger
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Uwe Naumann schaut sich im Alberttreff die Ausstellung „Bruchstücke“ über die Novemberpogrome von 1938 an. Auch über Großenhain wird berichtet.
Uwe Naumann schaut sich im Alberttreff die Ausstellung „Bruchstücke“ über die Novemberpogrome von 1938 an. Auch über Großenhain wird berichtet. © Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Der letzte Jude von Großenhain schaut freundlich auf dieser Zeichnung von 1944. Dabei trägt er längst den Judenstern, und man weiß nicht, wie es mit ihm weiterging. Auch die Kinder auf dem Geburtstagsfoto aus Riesa haben strahlende Augen. 

Doch dann kam der 7. November 1938, der 17-jährige Herschel Grynspan erschoss in Paris einen Diplomaten des Deutschen Reichs aus Protest gegen die Polenaktion, unter der auch seine Familie leiden musste. Schon unmittelbar danach beginnen im ganzen Reich die von Hitler geduldeten Pogrome. Als Reichskristallnacht geht die antisemitische Gewalt in die Geschichte ein. Eine Schau im Alberttreff erzählt davon. Sie war vorher im Landratsamt Meißen zu sehen. Erfreulicherweise nehmen einige der zehn Roll-Ups Bezug auf Großenhain, Riesa, Meißen und natürlich Dresden. Der dortige Verein Hatikva hat die Ausstellung „Bruchstücke“ nach einem Buch von Daniel Ristau erstellt.

Gewalt in fast 60 sächsischen Orten

Vom 7. bis 10. November 1938 dauerte die organisierte Gewalt gegen jüdische Menschen in fast 60 Orten, die als „gerechter“ oder „spontaner Volkszorn“ dargestellt wurde. Dass es in Großenhain nicht dazu kam, liegt laut Klaus Hammerlik, der die Großenhainer Tafel gestaltete, an einer geplanten antisemitischen Großkundgebung am Abend des 10. November auf dem damaligen Adolf-Hitler-Platz. Alle Einwohner wurden aufgerufen, daran teilzunehmen. Letztlich fand diese jedoch nicht statt, vermutlich, weil im Tagesverlauf reichsweit die Einstellung der offenen Gewalt angeordnet wurde. Stattdessen hetzte ein Berliner NSDAP-Gauleiter im Gesellschaftshaus.

Schlimmer ging es in Riesa zu. Dargestellt ist das Schicksal von Familie Lenzcynski, die das Kaufhaus Troplowitz mit 27 Angestellten führte. Von Meißen ist die Geschichte von Rosa Cohn aufgeführt, für die es in der Stadt einen Stolperstein gibt. Man liest von Kindern, die ohne ihre Eltern fliehen konnten. In der Albrechtsburg fand eine NS-Gedenkfeier für den Hitlerputsch 1923 statt. Die SS in Zivil und gewöhnliche Bürger beteiligten sich laut Ausstellung an öffentlichen Exzessen. Sie fanden nicht nur nachts, sondern tags vor aller Augen statt.

Schillernde Figur wird Doppelagent

Es wird auch versucht, Täter ausführlicher darzustellen. Zum Beispiel Johannes Clemens. Der Dresdner wollte Berufsmusiker werden, wurde dann als Schläger und Boxer bekannt, war an Geiselerschießungen in Italien beteiligt. Nach dem Krieg gehörte er zur Organisation Gehlen, dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes. Dort diente er auch ab 1956, wurde 1961 als Doppelagent entlarvt und zu Zuchthaus verurteilt.

Bis 25. November ist die Schau im Alberttreff zu sehen.

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