Von Franz Werfel
Possendorf. Das Herzstück der Possendorfer Karnevalisten steht in einer Scheune im unteren Ende des Dorfes: die Heddel. Der Traktor, der zu einer Lok umfunktioniert ist, darf bei keinem Karnevalsumzug fehlen. „Mit unserer Heddel wollen wir an die Windbergbahn erinnern, die einst von Gittersee bis nach Possendorf fuhr“, sagt Frank Grahle. Der 53-jährige gelernte Agrarwirt ist die gute Seele der Possendorfer Narren. Und ihr zweiter Vorsitzender.
Angesteckt und für den Karneval begeistert hat ihn seine Frau Elke, die heutige Kassenwartin des Vereins. Für sie zog er nach Possendorf. Ohne das Grundstück der Grahles ist der Possendorfer Karnevalsverein nicht denkbar. Im Dachboden des Hauses lagern fast alle Kostüme, die die Narren in der 50-jährigen Vereinsgeschichte getragen haben. Ein Skelett begrüßt den Besucher am Treppenaufgang. Zwei große Schränke sind übervoll mit glitzernden Sakkos, kurzen Röcken, langen Ballkleidern und Anzügen. Neben dem Arztkittel hängt der Blaumann. Die grauen Umzugskisten, etwa 50 an der Zahl, sind korrekt beschriftet. „Krümelmonster“ steht auf einer Kiste. „Hein Blöd und Käpt’n Blaubär“ auf einer anderen.
Über der Heddel, auf dem Scheunenboden der Familie Grahle, stapelt sich das Holz. „Hier lagern wir unsere Kulissen“, sagt Frank Grahle. „Vieles, was einmal als Bühnenbild gedient hat, können wir später noch mal verwenden.“ Man merkt schnell: Hier wird Karnevalgeschichte geschrieben.
Heddel soll am Sonntag zum Einsatz kommen
Wie die Narren in diesem Jahr feiern
Der Possendorfer Karnevalsverein hat sich 1966 gegründet. Die ersten zwei Jahrzehnte hatten sie ihr Domizil in der ehemaligen Transit-Gaststätte an der B 170, danach feierten sie fast 30 Jahre im Börnchener Gasthof. In diesem Jahr begehen die Narren ihr 50-jähriges Jubiläum – und den 30. Geburtstag ihrer Heddel. Denn die kam erst im Sommer 1986 dazu. Ursprünglich sollte sie nur an einem Umzug teilnehmen. Doch die Lok und ihr Anhänger waren so beliebt, dass sie blieb. „Ab dann durfte unsere Heddel auch bei Dorffesten oder Familienfeiern auftreten“, sagt Grahle. Er selbst fährt sie seit 15 Jahren. Beim Freitaler Karnevalsumzug am Sonntag soll auch die Possendorfer Heddel nochmals zum Einsatz kommen. „Mal schauen, ob sie es schafft“, sagt Grahle. Damit der Dieselmotor anspringt, muss er noch die Batterie wieder in den Traktor einsetzen. Doch dann steht der Ausfahrt nichts mehr im Weg.
„Beim Bau der Heddel haben viele mit angepackt“, erinnert sich Frank Grahle. Etwa Günter Hähnel vom gleichnamigen Gasthof. Dessen Sohn René ist nun seit zehn Jahren Vereinsvorsitzender. „René ist unser Spezialist für die Drehbücher“, sagt Frank Grahle über den amtierenden Vereinschef. Er denkt sich die verrückten Geschichten aus und erweckt sie auf der Bühne zum Leben. Im November, zum Auftakt der fünften Jahreszeit, wird eine Geschichte erzählt. Im Januar und Februar präsentieren die Narren dann bei ihren Faschingsfeiern die Fortsetzung. Mottos der letzten Jahre waren etwa „Poisenklinik – hier werden Sie geholfen“, „20 Jahre Mauerfall – die wahre Geschichte“ oder „Der Märchenwald ist durchgeknallt“. 1988 nahmen die Possendorfer ein Stück Zeitgeschichte vorweg. „Mit dem Bus nach Barcelona“ nannten sie kurz vor dem Mauerfall ihr Programm. In den frühen 90ern machten sich dann tatsächlich viele Bürger der untergegangenen DDR auf den Weg nach Barcelona – im Reisebus.
In der Chronik der Possendorfer gibt es aber auch eine Lücke. Das Jahr 1991 verzeichnet kein närrisches Motto. „Während des zweiten Golfkriegs wurden die Karnevalsparaden deutschlandweit abgesagt“, erklärt Frank Grahle. Daran hielten sich auch die Possendorfer.
Die große Karnevalsparade aller Vereine der Region steigt am Sonntag ab 14 Uhr auf der Dresdner Straße in Freital. Start ist am Goetheplatz, Ziel das Kulturhaus.