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Abgeschoben und wiedergekommen

Zafar Iqbal wird abgeschoben, weil er seinen Asylantrag in Italien stellen soll. Die Zustände dort sind chaotisch, Iqbal kommt illegal zurück. Er lebt wieder in Deutschland - und hofft auf eine zweite Chance.

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© dpa

Björn Vogt

Lüneburg. Die Tinte unter seinem Ausbildungsvertrag ist noch nicht ganz trocken, da klopft es morgens um vier an Zafar Iqbals Tür. Sechs Polizisten stehen vor seinem Haus im niedersächsischen Bispingen in der Lüneburger Heide. Der 36-Jährige aus Pakistan bekommt an diesem Mittwoch im Dezember 2016 keine Zeit, seinen Koffer zu packen, keine Zeit, um Geld zu holen. Er kennt weder den Grund noch das Ziel der Abschiebung, wie er erzählt. Erst im Flugzeug sieht er auf der Bordkarte, dass es nach Mailand geht.

Italien war das erste europäische Land, das der schmale Mann nach seiner Flucht aus Pakistan über Libyen erreichte. Und gemäß der sogenannten Dublin-Verordnung muss Iqbal deshalb dort seinen Asylantrag stellen und nicht in Deutschland, wo sein Vater wohnt.

Doch in Italien herrschen für Flüchtlinge chaotische Verhältnisse. Dreimal fährt Iqbal dort an den Ort, wo er seinen Asylantrag stellen soll, dreimal ist die Behörde geschlossen. Iqbal wird in einen ehemaligen Viehzuchtbetrieb in der Nähe von Varese gebracht. „Vier Brüder betrieben mehrere dieser Camps, die sie an den Staat vermieten“, erinnert sich der 36-Jährige. Asylbewerber statt Kühe - das sei weitaus lukrativer gewesen. „Einmal gab es Brot am Tag, und einen Teller Suppe. Medikamente mussten wir selber bezahlen.“

Doch der 36-Jährige gibt nicht auf und es gelingt ihm, erneut nach Deutschland zu kommen. Nun lebt er im Verborgenen in der Bundesrepublik. „Der Fall zeigt stellvertretend das Scheitern des Dublin-Abkommens“, sagt Till-Matthias Jürgens, der Mitbegründer der Initiative Aproto aus Bispingen, die Flüchtlingen bei der Integration hilft.

Mit der Dublin-Verordnung soll verhindert werden, dass ein Flüchtling mehrere Asylanträge in verschiedenen EU-Ländern stellt. Zuständig soll immer der EU-Staat sein, den der Betroffene als erstes betreten hat. „In der Praxis funktioniert die Verordnung kaum noch“, kritisiert der Rat für Migration aus Berlin - in dem Verein haben sich rund 130 Wissenschaftler aus ganz Deutschland zusammengeschlossen, die die Integrationspolitik kritisch begleiten.

Wie viele Flüchtlinge wie Iqbal in Deutschland im Verborgenen leben, darüber gibt es nur grobe Schätzungen. Fest stehe, dass ihre Zahl in den vergangenen Jahren gestiegen sei, sagt Jennifer Pross vom Rat für Migration. 2015 veröffentlichte das von der EU finanzierte Rechercheprojekt „Clandestino“ Zahlen, nach denen damals in Deutschland zwischen 180 000 und 520 000 Menschen als Einwanderer ohne Papiere lebten - grobe Schätzungen.

Iqbal hofft nun auf eine zweite Chance in Deutschland. Das Leben in der Illegalität bringt für ihn viele Einschränkungen mit sich: „Man darf nicht auffallen“, sagt er. Einen Alltag gebe es nicht, keinen Einkauf, keinen Sport, selbst zum Arzt könne er nicht gehen. „Ich habe vorher mein eigenes Geld verdient. Seitdem ich illegal zurückgekehrt bin, bin ich wieder auf die Hilfe von Freunden angewiesen“, erzählt er. Mit Duldung vom Amt darf er bei seinem Vater in einer kleinen Kellerwohnung in Bispingen wohnen. Aber er hat keine Papiere, keine Krankenversicherung, kein Einkommen.

Anfang März 2014 war er aus seiner Heimat Kaschmir geflohen: Er gehört der religiösen Minderheit der Ahmadiyya an, wurde verfolgt. Iqbal lässt seine Frau und seine vier Kinder zurück und fliegt nach Libyen. Doch er hat Pech: Dort werden ihm, wie er erzählt, seine Papiere gestohlen. Mit anderen Pakistanern wird er ohne Anklage in ein Gefängnis gesteckt, sein Geld wird ihm abgenommen. Erst nach vier Monaten wird er wieder freigelassen - und beginnt zu arbeiten, um sich die Überfahrt mit dem Schlauchboot nach Italien zu verdienen.

„1000 Dollar kostete die klassische Passage“, erinnert sich Iqbal. Wer fünf zahlende Passagiere bringt, erhält freie Überfahrt. Mit 200 Flüchtlingen besteigt Iqbal am 15. Februar 2015 ein Schlauchboot. Nach 20 stürmischen Stunden auf dem eiskalten Mittelmeer wird das Boot von der italienischen Küstenwache gerettet.

Einige Wochen nach seiner Ankunft in Italien erreicht der junge Mann das Lager Friedland bei Göttingen, fährt weiter zu seinem Vater nach Bispingen, besucht Deutschkurse, bekommt einen Job bei McDonald’s. Er verdient eigenes Geld, bekommt einen Ausbildungsvertrag angeboten, die staatliche Unterstützung wird beendet. Alles läuft gut für ihn - bis zu seiner Abschiebung im Dezember 2016.

Wie geht es nun weiter nach seiner zweiten Flucht nach Deutschland? Alles hängt von der erneuten Prüfung seines Asylantrages ab. „Ich warte täglich auf Post vom Amt“, sagt Iqbal.

Nachdem er zum zweiten Mal nach Deutschland zurückkehrte, kümmerte sich der Verein Aproto um einen versierten Anwalt, der einen neuen Asylantrag stellte. Der Jurist sieht wegen der chaotischen Verhältnisse in Italien gute Chancen für Iqbal. Doch das Ergebnis des erneuten Antrages ist ungewiss - es könnte auch eine weitere sofortige Abschiebung nach Italien sein. (dpa)