Es ist gerade mal eineinhalb Jahre her, da saß Uli Hoeneß bei Günther Jauch im ARD-Studio. Gerechtigkeit, Moral, Arm gegen Reich – es ging um die ganz großen Fragen. Hoeneß stänkerte gegen den Linken-Politiker Oskar Lafontaine: Der habe „ein Schlösschen im Saarland, dagegen wohne ich im Sozialbau“. Hoeneß verdammte die Reichensteuer in Bausch und Bogen. „Dann gehen die Reichen nach Österreich oder in die Schweiz, und dann haben wir gar nix davon.“ In welchem Bewusstsein hat er das gesagt? Er muss doch mehr als nur geahnt haben, dass er das ist, was seit gestern feststeht: ein Steuersünder mit hinterzogenen Millionen in der Schweiz.



Ausgerechnet Hoeneß! Der Mister FC Bayern. Der erfolgreichste Manager in 51 Jahren Fußball-Bundesliga. Der Wohltäter und Saubermann. Doch vom Bild des milden Patrons, das er selbst von sich zu zeichnen suchte, ist nichts mehr übrig. Es ist zerplatzt wie eine Spekulantenblase. Daran wird auch die von seinem Frankfurter Staranwalt Hanns Feigen angekündigte Revision nichts ändern.
Hoeneß’ Hoffnung, den Saal 134 im Münchner Landgericht doch noch als endgültig freier Mann verlassen zu können, hat sich gestern um 14.07 Uhr zerschlagen. Der Vorsitzende Richter der fünften Strafkammer, Rupert Heindl, verkündet das Urteil: dreieinhalb Jahre Haft. Hoeneß beißt sich auf die Lippen, die Mundwinkel zucken, seine Hände liegen auf dem Tisch, die Finger trommeln leise. Seine Ehefrau Susanne wirkt wie erstarrt.
Reaktionen auf das Hoeneß-Urteil
Die Selbstanzeige sei unwirksam gewesen, sagt der Richter mit der Glatze, der stets eine weiße Fliege unter seinem Talar trägt. Ruhig und sachlich sagt der 47 Jahre alte Jurist, es hätten zu viele Unterlagen in der Selbstanzeige gefehlt. „Das bloße Berufen darauf, die Bank habe quasi alles alleine gemacht, nehmen wir Ihnen nicht ab.“ Hoeneß sei getrieben gewesen „von der Angst vor Entdeckung“. Der Manager hätte viel Zeit gehabt, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. „Sie haben es nicht getan, sondern auf Zeit gespielt.“
Von seinem Tribünenplatz der anderen Art, von der Anklagebank aus, hatte der 62 Jahre alte Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende des deutschen Fußballrekordmeisters Bayern München das sich abzeichnende Debakel mit zusammengepressten Lippen verfolgt. Er musste mit anhören, wie Staatsanwalt Achim von Engel, der fünfeinhalb Jahre Haft verlangt hatte, die im Januar 2013 beim Finanzamt Rosenheim eingereichte Selbstanzeige als „Schnellschuss“ bezeichnete. Dass die Anzeige nur unter dem Druck einer drohenden Veröffentlichung durch das Magazin Stern entstanden sei.
Uli Hoeneß, der sonst gern das letzte Wort hat, lässt diesmal die Chance ungenutzt, mit den letzten Worten vor der Urteilsverkündung noch einmal Reue zu zeigen. „Haben Sie noch etwas zu sagen?“, fragt ihn Richter Heindl. „Nein, ich schließe mich den Ausführungen meines Anwalts an, ich hätte es nicht besser sagen können“, entgegnet Hoeneß. Der Richter hakt nach, doch Hoeneß sagt nichts wie: Ich bereue, ich bitte um ein mildes Urteil.
Vielleicht ist auch einem sehr reichen Menschen wie ihm die Dimension nicht bewusst gewesen, die das Urteil auch materiell bedeutet: 28,462 Millionen Euro Steuern inklusive Solidaritätszuschlag muss Hoeneß zurückzahlen. Hinzu kommen Verzugszinsen und andere Sonderzahlungen; insgesamt dürften es für Normalverdiener unvorstellbare 48 bis 50 Millionen Euro werden. Einen Abschlag von zehn Millionen Euro hat Hoeneß bereits geleistet, fünf Millionen Euro hat er als Kaution für die Aussetzung des Haftbefehls hinterlegt.
Vor dem Justizpalast warten am frühen Nachmittag Dutzende Menschen. Als sie vom Urteil erfahren, herrscht betroffene Stille. „Free Uli“, steht auf einem Plakat.
Der Mann, der das Transparent trägt, hat sogar recht: Hoeneß bleibt auf freiem Fuß, so lange, bis das Urteil rechtskräftig ist. Das kann dauern. Kaum ist der Bayern-Präsident zur Tür raus, da sagt sein Anwalt: „Wir werden das Urteil natürlich angreifen.“ Er erhofft sich vom Bundesgerichtshof Klarheit darüber, „wie künftig mit einer solchen nicht idealen Selbstanzeige umzugehen ist“.
Karlsruhe kann die Revision nun verwerfen, kann selbst ein Urteil fällen oder die ganze Sache zurück nach München verweisen, an eine andere Kammer. So ist es auch im Strafprozess gegen den Manager der Kommunalen Wasserwerke Leipzig geschehen – das Verfahren ist nach vier Jahren immer noch nicht beendet. Hoeneß wird also noch eine geraume Zeit lang weiter die Spiele seines FC Bayern ansehen und sich mit seiner Ehefrau Susanne ins gemeinsame Bauernhaus am Tegernsee zurückziehen können.
„Ich weiß, dass das doof ist. Aber ich zahle volle Steuern.“ Auch das hat Hoeneß einmal gesagt, im August 2005 in der Bild-Zeitung. Doof, ja teilweise selbstgefällig, wirkte teilweise auch sein Verhalten in dieser Prozesswoche. Selbst durch Zurechtweisungen seines Anwalts oder des Richters ließ er sich nicht beirren. Am zweiten Prozesstag setzte er sich zum Champions-League-Spiel seiner Bayern gegen Arsenal auf die Tribüne der Allianz-Arena, als wäre nichts gewesen.
Hoeneß hat schon immer polarisiert. Fußballfans anderer Mannschaften schleuderten ihm Münzen, Feuerzeuge und Beschimpfungen entgegen, vielerorts erwartete ihn blanker Hass. Der andere Hoeneß war der, der immer half, wann immer er es für nötig hielt. Er bewahrte mehrere Ex-Profis des FC Bayern vor dem sozialen Absturz. Er unterstützte Konkurrenten wie Borussia Dortmund mit Millionenbeträgen. Er spendete Auftrittshonorare und Gagen, gründete wohltätige Stiftungen. Und all das ohne großes Gewese, oft still, fast heimlich. Das Magazin Spiegel würdigte ihn im vorigen Jahr noch in einem mehrseitigen Porträt als „mustergültigen Deutschen“.
Wo Hoeneß noch vor kurzer Zeit stand, welche gesellschaftliche Stellung er innehatte, das zeigt sich am besten, wenn man an das zurückdenkt, was Hoeneß’ Anwalt Feigen als „Stunde Null dieses Verfahrens“ bezeichnet: den 17. Januar 2013. Damals stellte Uli Hoeneß seine Selbstanzeige. Nur zwei Tage vorher hatte er seinem Steuerberater offenbart, dass es das geheime Schweizer Millionenkonto überhaupt gibt. Auf der Fahrt vom Münchner Flughafen zu seinem Anwesen in Bad Wiessee. Hoeneß war da gerade aus Berlin gekommen, von einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hatte ihn, wie viele andere Mächtige in diesem Land, geradezu hofiert.
Hoeneß gefiel sich in dieser Rolle des Ratgebers. Er half tatkräftig selbst mit, sich in den Heiligenstand der deutschen Gesellschaft zu hieven. Auch wenn er Millionen verdiente, galt er doch als ehrliche Stimme des Volkes, als Vertreter des kleinen Mannes sogar. Nun ist er abgestürzt. Als moralische Instanz erledigt. Als Vorbild hat er ausgedient.
Und wohl auch als Bayern-Präsident. Das Urteil erschüttert Deutschlands Fußball-Vorzeigeclub. Hoeneß ist seit Jahrzehnten das Gesicht des Vereins: als Spieler, als Manager, als Präsident, als Aufsichtsratschef.
Der „Patriarch vom Tegernsee“ hatte auf der Mitgliederversammlung im November 2013 angekündigt, nach dem Prozess die „Vertrauensfrage“ zu stellen. „Ich werde mich jedem Votum, das sie treffen, unterwerfen“, rief Hoeneß den Mitgliedern zu. Er wolle ihnen auf einer außerordentlichen Hauptversammlung „das Recht geben, zu entscheiden, ob ich noch der richtige Präsident für diesen Verein bin“.
Die Spitzenvertreter der Wirtschaft im Aufsichtsrat der FC Bayern München AG werden sich einen verurteilten Steuerhinterzieher an der Spitze des Gremiums schlicht nicht leisten können. Adidas-Chef Herbert Hainer gehört dazu ebenso wie Telekom-Vorstand Timotheus Höttges. Auch die Autobosse von Audi und VW, Rupert Stadler und Martin Winterkorn sind Aufsichtsräte. Ihnen allen geht es um die eigene Glaubwürdigkeit. Die Verhaltensrichtlinien ihrer Konzerne sind in ähnlich gelagerten Fällen eindeutig: Vielleicht gibt es noch eine millionenschwere Abfindung, aber gehen muss man.
Während Hoeneß’ einstige Fürsprecher in der Politik ihn fallen lassen, erfährt er aus dem Sport Zuspruch. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Wolfgang Niersbach, betont: „Die großen Verdienste von Uli Hoeneß für den gesamten deutschen Fußball bleiben unabhängig von diesem Prozess bestehen.“ Nahezu väterlich-freundlich teilt Heribert Bruchhagen, der Vorstandschef von Eintracht Frankfurt mit: „Ich bin sehr erschrocken über die Vorstellung, dass Uli für seinen Fehler so heftig büßen muss. Ich bin sehr traurig.“ Sogar Intimfeind Christoph Daum, den Hoeneß einmal wegen seines Drogenkonsums öffentlich an den Pranger gestellt hatte, findet tröstende Worte: „Ich denke nur an den Menschen Uli Hoeneß und seine Familie. Ich wünsche ihnen allen viel Kraft. Die werden sie nun brauchen, um diese schwierige Zeit gemeinsam gut durchzustehen.“
Der ehemalige Nationalspieler Christoph Metzelder twittert: „Jetzt, da Justitia gesprochen hat, könnte die Häme aufhören!“ Das verlangt auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski: „Eines Menschen Straftaten zu ahnden, darf nicht dazu führen, den Menschen selbst zu verdammen.“ Der Theologe schreibt in seinem Blog weiter: „Ein Mensch, der Fehler macht, wird bei Gott nicht zum Unmenschen.“ Der Text Rekowskis trägt die Überschrift: „Gott liebt auch Steuersünder.“ (SZ/uwo/dpa/sid)