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Acht Ideen für eine bessere Pflege

Wie Gesundheitsminister Jens Spahn den Pflegenotstand bekämpfen will:

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© Rainer Weisflog

Von Rainer Woratschka, Berlin

Wegen des Pflegenotstands in Kliniken und Altenheimen hat das Bundeskabinett am Mittwoch ein Sofortprogramm auf den Weg gebracht. Nach den Worten von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist das aber nur ein erster Schritt. Was beschlossen wurde – und was der Minister sonst noch plant.

Idee 1: Geld für mehr Pflegepersonal

Im Koalitionsvertrag findet sich noch die Zahl 8 000. Doch Spahn hat noch mal draufgelegt. In seinem Gesetzentwurf sind jetzt 13 000 zusätzliche Stellen für Pflegeheime vorgesehen, um dem Personalnotstand dort zu begegnen. Auch die Kliniken gehen nicht leer aus. Zum einen soll dort künftig jede zusätzliche oder aufgestockte Pflegestelle voll von den Kassen finanziert werden. Zum anderen sollen die Versicherer dort fortan auch alle Tarifsteigerungen übernehmen – und zwar rückwirkend ab 2018. „Kein Geld für Pflege ist also keine Ausrede mehr für Krankenhausgeschäftsführer“, sagt der Minister. Das Problem ist nur: Das bewilligte Personal muss erst mal gefunden werden. Nach Regierungsangaben sind derzeit mindestens 36 000 Stellen in der Alten- und Krankenpflege unbesetzt. Für gute Betreuung, rechnet der Sozialverband VdK vor, brauche man mindestens 60 000 zusätzliche Pflegefachkräfte.

Idee 2: Feste Vorgaben für Kliniken

Mehr Geld ist nicht alles. Um die Krankenpflege zu verbessern, will Spahn den Kliniken auch strenge Vorgaben zum vorzuhaltenden Personal machen und Verstöße dagegen sanktionieren. Ab 2020 soll für jedes Krankenhaus das Verhältnis zwischen Pflegekräften und anfallendem Pflegeaufwand errechnet werden, heißt es in dem Entwurf. Werde eine bestimmte Personalgrenze unterschritten, werde das Honorar gekürzt. In einem anderen bereits beschlossenen Gesetz sind Mindestpersonalstärken für „pflegesensitive Bereiche“, wie etwa Unfallchirurgie oder Intensivmedizin vorgesehen. Weil die Klinikbetreiber die Verhandlungen darüber platzen ließen, verlangt Spahn nun neuerliche Verhandlungen mit den Kassen – und droht für den Fall des Scheiterns mit einem Eingriff der Politik. „Wer auf Dauer bei hoher Patientenzahl zu wenig Pflegekräfte hat, der gefährdet Patienten und beutet auch die Pflegekräfte aus“, sagte er. Konsequenz könne dann nur sein, dass man dort weniger Patienten behandeln dürfe. Notfalls müssten Abteilungen auch geschlossen werden.

Idee 3: Bessere Bezahlung

Für ausgebildete Pflegekräfte müssten 2 500 bis 3 000 Euro im Monat möglich sein, verkündete Spahn Mitte Juli. Mit den Zahlen hatte er sich etwas vergriffen, denn laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung verdient eine vollzeitbeschäftigte Krankenpflegerin im Schnitt bereits 3 239 Euro brutto. Doch deutlich schlechter sieht es in der Altenpflege aus. Fachkräfte kommen hier nur auf 2 621 Euro. Das sind 16 Prozent unter dem Durchschnitt aller Beschäftigten in Deutschland. Altenpflegehelferinnen gehen sogar nur mit 1 870 Euro nach Hause. Besonders abgeschlagen sind Pflegekräfte im Osten. Dass es mehr Geld für sie geben muss, steht bereits im Koalitionsvertrag. Das Problem dabei: Die Löhne werden hierzulande nicht von der Politik bestimmt, sondern von Tarifpartnern ausgehandelt. Und es gibt kaum eine Branche, in der das so schwierig ist wie im Pflegesektor. Weniger als drei Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Die Arbeitgeber wiederum sind zersplittert in private, kirchliche, kommunale und gemeinnützige Träger. Die Privaten wollen keine Tarifverträge, die Kirchen haben traditionell ihr eigenes Arbeitsrecht. Um höhere Gehälter zu erzielen, müsste ein Tarifvertrag für allgemeingültig erklärt werden. Doch das geht nur, wenn er schon bisher für einen hohen Anteil der Beschäftigten gilt. Die Lösung könnte so aussehen, dass man kirchliche Vereinbarungen wie normale Tarifverträge wertet. Dafür bedürfte es einer Gesetzesänderung.

Idee 4: Bessere Arbeitsbedingungen

Neben der Bezahlung müssten sich auch die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte verbessern, findet Spahn. Konkret wurde er diesbezüglich noch nicht. Diesen Part übernahm sein Pflegebeauftragter. Pflegekräfte sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeitszeit drei Jahre lang auf 80 Prozent zu reduzieren, forderte Andreas Westerfellhaus – bei vollem Lohnausgleich. Die freie Zeit müsse aber der Erholung dienen, Nebenjobs dürfe es dann nicht geben. Zudem sollten Krankenkassen und Heime, die innovative Konzepte für gute Arbeitsbedingungen ausprobierten, Zuschüsse bekommen. Fachkräfte sollten verantwortlicher arbeiten können und bessere Aufstiegschancen erhalten.

Idee 5: Höhere Pflegebeiträge

Nach Spahns Dafürhalten könnte der Pflegebeitrag zum nächsten Jahr deutlich steigen – um 0,5 Prozentpunkte. Diese Größenordnung, von den Pflegekassen ins Gespräch gebracht, sei „realistisch“, sagte er. Im Juni hatte Spahn noch 0,3 Punkte anvisiert. Von der Kassenidee, den Beitragsanstieg durch einen Bundeszuschuss zu begrenzen, will er bisher nichts wissen. Dabei sind die Arbeitgeber vergrätzt. Auch die Pflegeversicherung müsse ihren Beitrag leisten, damit die Summe der Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter nicht über 40 Prozent klettere, ließ sich ihre Bundesvereinigung vernehmen. Der Pflegebeitrag war zuletzt Anfang 2017 um 0,2 Punkte auf 2,55 Prozent erhöht worden. Kinderlose zahlen 2,8 Prozent.

Idee 6: Geld auch für Betreuungskräfte

„Wir wollen die Pflege auch für reine Betreuungskräfte öffnen.“ Mit diesem Rezept, angekündigt ebenfalls via Zeitungsinterview, will Spahn vor allem dem Pflegenotstand begegnen. Zwar wurden die Leistungen für zu Hause lebende Pflegebedürftige bereits in der vergangenen Legislatur ausgeweitet. Seither zahlen die Kassen auch für Haushaltshilfe, fürs Einkaufen, Vorlesen oder das gemeinsame Spazierengehen. Doch erbracht werden dürfen solche Leistungen, um sie bezahlt zu bekommen, nach wie vor nur von Pflegefachkräften. Die jedoch sind meist schon durch die rein körperliche Pflege ausgelastet und haben weder Zeit noch Interesse, darüber hinaus schlecht bezahlte Betreuung zu übernehmen. Die Öffnung der Pflegeversicherung für reine Betreuungsdienste und Haushaltshilfen hätte doppelten Charme. Zum einen fänden sich dann die dringend benötigten Helfer weit leichter. Zum anderen wären sie wohl auch günstiger zu haben. Für das gleiche Geld erhielten die Pflegebedürftigen also mehr Betreuungsstunden.

Idee 7: Privatinvestoren bremsen

„Zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften – das ist nicht die Idee einer sozialen Pflegeversicherung.“ Mit diesem Statement irritierte Spahn nicht nur private Pflegeheimbetreiber, sondern auch manchen seiner Parteifreunde. Wenn es sich „vernünftig regulieren“ lasse, so der CDU-Politiker, könne er sich hier eine gesetzliche Bremse vorstellen. Wirtschaftsliberale reagierten heftig. Spahn plane, die Marktwirtschaft abzuschaffen und Unternehmer zu enteignen. Der Mann habe sich als „Planwirtschaftler mit populistischen Motiven“ entpuppt. Allerdings handelt es sich bei Spahns Vorstoß wohl mehr um einen Warnschuss. Es sei zu bedenken, dass solche Regulierung einen „erheblichen Eingriff“ bedeute, meinte er schon im Nachsatz. Der Pflegesektor benötige nun mal Wettbewerb. Neue Heime zu bauen, sei „sehr kapitalintensiv“. Und große Finanzinvestoren seien bislang kein Massenphänomen. Gleichwohl: Sein Ministerium werde den Markt im Auge behalten.

Idee 8: Ausländische Pflegekräfte

Für die benötigten Pflegekräfte werde man „auch im Ausland suchen müssen“, sagte Spahn bei der Präsentation seiner „Konzertierten Aktion Pflege“ mit Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD). Er kritisierte die komplizierte Anerkennung von Berufsabschlüssen und dass Pflegekräfte aus Albanien und dem Kosovo zu lange auf Visa warten müssten. Heil erwägt für ausländische Pflegekräfte sogar eine befristete Aufenthaltserlaubnis zur Jobsuche. Im vergangenen Jahr arbeiteten hierzulande 128 000 Ausländer sozialversicherungspflichtig in Alten- und Krankenpflege. Ihre Zahl hat sich seit 2013 fast verdoppelt. Mehr als die Hälfte stammt aus der EU. Dazu kommen viele Osteuropäerinnen, die Pflegebedürftige in Privathaushalten betreuen. Da sie meist illegal beschäftigt sind, ist ihre Zahl nicht bekannt. Die Schätzungen belaufen sich auf bis zu 300 000.