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Acht Jahre sind genug

Die DresdnerinEva-Maria Stange gibtden Bundesvorsitz derGewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ab.

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Von Carola Lauterbach

Vor gut einem Jahr hat sie im engeren Kreis angedeutet, „aus rein persönlichen Gründen“ nicht wieder für das Amt der Bundesvorsitzenden zu kandidieren. So richtig ernst genommen hat das wohl aber niemand. Warum auch? Der Laden lief doch. Lief gut. Im Herbst letzten Jahres machte es Eva-Maria Stange dann fest und öffentlich. Sie werde auf dem morgen in Erfurt beginnenden 25. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) definitiv nicht mehr antreten, erklärte die Dresdnerin. Da war die Gewerkschaft aufgeschreckt. Manche hat das regelrecht erschreckt.

„Eine Ära geht zu Ende“

Vor allem Gewerkschaftsfunktionäre in den ostdeutschen Landesverbänden wurden ein wenig wehmütig. Eine Ära geht zu Ende, heißt es da, nicht ganz frei von Pathos. Natürlich, so viele Beispiele à la Stange gibt es ja nun wirklich nicht: Frau aus dem Osten steht an der Spitze einer Bundesunternehmung! Möge die Eva-Maria das doch ewig tun, hoffte man wohl auch aus diesem Grund zwischen Meckpom, Thüringen und Sachsen. Als Nachfolger wird ein Mann gehandelt. Aus Berlin. West.

Die promovierte Pädagogin will noch einmal neu starten. Leiterin einer Gesamtschule in Sachsen, sagt die 48-Jährige, wäre ihr Traum. Und lacht. Die vom sächsischen Kultusministerium für die Gewerkschaftsarbeit beurlaubte Lehrerin für Physik und Mathe will sich im Mai beim Regionalschulamt Dresden melden. „Ich gehe fest davon aus“, sagt sie, „dass ich in den Schuldienst zurückkehre. Ich freue mich darauf, auch wenn es sicher nicht einfach wird.“ Ihre letzte Unterrichtsstunde hat sie 1993 im Gymnasium Dresden-Klotzsche gegeben. Ob sie bedacht hat, dass sie in Sachsen möglicherweise sofort der von der Regierung angedachten allgemeinen Teilzeit anheim fällt? Wie dem auch sei, sie hat, wie sie betont, ihre Entscheidung sorgfältig – und gemeinsam mit ihrem Mann getroffen.

Das ist nun eigentlich etwas vollkommen Neues in ihrer Biografie. Zumindest die beiden letzten beruflichen Entscheidungen traf sie weitgehend allein. Als sie sich 1993 zur Vorsitzenden der GEW in Sachsen wählen ließ, blieb ihr eine Nacht zum Überlegen. Vier Jahre später beim Bundesgewerkschaftstag in Chemnitz stieg sie wie Phönix aus der Asche zur Bundesvorsitzenden auf. Als ihr Vorgänger, der fast zur Legende gewordene Dieter Wunder, überraschend keine Mehrheit im ersten Wahlgang erhielt und gekränkt auf einen zweiten verzichtete. Stange blieben nur ein paar Stunden und ein kurzes Telefonat mit dem Ehemann, ihren Hut in den Ring zu werfen. Sie tat es – und wurde mit 419 von 492 Stimmen zur mächtigen Frau einer damals noch fast 300 000 Mitglieder zählenden Gewerkschaft. Die Töchter waren 18, 16 und elf, das neue Häuschen am Stadtrand von Dresden eben bezogen, als sie sich zur Berufspendlerin Dresden – Frankfurt/Main aufmachte.

Ihr wurde von Beginn an Respekt entgegengebracht, sagt sie. Neugier auch. Ihre Amtszeit begann damit, dass sich kleine Gewerkschaften zur Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zusammenschlossen. Eva-Maria Stange wollte die GEW dahin führen. Die Mitglieder lehnten das mehrheitlich ab. „Ein schmerzlicher Lernprozess“, sagt sie.

In ihre Amtszeit fiel die Pisa-Studie – die Deutschlands Bildungssystem den Spiegel vors Gesicht hielt – und die Reaktion darauf. „Es ist erschreckend“, sagt die Noch-GEW-Vorsitzende, „dass so falsche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, die die soziale Schieflage verschärfen.“ Die Einführung von Studiengebühren sei nur ein Beispiel dafür.

Es gab den Amoklauf von Erfurt. Für Stange ein singuläres Ereignis, das tiefe Ursachen hat in einem enormen Auslesedruck, im ständigen Einteilen in Gewinner und Verlierer, was bereits bei der Schulreifeprüfung beginne. Lehrer brauchten keine Detektoren, reagiert die Gewerkschafterin auf entsprechende politische Postulate, sondern eine Ausbildung, die sie fit macht, um zu diagnostizieren. Und Rahmenbedingungen, die sie nicht zum Stundenhalter werden lässt.

Wenn Bildungspolitik heute auf der Tagesordnung des politischen Geschäftes steht, rechnet sich das die Dresdnerin auch als Verdienst der sich unter ihrer Leitung von der Interessensvertretung zur Bildungsgewerkschaft gewandelten GEW an. Das, sagt sie, sei zu ihrem Amtsantritt 1997 nicht so gewesen.

Idee von einer Schule für alle

Maßgeblich mit ihr in Verbindung gebracht wird die bildungspolitische Idee „einer Schule für alle“. Mit langer Zeit gemeinsamen Lernens. Dass nicht die soziale Herkunft über Bildungschancen entscheidet. Dass gefördert wird statt ausgelesen. Die Idee ist das eine …

Wo steht die GEW heute? „Notwendige bildungspolitische Reformen voranzutreiben und sich gleichzeitig gegen verschlechternde Arbeitsbedingungen zu wehren“, resümiert die Bundesvorsitzende. Und ihre persönliche Bilanz? „Es war eine erfolgreiche Zeit, die Rückschläge einschließt.“ Es war eine Kraft zehrende Zeit, immer auch mit schlechtem Gewissen der Familie gegenüber. „Die haben das prächtig gemeistert“, sagt sie leise.