Merken

Adrett auch im Dirndl

Langeweile kennt Christine Bär nicht. Dafür die schönsten Ecken von Bischofswerda.

Teilen
Folgen
© Steffen Unger

Von Constanze Knappe

Bischofswerda. Weihnachten ist vorbei. Rigoros räumt Christine Bär beim Kleiderfundus in Bischofswerda eine Schaufensterpuppe beiseite. Deren sexy Weihnachtskostüm ist am fünften Tag des neuen Jahres nun wirklich überholt. Die 64-Jährige verbannt die Puppe in eine hintere Ecke. Andere Kostüme rücken dafür in den Vordergrund. Unter mehreren Hundert kann man beim Kleiderfundus wählen. Ein Dirndl mit dunkelblauem Oberteil und kariertem Rock hat es Christine Bär besonders angetan. Dazu ein Korb voller Äpfel als Accessoire. So ausstaffiert zieht sie mehrmals im Monat los, um als Marktfrau Touristen oder auch Einwohner der Stadt durch Bischofswerda zu führen. Wenn sie auf dem Markt über den Schiebock redet oder den Mediaturm, passe das Kleid, findet sie.

Mit Menschen hat Christine Bär immer zu tun gehabt. Sie arbeitete „ein Leben lang bei der Post“. Zuletzt als Außendienstlerin von DHL. Da begleitete sie gewerbliche Kunden beim Aufbau des Online-Handels. In Ostsachsen und Teilen von Brandenburg war sie dafür unterwegs. Bis zu 80 000 Kilometer im Jahr. Wenn sie von Firmen, die es geschafft haben, in der Zeitung liest, freut sie sich mit und erinnert sich gern, wie sie mit den Existenzgründern einst an deren Küchentisch saß. Sie bezeichnet die Zeit rückblickend als spannend und die schönste ihres Berufslebens.

Besuch aus China

Der Job füllte sie zu 120 Prozent aus. Zeit für ein Hobby blieb da nicht. Als ihr das Unternehmen anbot, in Vorruhe zu gehen, griff sie zu. Doch wie sich bald zeigte, so einfach nur zu Hause sitzen, das war nichts für Christine Bär. Sie suchte sich eine Aufgabe und fand diese beim Betreuungswerk von Post, Postbank und Telekom, welches sich um Mitarbeiter im Ruhestand kümmert. Sie kniete sich rein, organisiert seitdem Feiern und Fahrten. Dankbar seien die Senioren dafür.

Seit 1972 lebt sie in Bischofswerda, zog einst der Liebe wegen hierher. Als sie 2014 in der SZ las, dass Stadtführer gesucht werden, machte sie das neugierig. „Du wohnst so lange hier und weißt eigentlich gar nicht richtig Bescheid“, sagte sie sich. Und dass es nicht schaden könne, sich mal intensiv mit Stadtgeschichte zu befassen. Sie büffelte für den Lehrgang und wurde Stadtführerin. Seither stellt sie immer wieder fest, wie schön Bischofswerda geworden ist. „Einheimische sehen das meist nicht so“, ist ihre Erfahrung. Sie spricht von liebevoll gestalteten Fassaden, von Schlusssteinen, Zunftzeichen und anderem mehr. Man müsse nur mit offenen Augen durch die Stadt gehen. Kinder führt sie besonders gern, zum Beispiel im Rahmen des Ferienpasses oder während des Lebendigen Adventskalenders. Ein paar Gruppen mehr könnte sie sich vorstellen. Auch mehr Erwachsene. Sie freut sich, „wenn sie was zeigen kann, was selbst Bischofswerdaer so noch nicht gesehen haben“. Ob sie mit 20 Gästen unterwegs ist oder nur mit zwei Frauen, wie es schon vorkam, immer hat Christine Bär selbst Spaß daran, bringt auch rüber, was nicht in Geschichtsbüchern steht. Ziemlich aufgeregt war sie, als sie chinesische Gäste durch Bischofswerda führen sollte. „In China gehen Städte erst bei drei Millionen Einwohnern los, da würden die 12 000 hier noch als Dorf gelten“, weiß sie aus eigenem Erleben in einem Urlaub dort. Der Bischofssitz ist ihre Lieblingsecke. Sie hofft, dass sich Stadt und Eigentümer zum Ende des Mietvertrags doch noch einigen. Auch der Bibliothek wegen. Sie schwärmt von der Atmosphäre, wenn bei den „Mitternachtsspitzen“, einer Veranstaltungsreihe von Stadtführern und Kleiderfundus, im Hof des Bischofssitzes die Lichter angehen. Für 2017 bereiten die Stadtführer „eine lebendige Führung“ vor. Da wird sie in die Rolle der Förster-Christel schlüpfen. „Die fuhr früh mit der Schubkarre in die Sandgrube und hat den Sand dann verkauft. Der wurde zum Putzen genutzt. Das Geld vertrank sie“, beschreibt Christine Bär das Original. Das Kostüm dafür hat sie bereits ausgewählt. Weil sie immer mal wieder eins braucht, kam sie zum Kleiderfundus. Und blieb. Jeden Montagnachmittag hilft sie ehrenamtlich im Laden des Vereins an der Bautzener Straße Interessenten bei der Auswahl.

Eine Frage der Organisation

Wegen ihres Auftretens als Stadtführerin und dem Ehrenamt beim Kleiderfundus wurde sie zur Ideenkonferenz eingeladen in Vorbereitung auf das Stadtjubiläum 790 Jahre. „Es gibt viele engagierte Leute in Bischofswerda, die klare Vorstellungen haben, wie sie sich einbringen wollen“, sagt Christine Bär. Auch sie möchte das. So wie sie das an anderen Stellen tut. Zum Beispiel bei Veranstaltungen des TV 1848 Bischofswerda, wo ihr Mann Armin (68) stellvertretender Vereinsvorsitzender ist und sie sich mit, um die Versorgung der Sportler kümmert. Alles unter einen Hut zu bringen, sei doch bloß eine Frage der Organisation. „Es fällt nicht schwer, wenn man etwas gerne macht. Viel schlimmer wäre es, ich wüsste nicht, was ich machen soll“, sagt sie. Davon aber kann keine Rede sein. Jeden Donnerstagnachmittag halten sich Armin und Christine Bär, die Eltern von drei erwachsenen Söhnen sind, als Oma-Opa-Tag frei. Für die drei Enkel aus der Nähe, die beiden aus Dresden sehen sie leider nicht so oft. Mit den Enkeln sind Bärs gern im Garten, in der Bibliothek oder im Tierpark, wo sie die Patenschaft für eine Schneeeule übernommen haben.

Seit die Bischofswerdaerin nicht mehr arbeitet, tanzen sie und ihr Mann zweimal die Woche. Nach dem Tanzsportabzeichen machen sie weiter. Walzer ist ihr Lieblingstanz. Regelmäßig geht Christine Bär ins Fitnessstudio. Früher habe sie keine Zeit dafür gehabt und deswegen oft ein schlechtes Gewissen. Dass sie sich etwas sportlich betätigt, sei womöglich ein Grund dafür, dass sie „kaum Wehwehchen“ hat. Trotzdem wünscht sie sich für das neue Jahr zuerst Gesundheit. Aber auch, dass es im Kleiderfundus so erfolgreich weitergeht und dass die Stadtführungen noch besser angenommen werden.