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„Wir wollen das Land verändern“

In Gröditz haben sich die vier AfD-Landtagskandidaten vorgestellt. Ein Thema blieb außen vor.

Von Christoph Scharf
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© SZ-Grafik

Sonst trainiert hier ein Tanzclub. Es gibt Infoabende zum Insektensterben. Der Stadtrat debattiert hier über eine neue Sporthalle. Am Donnerstagabend aber hat die AfD das Podium im Gröditzer Dreiseithof übernommen. Die vier Direktkandidaten für die Landtags-Wahlkreise im Landkreis stellen sich vor. „Wir haben hier vier Prüffälle zu sitzen“, spielt Maximilian Krah auf die Entscheidung des Verfassungsschutzes an, die AfD zum „Prüffall“ zu erklären. „Jetzt können Sie selbst prüfen.“

Der Dresdner Rechtsanwalt, auf Platz 3 der AfD-Europawahlliste, hat die Moderation übernommen. Er hat es leicht: Offenbar sind ausschließlich Mitglieder und Sympathisanten der Partei gekommen. Rund 40 werden es im Lauf des Abends, damit ist der Saal etwa halb gefüllt. Im Publikum dominieren Pullover in gedeckten Tönen, die meisten Gäste dürften zwischen 40 und 65 sein. „Ich sehe viele bekannte Gesichter hier“, sagt Krah. Es komme ohnehin auf Mund-zu-Mund-Propaganda an, weil die Medien über die AfD herzögen, sagt der Jurist. Als Verteidiger von AfD-Politiker Jens Maier für dessen „Halbneger“-Tweet war er gerade erst vom Spiegel interviewt worden.

In Gröditz aber sollen regionale Themen im Mittelpunkt stehen – diese Ansage gibt es in den kommenden zwei Stunden immer wieder zu hören. Doch erst stellen sich die vier Kandidaten vor. Den Anfang macht René Hein, kurze graue Haare, blaue Krawatte, schwarzer Anzug. „Zehn Jahre POS, zwei Jahre Autoschlosser-Lehre, Grundwehrdienst, nach der Wende eine Firma gegründet“, sagt der Kandidat für Radebeul. Mit Frau, zwei Kindern, Haus sei er ein „sehr konservativer Mensch“. Zur AfD habe ihn Merkels Europapolitik gebracht.

Sein Nachbar sitzt bereits im Landtag: Mario Beger betreibt einen Natursteinhandel mit Nebensitz in Spanien. „Ich bin politisch aktiv geworden, weil ich die Folgen der Euro-Einführung in Spanien gesehen habe“, sagt der Großenhainer Handwerksmeister. Mit Autos statt Steinen handelt Carsten Hütter, der in Riesa antritt. „Ich habe einen Migrationshintergrund“, sagt der Mann aus dem Ruhrgebiet, der nach der Wende erst ins Erzgebirge kam – um 2017 bei der Bundestagswahl in Meißen gegen den damaligen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) anzutreten. Ihn wurmt noch immer, dass er verloren hat. „Bis zur Auszählung der Briefwahlstimmen lag ich vorn. Da kann sich jeder seinen Teil denken.“ Tatsächlich lag Hütter bei den Erststimmen knapp sechs Prozent hinter de Maizière, während die AfD bei den Zweitstimmen im Wahlkreis deutlich vor der CDU landete. Bei der Landtagswahl heißt sein Gegner Geert Mackenroth, „der Ausländerbeauftragte – das ist mir eine besondere Freude.“ Thomas Kirste schließlich trifft in Meißen auf Daniela Kuge (CDU) – und auf Frank Richter, der für die SPD antritt. „Richter wird die CDU mehr Stimmen kosten als uns, da bin ich nicht böse“, sagt der Betriebswirt, der einst wegen Frauke Petry in die AfD eingetreten ist.

Mit der ersten Bürgerfrage wird es doch gleich hochpolitisch. Ein Gröditzer Ruheständler möchte wissen, wie die Partei zu Volksentscheiden steht. Die Antwort vom Podium: Man wolle nach Schweizer Vorbild mehr Bürgerbeteiligung, „Die AfD billigt unserem Volk die Kompetenz für Entscheidungen zu“, sagt René Hein. Aber wie war das mit regionalen Themen? Kirste fühlt sich mit seinen jüngsten Aussagen zur Porzellanmanufaktur Meissen falsch interpretiert – tatsächlich setze er sich für den Weiterbestand ein. Hütter spannt einen Bogen, der vom Hafenausbau in Riesa bis zu den Feldrainen der Lommatzscher Pflege reicht – und will so dem Vorwurf Mackenroths entgegentreten, er kenne sich in der Region nicht aus. Im Landtag jedenfalls zählt er zu den Anfrage-Meistern: 500 Treffer zählt die Parlamentsdatenbank bei ihm, bei Mackenroth sind es elf.

Der Großenhainer Mario Beger schimpft, dass im Landtag Anträge der AfD aus Prinzip von den anderen Fraktionen abgelehnt würden. René Hein ist als Hobbyjäger auf den Wolf sauer, was für Beifall sorgt. Und als Fan des Radebeuler Karl-May-Festes mache ihn wütend, dass jemand die Südstaaten-Fahne im historischen Saloon als „rassistisch“ skandalisiere. Hütter empört sich über Dieselfahrverbote, „ein typisch linksgrünes Projekt“. „Die Feinstaubdiskussion nimmt quasireligiöse Züge an“, sekundiert der Radebeuler Hein. Grüne Ideologen wöllten den Deutschen den Autobesitz vergraulen.

Nur das Thema Migration scheint niemanden zu interessieren. Schließlich will jemand wissen, mit wie viel Prozent die AfD rechne: „Wir haben den Anspruch, in Sachsen den Ton anzugeben“, sagt Krah. „Wir wollen das Land verändern.“ 30 Prozent sollten es dafür schon sein. Ein Senior mit Ohrring fragt, ob die AfD nicht vielleicht mit der Linken könne? Hütter reagiert erregt: „Ist das Ihr Ernst?“ René Hein sieht die Linke von „wertkonservativen Ex-SED-Mitgliedern und jungen Krawall-Linken“ geprägt – nur mit wenigen könne man reden. Aber wer könnte nun „Steigbügelhalter“ für eine AfD-Mehrheit sein, fragt jemand. „Ich wünsche mir eine Minderheitsregierung“, sagt Hütter: Dann müsste sich die CDU für jeden Antrag Mehrheiten suchen. Beifall und Schluss.