Von Thomas Schade
Dresden. Nun kommt der Zeitplan doch noch etwas durcheinander im Prozess um die Entführung und Ermordung der Unternehmertochter Anneli Riße. Die Schwurgerichtskammer des Dresdner Landgerichts, so deren Vorsitzende Birgit Wiegand, sieht „erheblichen Beratungsbedarf“ für die Urteilsfindung und fasst derzeit den 5. September zur Verkündung des Urteils ins Auge.
Mit den Erklärungen der psychiatrischen Sachverständigen näherte sich die Beweisaufnahme am Freitag dem Ende. Zwei Gutachter sollten klären, ob seelische Erkrankungen oder pathologische Persönlichkeitsstörungen bei den Angeklagten zur verminderten Schuldfähigkeit führen könnten. Die Sachverständigen stießen auf sehr unterschiedliche Probanden. Der Hauptangeklagte Markus B. hatte es abgelehnt, sich von dem Berliner Psychiater Ludwig Kröber befragen zu lassen. Der Mitangeklagte Norbert K. stand dem Gutachter Matthias Lammel zur Verfügung. Die Experten kamen zum Ergebnis, dass bei keinem Angeklagten Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit vorliegen.
Dennoch sind für Annelis Tod zwei sehr unterschiedliche Tätertypen verantwortlich. So erkannte Ludwig Kröber bei Markus B. eine große Diskrepanz zwischen dessen wahrer Lebensgeschichte und dem Leben, das er seinem persönlichen Umfeld darstellte. Markus B. wollte bisher stets mehr sein, als er tatsächlich war. Zudem halte er sich für intelligenter als er tatsächlich ist. Er sprach von seinem Hof in Lampersdorf, der ihm nicht gehörte. Er sprach von einer großen Erbschaft, die er erwartete, stammte aber aus einer kinderreichen Familie, in der das Geld gerade so reichte.
In den Augen des Gutachters lebte Markus B. bisher mit einer permanenten Selbstüberschätzung. Er sei unkritisch sich selbst gegenüber und überschätze seine Möglichkeiten und seine Leistungsfähigkeit. Dafür sei er in die Rolle des „tollen Typen“ geschlüpft, der in jeder Lebenslage wisse, was zu tun sei. Mit Dominanz und Überzeugungskraft habe er diese Rolle ausgefüllt – auch nachdem wenige Wochen vor der Tat ein Erpressungsversuch der Handelsketten Lidl und Kaufland gründlich in die Hose gegangen war.
Von diesem Alpha-Männchen ließen sich viele beeindrucken, seine Frau, Amtspersonen und auch Norbert K., der 62 Jahre lang völlig unauffällig durchs Leben gegangen war, wie es sein Gutachter formulierte. Geltungsdrang sei ihm fremd, Norbert K. suche eher die Nischen des Lebens und passe sich an.
Während Markus B.s Verhalten nach der Tat darauf gerichtet gewesen sei, sich selbst zu schützen, trage Norbert K. schwer an dem, was passiert ist, so Lammel. Im Gespräch sei er sehr betroffen gewesen, dass er bei der Tat mitgewirkt hat. K. habe gewusst, dass er hätte anders handeln müssen. Er hatte die Chance, „die Seite zu wechseln“ und die Sache zu beenden. Das habe er nicht fertiggebracht. Gründe konnte Norbert K. nicht nennen. Der Prozess wird kommenden Donnerstag fortgesetzt.