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Als die Elbe einmal richtig ausgetrocknet war ...

... strömten Katastrophen-Touristen von weit her nach Dresden, um den zum Rinnsal gewordenen Fluss zu bestaunen.

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© Sammlung Holger Naumann

Von Ralf Hübner

Sommer pur – das sind viel Sonne, Temperaturen jenseits der 30 Grad und kaum Regen. Eine Kehrseite der Dürre: In der Elbe wird das Wasser knapp. Der Wasserstand an der Augustusbrücke schwankt seit Wochen zwischen 63 und 56 Zentimetern. Normal wären etwa zwei Meter. Die Sächsische Dampfschiffahrt fährt noch bis Pillnitz. In Blasewitz wird nicht mehr angelegt. Der abgemagerte Fluss wirkt jammervoll.

Noch vergleichsweise unspektakulär: Das Niedrigwasser 2018. Für „Schatzsucher“ gibt es noch nichts zu holen. Aber der Sommer ist noch nicht zu Ende.
Noch vergleichsweise unspektakulär: Das Niedrigwasser 2018. Für „Schatzsucher“ gibt es noch nichts zu holen. Aber der Sommer ist noch nicht zu Ende. © Sven Ellger

Ein noch schlimmeres Bild muss er jedoch von Juni bis September 1904 abgegeben haben. Seit Ende Mai hatte es damals in Sachsen und Böhmen kaum geregnet. Eine stabile Hochdrucklage blockierte feuchte Atlantikluft. Die Sonne brannte. Der Elbpegel fiel. „Das Jahr 1904 ist ein außergewöhnlich trockenes bei übernormaler Temperatur und durchschnittlich normaler Bewölkung“, schrieb die Presse.

„Durchfluss von Wasser besteht nur noch (ohne Fahrwassertiefe) unter dem dritten und vierten Bogen“, beschrieb das „Dresdner Journal“ am 21. Juli die Lage an der Augustusbrücke. „Zahlreiche Menschen suchten das Flussbett nach Kohlen und Wertsachen ab.“ Ein Herr habe einen Goldreif im Wert von 30 Mark und ein Junge ein Zwanzigmarkstück gefunden.

Am 2. August berichtete die gleiche Zeitung: „Das Wasser ist noch weiter gefallen.“ Und weiter: „Während der nahe König-Albert-Hafen noch immer für kleine Schiffe gangbar ist, hat am Pieschener Winterhafen aller Verkehr eingestellt werden müssen. Nach langem vergeblichen Ringen hat daher auch die Sächsisch-Böhmische Dampfschiffahrtsgesellschaft höherer Gewalt weichen und ihren ganzen Dampferbetrieb mit heute Abend einstellen müssen.“ Betroffen waren auch Güterschiffe und die noch verbreitete Flößerei.

Katastrophen-Touristen strömten teilweise von weit her nach Dresden, um den zu einem Rinnsal gewordenen Fluss in Augenschein zu nehmen. „Das Flussbett mit seinen weißen Kieseln dient schon jetzt als Promenade und nur wenig fehlt, dass man von der Altstadt aus die Neustadt ohne eine Brücke zu benutzen trockenen Fußes erreichen kann“, berichtete eine Zeitung. Tausende Dresdner sollen den Fluss zu Fuß durchquert haben. „Wie wäre es denn, wenn man an einigen leicht passierbaren Stellen der Elbe unter Aufsicht von Schiffern gegen Entgelt, vielleicht 50 Pfennig pro Person, Übergänge für das sportliebende Publikum schaffte und den Erlös den armen Schiffern zugutekommen ließ?“, fragte eine Dresdner Zeitung. Der Dresdner Anzeiger erwähnte sogar Fuhrleute, die ihre voll beladenen Wagen einfach durch die Elbe kutschierten, um abzukürzen. Schiffe wurden zur allgemeinen Belustigung auf Räder gesetzt und von Pferdegespannen gezogen. Musiker, die von einem Begräbnis kamen, spielten in der Strommitte vergnügt ein Musikstück.

Viele Dresdner verfielen einer besonderen Leidenschaft: Sie suchten im Kiesbett nach Schätzen. „Elbflorenz“ wird zu „Elb-Klondike“. Wie im kanadischen Goldschürfer-Paradies durchsieben Bewohner den Flusskies. Ein wohl nicht ganz ernst gemeintes Schild an der Augustusbrücke warnt: „Das Betreten sowie Räubern auf dem Goldfelde ist bei 1 000 Mark Strafe verboten.“ Das hielt die Glücksritter natürlich nicht ab. Der Ertrag soll allerdings ernüchternd gewesen sein. Die „Schatzsucher“ fanden Goldmünzen, die sich als falsch herausstellten, eine Kiste mit mehreren Flaschen „Kronstädter Sauerbrunnen“, ein Mineralwasser aus Siebenbürgen. Gefunden wurden haufenweise gefälschte Zwanzigmarkscheine. Diesen Fall übernahm die Polizei. Die Behörden versuchten, das Betreten des Strombettes zu unterbinden und drohten mit saftigen Geldstrafen. In der Nähe der Marienbrücke fanden Passanten zwei Artillerie-Hohlgeschosse. Zudem sollen Patronen und Kartätschen gefunden worden sein.

Nicht gefunden wurde hingegen das große vergoldete, 1670 von Andreas Herold gegossene Kruzifix über dem fünften
Pfeiler der Augustusbrücke, der am 31. Mai 1845 bei einer Flut eingestürzt war.

Ende Juli tauchten bei Cotta in Höhe der Bahnstation sogenannte Hungersteine aus der Elbe auf. Dies passierte nur in schlimmen Dürrejahren und bei starkem Niedrigwasser. Tausende Neugierige sollen gekommen sein, sie zu sehen, berichtet die Dresden-Chronik. Etwas weiter flussaufwärts verärgerte verpestete Luft die Anwohner. Die Stadt leitete dort Fäkalien in den dünn gewordenen Fluss. Doch sie blieben bei Stetzsch liegen.

Die Stadt nutzte die Trockenheit für Bagger-, Bergungs- und Ausbesserungsarbeiten im Flussbett und an den Brücken.

Anfang September wurde ein Wasserstand von 231 Zentimeter unter null vermeldet. Das würde heute etwa 69 Zentimetern entsprechen. Ein Vergleich ist jedoch kaum möglich, weil die Elbe damals unter anderem noch nicht so tief ausgebaggert war und es noch keine Staustufen gab. Ab 3. September führten Gewitter mit erheblichen Niederschlägen zum Steigen der Flüsse. Am 2. Oktober konnte die Schifffahrt den Betrieb ganz wieder aufnehmen.