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Als die Rote Armee in die Roscher-Villa einzog

In dem abgebrannten Neugersdorfer Haus war eine Zeit lang die Kommandatur. Ein Zeitzeuge erinnert sich.

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© Thomas Eichler

Von Romy Kühr

Neugersdorf. Wenn Wolfgang Gansler vor der Villa am Neugersdorfer Kreisverkehr steht, kommen dunkle Erinnerungen bei ihm hoch. Denn in dem historischen Gebäude, dessen Dachstuhl vor drei Wochen abbrannte, hat er die „schlimmsten zehn Tage meines Lebens verbracht“, wie er sagt. Die Erinnerungen des heute 86-Jährigen schließen die Lücke in der Geschichte des Hauses zwischen der Zeit als Wohnhaus der Fabrikantenfamilie Roscher und jener Zeit, als die Villa als Kindergarten genutzt wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die sowjetische Armee eine Einheit in dem Haus stationiert. Deren Aufgabe war es offenbar, die sowjetische Besatzungszone von „feindlichen Elementen zu befreien“. So formuliert es jedenfalls ein Befehl aus dem Frühjahr 1945. Männer, die im Verdacht standen, Verbindungen zum Nationalsozialismus zu haben, wurden in der Villa in Gewahrsam genommen. Auch Wolfgang Gansler saß dort ein. Der gebürtige Eibauer war damals erst 15 Jahre alt. Er war begeisterter Segelflieger, trainierte das Fliegen in der alten Fliegerhalle am Eibauer Hänschberg. Bereits mit 14 Jahren hatte er eine erste Flugprüfung abgelegt, berichtet er. Wohl deshalb geriet er ins Visier der Roten Armee, vermutet er.

Im Untergeschoss der Roscher-Villa, erzählt er, waren damals bis zu sieben oder acht solcher „Gefangener“ in einem Raum untergebracht. Dort hatten auch die Bediensteten ihre Räume, es gab zum Beispiel Köche und Hauswirtschaftler, die für die sowjetische Armee-Einheit dort arbeiteten und das Haus in Schuss hielten. „Es gab in unserem Raum eine lange Holzpritsche. Dort lagen wir alle nebeneinander“, erinnert sich der Rentner. Mehrmals, tagsüber und auch nachts, wurden die Insassen zu Befragungen in die oberen Räume gebracht. Dort sei alles sehr prunkvoll und gut erhalten gewesen, erinnert sich Wolfgang Gansler an die Einrichtung. Warum er schon nach zehn Tagen wieder aus dem Gewahrsam in der Neugersdorfer Villa entlassen wurde, darüber kann er nur Vermutungen anstellen. „Wahrscheinlich war ich einfach noch zu jung. Ich hatte Glück“, sagt Wolfgang Gansler rückblickend.

An einem warmen Sommertag, so erinnert er sich, wurde er wieder freigelassen und lief zu Fuß über den Schamotteweg nach Hause. Sein weiterer Lebensweg führte ihn zunächst nach Hannover. Nach einigen Jahren kehrte er jedoch in die Oberlausitzer Heimat zurück, wurde zunächst Weber und später dann Lehrer. Daher kennen ihn viele aus der Umgebung noch. Er unterrichtete 20 Jahre lang an der Schule in Walddorf.

Auch wenn er an die Neugersdorfer Roscher-Villa keine guten Erinnerungen hat – sehr schade sei es dennoch um das Haus, sagt Wolfgang Gansler. „Es ist schon ein beeindruckendes Gebäude gewesen.“ Ein großer Teil der eindrucksvollen architektonischen Details ist nun durch das Feuer zerstört. Die Ermittlungen des Kriminaldienstes zur Brandursache dauern indessen weiter an. Der Sachverhalt an sich sei jedoch aufgeklärt, informiert die Polizei auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung. Drei Kinder im Alter von zehn, elf und zwölf Jahren haben bereits eingeräumt, dass sie im Dachgeschoss des Gebäudes gezündelt haben. Die Staatsanwaltschaft wird nach Abschluss der Ermittlungen über den weiteren Werdegang zu entscheiden haben, so die Pressestelle der Polizei.