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Als ein Holländer in Heidenau Geschichte schrieb

Jan Deremaux war 1944/45 als Zwangsarbeiter in der Stadt. Für seine Familie und Heidenau hat er etwas Wichtiges hinterlassen.

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© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Heidenau. Die wirklich wichtigen Dinge sehen oft unscheinbar aus. Sie sind schwarz-weiß wie das Hochzeitsfoto von Jan und Corrie Deremaux oder es sind 40 handgeschriebene Seiten ihres Sohnes Charles.

Das Hochzeitsfoto von Jan und Corrie Deremaux ist eines der wenigen erhaltenen Bilddokumente.
Das Hochzeitsfoto von Jan und Corrie Deremaux ist eines der wenigen erhaltenen Bilddokumente. © privat
Charles, der Sohn von Jan Deremaux, hat den zweiten Teil der Tagebücher seines Vaters aus dem Holländischen ins Englische übersetzt und der Stadt Heidenau übergeben.
Charles, der Sohn von Jan Deremaux, hat den zweiten Teil der Tagebücher seines Vaters aus dem Holländischen ins Englische übersetzt und der Stadt Heidenau übergeben. © Norbert Millauer

Er hat ein weiteres Stück des Tagebuches seines Vaters vom Holländischen ins Englische übersetzt. Diese Woche übergab er den zweiten Teil seiner Arbeit dem Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU). Der lässt ihn nun ins Deutsche übersetzen. Direkt wäre es einfacher gewesen, aber dafür fand sich niemand. Weil es sich bei dem Tagebuch um ein wichtiges Zeitdokument handelt, nehmen Charles und die Stadt Heidenau die Arbeit gern auf sich.

Jan, der junge Holländer, der am 1. Mai 1940 geheiratet hatte, war von Januar 1944 bis Mai 1945 als Zwangsarbeiter in Heidenau. Eine für ihn entscheidende Zeit, die er detailliert festhielt. Er schrieb über einzelne Betriebe und wie man die Zwangsarbeiter dort behandelte, über die Verpflegung und das Wetter.

1997 kam Jan Deremaux das erste Mal zurück nach Heidenau. Er brachte die ersten Seiten des abgetippten Tagebuches mit. Für Stadtarchivar Dietmar Diener eine Sternstunde. Bisher gab es zu der Zeit 1944/45 kaum etwas im Heidenauer Stadtarchiv. Diener war begierig, so viel wie möglich zu erfahren. Doch plötzlich kam keine Post mehr aus Holland. Jan war gestorben. Über viele Ecken fanden sich Dietmar Diener und Charles Deremaux.

Künftig im Archiv nachlesbar

Nun waren er und sein Sohn Jerome wieder in Heidenau und begaben sich auf die Spuren ihres Vaters und Großvaters, begleitet von Archivar Diener. „Er weiß alles“, sagt Jerome Deremaux. Sie waren in Wölkau, wo Jan mit seinen Freunden Zigaretten rauchte. Sie waren in Glashütte und Altenberg, wo Jan im harten Winter 1994/45 Schnee schippte, die Entdeckungsreise führte sie in die Geschichte.

Jerome und Charles leben seit vielen Jahren in England. Jerome ist Lehrer für Geschichte. Die Geschichte seines Opas verwendet er im Unterricht. Die Schüler interessiere es, weil es authentisch ist. Die Nachfahren, Dietmar Diener und auch Bürgermeister Opitz wünschen sich, dass dieses Kapitel auch die Heidenauer Schüler interessieren möge.

Charles macht sich jetzt zu Hause in England an die Übersetzung der letzten Seiten des Tagebuches seines Vaters. Weihnachten will er sie Dietmar Diener schenken. Das nach der Übersetzung ins Deutsche fertige Dokument soll künftig im Heidenauer Stadtarchiv als Quelle für alle nutzbar sein. Ein Buch wird nicht daraus, sagt Bürgermeister Opitz. Das sei vor allem hinsichtlich rechtlicher Fragen zu kompliziert. Was jedoch immer noch fehlt, sind Fotos aus der Zeit der Zwangsarbeiter. „Nicht mal ich habe welche“, sagt Dietmar Diener. Ein einziges Bild gibt es, das Kriegsgefangene beim Schneeschippen in Bahnhofsnähe zeigt.

Jan sei ein sehr ehrlicher Mensch gewesen, sagen Sohn und Enkel. Er habe nach seiner Rückkehr nach Holland nichts erzählt, was er nicht erlebt hat. Im Gegenteil zu einigen anderen, sagt Charles. „Er hat immer gesagt, dass er in Heidenau trotz der Entbehrungen und der schweren Zeit nie geschlagen wurde und sich frei bewegen konnte.“

Die wirklich wichtigen Dinge im Leben sehen vielleicht schwarz-weiß aus, sind es aber nicht.