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Dresden wie es noch nie zu sehen war

Erstmals werden auf einer DVD Amateurfilme über Dresden aus den 20er-Jahren gezeigt. Eine Aufnahme kehrte aus den USA zurück.

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Von Peter Ufer

Ein Mann läuft wie ein Gockel übers Land. Die gespannte Brust unter der Uniform, breites Lächeln für die anwesenden Damen. Ein Leutnant der Wehrmacht geht baden. Nicht irgendwo, sondern im Dresdner Stadtteil Mockritz im Sommer 1943. Jenseits der deutschen Grenzen schiebt sich gerade der Tod durch die Schützengräben, doch hier, im Dresdner Süden, stolziert der Mann in Uniform und Damen im Arm auf dem sonnigen Laufsteg zum Badewasser.

Diese historische Filmaufnahme landete kürzlich in einem Paket per Post aus den USA beim Dresdner Filmemacher Ernst Hirsch. Dazu ein Brief in Englisch, der erklärt, was da zu sehen ist. Absender ist Richard Brändel. Der US-Amerikaner schreibt, dass die Familie aus Dresden stammt und in den 1950er-Jahren in die Vereinigten Staaten übersiedelte. Vor fünf Jahren starb der Vater, und danach fand der Sohn im Nachlass zehn Blechdosen mit Acht-Millimeter-Filmen. Darunter die Aufnahmen des stolzen Vaters in Uniform. „Mein Vater war nicht in der Nazi-Partei, aber acht Jahre in der Wehrmacht. Er trug auch in der Freizeit gern Uniform.“ Dazu heißt es im Brief: „I think it was probably a pretty good way to pick up girls.“ Frei übersetzt: „Ich denke, das war ein guter Weg, um Frauen abzuschleppen.“ Im Film sieht der Sohn seinen Vater plötzlich wie durch eine Zeitmaschine noch einmal – als jungen Macho durch die sächsische Heimat marschieren.

Richard Brändel trennte sich von dem Filmpaket, weil er gehört hatte, dass in Dresden historische Streifen gesucht wurden. Er glaubt, dass auch seine Filme dorthin gehören, wo sie entstanden sind. In seinem Paket lag eine weitere Filmrolle mit Bildern vom Dresdner Zoo aus dem Jahr 1942. Richard Brändel schreibt, dass der Bruder des Vaters Richard und die Schwester Maya bei dem Ausflug dabei waren. Beide leben nicht mehr. Sie kamen um, als am 13. Februar 1945 die Alliierten-Flieger ihre Bomben über Dresden ausklinkten. Der Vater sei da schon in russischer Gefangenschaft gewesen. So verrückt es klingen mag, aber das habe ihm das Leben gerettet.

Infos zur DVD

Die DVD „Dresdner Filmschätze Teil 1“ ist in der Edition Sächsische Zeitung erschienen. Sie zeigt in mehr als 50 Minuten Dresden zwischen 1920 und 1945. Und auch einer der ältesten noch existierenden Filme über Dresden aus dem Jahr 1903 ist Teil dieser Dokumentation.

Die DVD ist ab sofort in allen SZ-Treffpunkten zum Preis von 14,90 Euro erhältlich - Inhaber der SZ-Card zahlen 12,90 Euro.

Online kann die DVD unter www.editionsz.de bestellt werden.

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Die Filme überstanden die Bombennacht in einer Metallkiste im Keller des Dresdner Hauses und blieben unbeschadet. Wie einen Schatz nahmen die Eltern die Kiste mit in die Vereinigten Staaten. Jetzt sind die Filme zurück in der Heimat und erstmals öffentlich zu sehen.

Die bewegten Bilder gehören zu jenen Dresdner Filmschätzen, die der Dokumentarfilmer Ernst Hirsch gemeinsam mit der Redaktion der Sächsischen Zeitung zu einem neuen Film zusammengefügt hat. Nach dem Aufruf der SZ im Februar zur Suche nach historischen Filmen kamen echte Raritäten zusammen.

Die so entstandene erste DVD zeigt Aufnahmen von 1903 bis 1944. Zu sehen sind neben Streifzügen durch die alte Innenstadt auch ganz private Alltagsszenen. Ein Dreijähriger stiefelt beispielsweise in Unterhosen durch den Garten. Im Hintergrund zu sehen: Gründerzeithäuser mit einer architektonischen Leichtigkeit wie in der Toskana. Herrliche Balkone mit Palmen, Markisen vor den großen Fenstern, großzügige Gärten. Mondäne Bauten auf der Würzburger Straße in Dresden. Keines der Gebäude existiert mehr, alle brannten 1945 aus und wurden später abgerissen. Der Film zeigt das alte Dresden noch einmal.

Zu sehen ist auch ein kleiner Junge, der sich die Welt erobert. Er bekommt in der Klappe vor den Szenen den Namen Wunderkind. „Warum ich ein Wunderkind gewesen sein soll, weiß ich bis heute nicht“, sagt Wolfgang Baerthold, 1931 in Dresden geboren. Der Dreikäsehoch studierte später nach dem Abitur Medizin, arbeitete von 1961 bis 1996 zunächst als promovierter HNO-Arzt und später als Professor an der Medizinischen Akademie, der heutigen Universitätsklinik.

Der Onkel des Wunderkindes filmte in den 1940er-Jahren die Familie in Dresden. Die Bilder zeigen die Mode jener Jahre, die Wohnung, die Straßen, die Autos, die Straßenbahn und einen Spaziergang durch den Großen Garten, als dort 1936 die Reichsgartenschau stattfand. Es sind verblüffende Einblicke in die Zeit, als die Parkeisenbahn ihre ersten Runden drehte und Springbrunnen samt Illumination ihre Pracht entfalteten. Der Onkel, Gerhard Schneider, ebenfalls Arzt und Amateurfilmer, besaß eine 16-Millimeter-Kamera und inszenierte kleine Geschichten.

Wolfgang Baerthold hatte die Aufnahmen fast vergessen, denn nach dem Angriff 1945 auf Dresden waren die Filme verschwunden. Der Onkel hatte das Material bei Freunden im Naundorfer Schloss im Erzgebirge versteckt und war nach Bayern gegangen. Als die Schlossbesitzer enteignet wurden und das Anwesen zum Altersheim umgebaut werden sollte, da kam der Onkel noch einmal zurück. Denn in dem Schloss lagerten nicht nur die Filme, sondern auch Porzellan und anderer Familienbesitz. Auf der Rückfahrt gen Westen gaben sie den Soldaten Schnaps – ein kleiner Zoll für großes Eigentum. Erst 1992 bekam das Wunderkind, das in Dresden geblieben war, das alte Zelluloid wieder in die Hände. Der Onkel in Bayern war gestorben und die Nachfahren hatten kein Interesse an den Heimatfilmen. Baerthold nahm sie mit Freude und sah sich als kleiner Junge wieder.

Allerdings bedeutete die Rückkehr der Filme einigen Aufwand, sagt Ernst Hirsch. Denn viele der alten Streifen hatten Bruchstellen oder Risse. So begann die Arbeit mit der Reparatur der eingereichten Filme. Erst sichteten das Redaktionsteam und Hirsch mehrere Tage lang das Material, sortierten aus, was zu privat oder wenig relevant für eine breitere Öffentlichkeit war. Später kamen die 8-, 16- und 35-Millimeter-Filme zur Digitalisierung zur Firma Elschner. Es folgte der Schnitt am Computer. Die Filmteile wurden als Geschichten aneinandergefügt, kommentiert und mit Musik sowie Geräuschen unterlegt. Außerdem erzählen die Eigentümer ihre Erinnerungen. So wie Wolfgang Baerthold, der sich freut, der Geschichte der Stadt ein weiteres Mosaik hinzufügen zu können.

Noch nie gab es einen Dresden-Film, der aus historischen Amateuraufnahmen entstand. Ein Kompendium privater Eindrücke, die selten sind, aber in der Elbestadt Tradition haben. Denn neben wohlhabenden Bürgern, die sich die Kameras leisten konnten, entwickelte sich ab 1920 in der Stadt auch eine Amateurfilmbewegung. Dresden bot sich mit seinen Sehenswürdigkeiten als Motiv geradezu an. Aber auch politische Ereignisse wie das Begräbnis des letzten sächsischen Königs 1932 oder zwei Jahre später der Besuch Adolf Hitlers zur Reichstheaterwoche. Beide Ereignisse sind auf der DVD zu sehen.

Richard Brändel glaubt, dass seine Filme in Dresden gut aufgehoben sind. Nun geht ein Paket an ihn zurück. Darin die DVD mit den Filmschätzen.