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Als Oma Gertrud die Gasuhr fütterte

Die SZ erinnert an Orte, Institutionen und Menschen, die in Zittau jeder kannte und noch heute kennt. Heute: Das Gaswerk ging vor 160 Jahren in Betrieb.

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Von Heike Schwalbe

Kochen war Oma Gertruds größte Leidenschaft. Darum war sie stolz auf ihren neuen modernen Gas-Kohle-Herd mit Backröhre, Heizwasserbereiter und zwei Gaskochstellen. Eines schönen Sommertages, als sie auf diesem das Mittagessen bereitete, ging hier plötzlich die Flamme aus. Gertrud wusste sofort, was los war und rief ihre Enkelin: „Inge, komm schnell, lauf zum Gaswerk und hol eine neue Marke!“ Sie drückte ihr 23 Pfennige in die Hand. Inge flitzte los und brachte schnell das Gewünschte. Damit wurde die Gasuhr gefüttert, und Oma Gertrud konnte fertig kochen.

Das ist eine wahre Geschichte, und sie ereignete sich in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Solch eine Begebenheit wie die hier geschilderte gab es sicherlich vielfach in Haushalten, die ans Gasnetz angeschlossen waren. So einfach gelangte man früher an Gas. Die Wichtigkeit einer eigenen Gasversorgung für die wachsende Stadt Zittau wurde bereits 1857 erkannt und der Bau einer Gasanstalt beschlossen. Einen Bauplatz fand man in der Zittauer Westvorstadt zwischen Äußerer Weber- und Weststraße. Zuerst entstand auf dem Areal ein Ofenhaus, und Gasversorgungsleitungen wurden verlegt. Am 4. April 1858 ging die Städtische Gasanstalt in Betrieb. Zuerst erleuchteten 256 Gaslaternen die Stadt. 173 Abnehmer nutzten das Stadtgas.

Eine erste Erweiterung der Ofenanlage gab es 1873 und der Bau eines 1 600 Kubikmeter fassenden Gasbehälters, dem bald drei weitere folgten. In dieser Zeit erhielt auch der Fahrweg zwischen der Äußeren Weber- und Weststraße seinen Namen und heißt seitdem Gasstraße. 1899 gab es die nächste Erweiterung und 1900 den Bau einer neuen Gasanstalt, die im Herbst 1900 ihren Betrieb aufnahm. Im Süden Zittaus begann 1904 auch das Städtische Elektrizitätswerk zu arbeiten. Straßenlaternen und Schaufenster wurden zunehmend elektrisch beleuchtet. Kurzzeitig ging dadurch die Gasabnahmemenge zurück. Um Unfällen vorzubeugen, arbeiteten entlang der Leitungen Männer als Gasriecher. Anfang der 60er Jahre übernahmen diese Tätigkeit speziell ausgebildete Spürhunde, ein Gasspürgerät kam ab 1973 zum Einsatz.

Doch zurück zu 1908, damals errichtete man neue Bauten im Gaswerk. So entstanden ein riesiger, 10 000 Kubikmeter fassender Gasbehälter und eine Anlage zur Gewinnung von Salmiakgeist. Ins Zentrum wurden weitere Rohre verlegt, auch Pe-thau, Kleinschönau, Eckartsberg und Olbersdorf erhielten den Gasanschluss. 1914 wurde ein Vertikal-Ofenhaus mit einer Grundfläche von 28 mal 20 Metern mit einem hohen Turm gebaut und 1920 eine Wassergasanlage, die bis 1932 genutzt wurde. Oybin mit dem Hain kam 1924 ans Netz. 1933 verzeichnet das Gaswerk 11 510 Kunden. Ein weiterer Neubau wurde durch die Regierung verhindert. Ab 25. Januar 1937 erfolgte die Gaslieferung aus Hirschfelde. Damit wurde die Produktion in Zittau beendet. Anfang der 40er bis circa Mitte der 50er Jahre mögen sich viele gewundert haben, als sie Busse mit einem großen Aufbau auf dem Dach durch Zittau fahren sahen. Das waren Gasballons. Treibstoffmangel führte zu solcher Art Antrieb. Eine Füllung reichte nicht weit. So wurden acht Gastankstellen in Zittau errichtet. 1967 erhielt Zittau durch eine Fernleitung Gas aus dem Kombinat Schwarze Pumpe. Die letzten Gasbehälter wurden bis 1976 zurückgebaut, heute sind Reste der Grundmauern an der Weststraße zu erkennen.