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Als Opa zur Schule ging

Werner Müller und Mitschüler erinnern sich an ihre Zeit an der einstigen Pirnaer Fetscher-Schule. Das Buch ist persönlich und politisch.

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© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Pirna. Irgendwann kommt man immer auf die Schule zu sprechen. Bei Müllers am Familientisch, beim Klassentreffen, auf der Straße. Werner Müller merkte bei den Fragen seiner Enkel: Vieles aus seiner Schulzeit können sie sich gar nicht mehr vorstellen. Seine Enkelin sagte mal: „Nun sagt mir doch endlich mal, was ist das, die DDR?“ Beim Klassentreffen erzählten andere von ähnlichen Erfahrungen. Dann wurde das ehemalige Rainer-Fetscher-Gymnasium in Schiller-Gymnasium umbenannt. Hier hatte Müller 1967 sein Abitur gemacht. Man müsste das alles mal aufschreiben, sagten sich einige. Werner Müller hat es gemacht, mit der Hilfe ehemaliger Mitschüler, des Internets und seines Tagebuchs.

Werner Müller, Abitur im Sozialismus, Verlag edition digital, ISBN 978-3-95655-693-7, Preis: 12,80 Euro
Werner Müller, Abitur im Sozialismus, Verlag edition digital, ISBN 978-3-95655-693-7, Preis: 12,80 Euro

Müller, der zuletzt als Kreistierarzt arbeite, wollte keine nostalgische Schwärmerei und nicht nur Erinnerungen aufschreiben. So fügt er immer wieder Äußerungen, vor allem von Politikern nach der Wende, ein. Es wird schnell deutlich, hier wehrt sich einer gegen die Abwertung der DDR-Schule. Sie habe ihn gut auf das Leben vorbereitet. Er widmet sich Fach für Fach, auch den Pausen und den Arbeitsgemeinschaften, dem Internat und den Prüfungen. Das Kapitel über den Namenswechsel überschreibt er mit „Fetschers zweiter Tod – Erlöschen einer Tradition“. Damit kann er sich noch immer nicht abfinden.

Es steckt viel Recherche in den Kapiteln. Wer erinnert sich schon auf Anhieb, in welcher Klasse, in welchem Fach was dran war. Die Klassenbücher waren dabei eine Fundgrube. Müller erzählt vom Alltag, dem langweiligen Deutschlehrer, der Politinformation und seinen kleinen Aufständen. So wurde er wegen seiner vermeintlich langen Haare vom Lehrer zum Frisör geschickt. Er stellt die Überhäufung mit sowjetischer Literatur und sowjetischen Filmen fest und eine ironisch gemeinte „riesige Begeisterung bei den Marschübungen zum 1. Mai“. Er will sich dabei nicht „als Regimegegner, Systemopfer hinstellen, was ja jetzt viele tun, obwohl sie damals genauso stillgehalten haben wie die meisten“. Am Ende ist das persönliche und streckenweise amüsante Buch dicker und auch politischer geworden, als er es am Anfang wollte.

„Unser Taschenrechner“

Deshalb ist es kein Wunder, dass er ebenso auf Ablehnung und Kritik stößt wie ihm Dankbarkeit und Interesse entgegengebracht werden.

Sein Buch bringt ihm Kontakte nach Ost und West. Von einem westdeutschen Autor habe er böse E-Mails bekommen. Ein fränkischer Schulleiter habe großes Interesse an dem Buch, sehe es als Teil zur deutsch-deutschen Geschichtsaufarbeitung. Durch das Internet kam der Kontakt zu Claus Göbel zustande. Der aus Cotta stammende Bauingenieur und Hochschullehrer hat auch ein Buch geschrieben: „Ein Leben in drei Deutschlands.“ Im Atze-Klub auf dem Pirnaer Sonnenstein lesen beide am 15. Mai gemeinsam aus ihren Büchern.

Einer von Müllers mitschreibenden Klassenkameraden sagt im Buch: „Jaja, mein Lieber, das ist irre unterschiedlich mit der Wahrnehmung.“ Viele Mitschüler zu Wort kommen zu lassen, die sich sehr ehrlich äußern, war wohl ein Mittel gegen die eigene subjektive Wahrnehmung. „Die absolute Wahrheit gibt es nicht“, sagt Müller. Er denkt, der Zeitpunkt für sein Buch war jetzt genau richtig. Auch, weil er als Rentner inzwischen Zeit fürs Recherchieren und Schreiben hat.

Für Müllers Enkel Paul ist das Buch aus einer anderen Welt. Er wird es später verstehen, sagt Müller. Auch was der Opa mit „Unser Taschenrechner“ unter dem Foto eines Rechenschiebers meint.

Lesungen: 13. Mai, 15 Uhr, Kulturcafé Dohna; 15. Mai, 14 Uhr, Atze-Klub Pirna-Sonnenstein.