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Als sich in Görlitz Mercedes und Wartburg paarten

Vor 60 Jahren gehörte auch Görlitz zu den Städten des Automobilbaus. Hier entstanden ungewöhnliche Wagen.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Wer denkt, dass einst auf dem Gebiet der DDR bei der Pkw-Entwicklung nur Zwickau (Trabant), Eisenach (Wartburg) und Dresden (Melkus) eine Rolle spielen, der irrt. Es gibt eine offizielle vierte Automobilbaustadt des deutschen Ostens nach 1945. Und das ist Görlitz.

In der Mercedes-Wartburg-Serie entstand auch diese Luxuslimousine, hier vor der ehemaligen Mercedes-Werkstatt auf der Görlitzer Konsulstraße.
In der Mercedes-Wartburg-Serie entstand auch diese Luxuslimousine, hier vor der ehemaligen Mercedes-Werkstatt auf der Görlitzer Konsulstraße. © privat

Na gut, was hier entstand, kann man nicht mit den Großen der Branche vergleichen. Schließlich lebte hier nur eine Kleinserie auf. Doch die ist immerhin noch heute in allen Fahrzeuglisten anerkannt. Sie geht zurück auf Klagen Görlitzer Taxifahrer. Deren Vorkriegsmodelle wurden ab 1950 immer maroder, und Ersatzteile waren Mangelware. Durchrostende Karossen ließen die Taxifahrer immer öfter klempnern. Vor allem auf der Konsulstraße 18 in der Firma von Oskar Schwarze. Der Karosseriebau-Meister war ein begnadeter Tüftler und überlegte, wie man der Taxi-Genossenschaft helfen könnte, zumal diese auch stets Probleme mit zu kleinen Kofferräumen in ihren alten Autos hatte.

Zwei Beobachtungen brachten Oskar Schwarze auf eine geniale Idee: Zum einen fanden sich direkt nebenan auf der Konsulstraße 19 in der Mercerdes-Werkstatt von Richard Rauh immer mehr Fahrgestelle von ausgemusterten Typen 170V. Das V bedeutet Vorkriegsmodell. Zum anderen kam aus Eisenach damals der Wartburg 311 als nagelneues Fahrzeug ins Land, dessen Karossen bei Unfallfahrzeugen noch nicht als Ersatzteile benötigt wurden. Schwarze zählte beide Fakten zusammen und entwickelte den Mercedes-Wartburg. Nach einem Muster gab es 1956 die Zulassung und die offizielle Genehmigung für eine Serienfertigung.

Bis 1960 entstanden auf der Konsulstraße so 14 Taxis, überwiegend in grau oder schwarz gehalten, teils mit der einst üblichen schwarz-weißen „Bauchbinde“. Dazu baute Meister Schwarze eine zweifarbige Luxus-Limousine, einen Rundheck-Kombi und sogar eine Cabrio-Version. Dass nach 17 Fahrzeugen dann Schluss war, hatte einen einfachen Grund: Der Meister verließ Görlitz wohl wegen der geforderten PGH-Gründung und zog in „den Westen“.

Andererseits wurden mittlerweile aber langsam auch die benötigten Teile knapp. Das Zubehörteilewerk Meißen stellte 1960 die Produktion von Mercedes-170V-Ersatzteilen ein. Und natürlich sah man in Eisenach die Umbauten mit steigendem Unbehagen. Immerhin als Originale wurden von dort Teile der Bremsanlage und der Innenausstattung geliefert. Für ein Taxi dagegen war die originelle Komposition ideal. Meister Schwarze setzte eine vorn um 25 Zentimeter verlängerte Wartburg-Karosse auf die unverwüstlichen, meist um 1938 gebauten, Mercedes-170V-Fahrgestelle.

Das ging nur mit viel handwerklichem Geschick, denn alles musste gut passen und ineinander übergehen. Die sehr wuchtig wirkenden 16-Zoll-Räder störten zwar ganz wenig, ließen das Ergebnis stilistisch aber insgesamt recht ausgewogen erscheinen. Entgegen dem originalen Wartburg baute die Görlitzer Firma Knüppelschaltungen und löste wie nebenbei auch das Problem mit dem größer geforderten Heckstauraum: Beim Mercedes-Wartburg verlagerte man den 46-Liter-Tank in den vorderen Bereich, so dass ein für damalige Verhältnisse sehr üppiger Kofferraum zur Verfügung stand. Der große Tank war nötig: Im Stadtverkehr verbrauchten diese Taxifahrzeuge damals um die elf Liter auf hundert Kilometer.

In den Jahren bis etwa 1970 sah man solche Fahrzeuge ständig im Görlitzer Straßenbild. Mancher Polizist mag es schwer gehabt haben – von vorn sah er den Mercedes-Kühlergrill, bei wegfahrenden Autos das typische Wartburg-Heck. Die Wagen fuhren als Taxis noch eine Weile parallel zu den EMW 340 aus Eisenach und wurden dann schrittweise gegen neue Wartburgs und Fahrzeuge sowjetischer Produktion ausgetauscht. Dann verlor sich die Spur der Ergebnisse Görlitzer Automobilfertigung.

Privat sollen einige noch in Herrnhut, Zittau und Rosenhain gelaufen sein, einer konnte jetzt, ziemlich desolat, in den alten Bundesländern gesichtet werden. In Görlitz fand sich ein Fan, der 2000 einen Mercedes-Wartburg erwarb, ihn seitdem Schritt für Schritt saniert und gelegentlich auf Oldtimer-Treffen zeigt. Schade nur, dass die Fahrzeugmuseen von Mercedes und Wartburg daran kein Interesse zeigen.

Gesucht werden weitere Informationen, Bilder und Hinweise auf den Verbleib dieser Fahrzeuge. Kontakt über:

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