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Mit der Kamera in die Katastrophe

Das Hochwasser von 2002 war ein Ereignis, wie es auch gestandene Journalisten bis dahin nicht kannten. Ein Beitrag zum Jubiläum 75 Jahre SZ.

Von Egbert Kamprath
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Beginn des Hochwassers am 12. August 2002: Die Feuerwehr steht hilflos an den reißenden Fluten des Tiefenbachs in Altenberg.
Beginn des Hochwassers am 12. August 2002: Die Feuerwehr steht hilflos an den reißenden Fluten des Tiefenbachs in Altenberg. © Egbert Kamprath

Man sieht sie noch hin und wieder an den Häusern, die Hochwassermarken vom August 2002. Doch sonst ist nicht mehr viel wahrzunehmen von den Verheerungen, die die Fluten damals anrichteten. Bei manchen Alteingesessenen verblassen bereits die Erinnerungen. Für andere sind sie dagegen so präsent, als wäre es noch nicht fast 19 Jahre her. Das geht besonders jenen so, die damals mitten drin standen, im Schlamm der Hochwasserfluten.

Ich war einer der ersten, die damals im Hochwassergeschehen als Reporter unterwegs waren, ohne zu ahnen, welche Ausmaße die Unwetterkatastrophe noch annehmen würde. Ich war da, wo alles seinen Anfang nahm, in den Kammlagen des Osterzgebirges. Bis heute sehe ich noch genau die Mitarbeiter vom Bauhof Altenberg vor mir, wie sie an diesem Montagmorgen in ihren gelben Kutten die Wiese mähten. Es goss in Strömen. Den Kaffee vor mir, schaute ich mit mitleidigem Blick durch das Küchenfenster auf die Arbeitenden in diesem Sauwetter. Die Dachrinnen der Häuser konnten das viele Wasser nicht mehr fassen. Was zu diesem Zeitpunkt keiner ahnt, das ist der Anfang einer Tragödie.

Das Handy klingelt. Am Telefon ist eine Kollegin der Dippoldiswalder SZ-Redaktion. Wir sind beide der Meinung, dass das Wetter ein Thema für die Zeitung sein könnte. Ich fuhr los. Warum ich an diesem Tag ausgerechnet die Tour Richtung Rehefeld wählte, ist mir bis heute unklar. Hier mühen sich an einer Brücke am Café Liebscher einige Leute mit einigen Sandsäcken.

Straßen in Reichenau überflutet

Die Wilde Weißeritz wird immer mehr zum reißenden Fluss. Ich mache ein paar Fotos und fahre weiter nach Reichenau. Hier wälzen sich die Fluten schon durch den Ort. Von der Straße ist nichts mehr zu sehen. Im Feuerwehr-Gerätehaus steht knietief das Wasser. Wie zum Hohn klingelt in diesem Moment das Telefon. „Komm doch mal nach Dippoldiswalde! Die Leute vom Landratsamt laufen barfuß zu ihren Autos.“

Noch immer ahnt keiner, dass die Autos in den nächsten Stunden in den Fluten vorbei schwimmen werden. Das übersteigt noch das Vorstellungsvermögen.

Ich komme nicht weiter, die Bundesstraße B 171 ist überflutet. Nur ein Lkw mit hohem Radstand traut sich noch durch. Es geht für mich also über die Kammstraße zurück Richtung Rehefeld. Die Sandsäcke am Café Liebscher, die eben erst aufgestapelt wurden, liegen inzwischen einen halben Meter unter Wasser. Die Feuerwehr rettet über Seile Personen von dem überfluteten Grundstück.

Das Landschaftsbild hat sich innerhalb kürzester Zeit komplett verändert. Die Weißeritz fließt als breiter Strom durch das Tal. Zum Glück haben ihm die Menschen hier Platz gelassen, so dass an dieser Stelle keine Häuser fortgerissen wurden. Ich komme über die letzte befahrbare Brücke auf die andere Seite und kämpfe mich Richtung Altenberg durch. Der Keilriemen meines Autos quietscht und die Ladekontrolle im Armaturenbrett blinkt immer wieder rot auf. Auf der Fahrbahn liegt Geröll und aus den Waldschneisen schießt das Wasser. Es ist bereits Mittag und ich fahre von Altenberg auf der B 170 Richtung Dippoldiswalde. Am Abzweig Bärenburg hat die Feuerwehr die Straße gesperrt. Man kennt sich, die Kameraden lassen mich ausnahmsweise noch durch. Ich werde schon wissen, wann es für mich auf der Fahrt zu gefährlich wird.

Kamera geschützt vor nicht aufhörendem Regen

In Waldbärenburg können die Feuerwehrleute nur tatenlos zuschauen, wie die alles mit sich reißenden Fluten der Roten Weißeritz immer weiter steigen. Ich halte immer wieder an, um zu fotografieren. Die Kamera halte ich unter einer Regenplane aus der Armeezeit, damit sie vor dem massiven Regen geschützt ist.

Als ich dann am Abzweig Bärenfels stehenbleibe, donnern die Elemente an mir vorüber. Umrahmt wird das Geschehen von einem dumpfen, grollenden Geräusch, das ich noch nie zuvor gehört hatte. Es sind die schweren Steine, die im Bach rollen und gegeneinander krachen. Ich schaue Richtung Ortseingang Kipsdorf. Ausgewachsene Fichten stürzen wenige Meter von mir entfernt auf die Straße. Spätestens jetzt wird mir klar, hier wird es langsam gefährlich. Aus „langsam“ wird allerdings umgehend schnell. Also Rückzug. Im Rückspiegel sehe ich, wie unmittelbar hinter mir ein ausgespülter Baum splitternd in die Leitplanke kracht. Hätte ich nur Sekunden gezögert, wäre der Rückweg durch umstürzende Bäume abgeschnitten gewesen.

Doch nicht nur das, kurze Zeit später ist an dieser Stelle die komplette Straße verschwunden, weggerissen von Fluten. Es ging hier beim besten Willen nicht weiter. Zur Redaktion nach Dippoldiswalde war kein Durchkommen mehr.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als von zu Hause aus meine Fotos in die Redaktion zu schicken. Das tat ich bisher noch nie. Technisch ist das auch noch keine Selbstverständlichkeit. Aber es klappt dann doch irgendwie.

Mittlerweile wird auch die SZ-Redaktion in Dresden auf das ungewöhnliche Geschehen aufmerksam. Der diensthabende Fotochef schaut sich meine Bilder an und meint: „Mir fehlt hier noch etwas die Dramatik des Geschehens.“ Es ist eben nur viel Regen. Auf meinen Einwand, dass ich nicht mehr durchkomme, um weitere Fotos zu machen, kommt die Bemerkung: „Dann nimm doch deinen Presseausweis!“ Zu diesem Zeitpunkt kann sich im 40 Kilometer entfernten Dresden noch niemand vorstellen, was in wenigen Stunden in der Stadt passieren würde.

Wer an jenem Nachmittag gesagt hätte, dass in wenigen Stunden die Weißeritz durch Dresdens Hauptbahnhof strömen würde, den hätte man wohl verlacht.

Das Einsehen kommt erst, als am späten Nachmittag die Bilder vom Dammbruch in Glashütte als erste in den Nachrichten laufen. Das ist selbst für mich, der schon den ganzen Tag im Geschehen steckt, kaum zu fassen. Erst jetzt begreife auch ich, was wirklich abgeht, dass mein Erlebtes die gesamte Region betrifft.

Wassermassen schneiden Altenberg von der Außenwelt ab

Die schlimmen Zerstörungen in Kipsdorf, Schmiedeberg oder Glashütte sollte ich erst in den nächsten Tagen zu sehen bekommen. Es ist einfach an zu vielen Stellen Extremes passiert, als dass man alles hätte sofort dokumentieren können.

Die Region um Altenberg ist wie eine Insel von der Außenwelt abgeschnitten. Ich versuche am Abend noch ein Durchkommen in Hirschsprung, erfolglos. Schließlich fotografiere ich die Altenberger Feuerwehrleute im Kampf gegen den Tiefenbach und habe nun das „dramatische“ Foto, welches am nächsten Morgen den Platz auf Seite eins der Sächsischen Zeitung findet.

Da konnte ich nicht ahnen, dass es auch noch ganz andere Motive gegeben hätte. In der Nacht sitzen beispielsweise Menschen auf einer Mauer in Weesenstein, die von den wildgewordenen Fluten der Müglitz umtost wurden. Oder wie in Schmiedeberg Bewohner erleben, wie ihr Haus hinter ihnen einstürzt. Diese Dramatik wird erst nach und nach gewahr. Beispielsweise wenn SZ-Reporter nur noch über Schleichpfade und Waldwege in die einzelnen Orte gelangen, um allen, die von der Katastrophe verschont geblieben sind, von den Ausmaßen zu berichten.