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Altenpflege in Zeiten von Corona

Täglich begleiten mobile Pflegedienste im Kreis Bautzen die Risikogruppe durch ihren Alltag. Wie immer arbeiten die Pflegekräfte am Limit. Und doch ist jetzt etwas anders.

Von Franziska Springer
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Als mobile Altenpflegerin ist Kerstin Nowak jeden Tag für hilfsbedürftige Menschen in Bautzen da. Der Job duldet keinen Aufschub - auch nicht in Zeiten der Krise.
Als mobile Altenpflegerin ist Kerstin Nowak jeden Tag für hilfsbedürftige Menschen in Bautzen da. Der Job duldet keinen Aufschub - auch nicht in Zeiten der Krise. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Kerstin Nowak ist pünktlichst: Um 7.45 Uhr steht sie in Bautzen in der Einfahrt zu einem Wohnhaus neben ihrem kleinen weißen Flitzer. In der Hand hält sie einen Schlüssel mit einem grünen Anhänger. Eilig verdeckt sie ihr strahlendes Lächeln hinter einem Mundschutz, schließt die Tür auf und eilt die schmale Holztreppe nach oben. Sie hat 30 Minuten.

Showtime. "Guten Morgen", schallt es fröhlich durch die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung. "Guten Morgen", antwortet eine Frauenstimme aus dem Schlafzimmer. Kerstin Nowak ist gekommen, um der etwa 80-jährigen Bewohnerin in den Tag zu helfen.

Im Auftrag des Malteser Hilfsdienstes unterstützt sie täglich Bautzener Senioren dabei, im Alltag zu Hause zurecht zu kommen. Kundenzahl und Dauer richtet sich dabei nach den Vereinbarungen, die die Malteser mit den alten Leuten oder ihren Angehörigen abschließen. Die Corona-Krise hat viele dieser Abläufe gehörig durcheinandergeschüttelt. Anmerken lässt Kerstin Nowak sich das nicht.

Handschuhe sind schon immer Standard

An diesem Morgen kommt sie zur Pflege – hilft der alten Dame beim Aufstehen und Waschen, zieht sie an und macht ihr das Frühstück. Die Frau ist dement. "Merkt man gar nicht, oder?", fragt Kerstin Nowak und tauscht mit flinken Bewegungen das Wasserglas auf dem Wohnzimmertisch gegen ein neues. "Es gab eine Zeit, da hat sie sehr schlecht getrunken. Wir füllen jeden Morgen auf. Da kann sie einfach zugreifen." Da hört sie im Badezimmer das Wasser aus dem Waschbecken rauschen, macht auf der Ferse kehrt und eilt zurück in den dunklen Flur.

Fröhliches Geschnatter dringt aus dem Bad. "Wir kommen den Patienten ja zum Beispiel beim Waschen sehr nahe, dabei tragen wir immer Mundschutz", wird Nowak später sagen. Handschuhe und Desinfektionsmittel sind für die alten Leute nicht neu. Diese Dinge gehörten auch schon vor der Corona-Krise zur Standard-Ausstattung in der mobilen Altenpflege.

Die Seniorin wisse schon, dass da draußen etwas Ungewöhnliches passiere, sagt Nowak später. Aber meist vergesse sie es sofort wieder. Nicht so heute: Pünktlich um 8.15 Uhr hat sie ihren roten Bademantel gegen Leoparden-Shirt, Strickjacke und bequeme Jogginghose getauscht und sitzt in ihrer Küche vor Käseschnitte und frisch gebrühtem Kaffee. Kerstin Nowak ist bereits im Begriff zu gehen. Im Vorbeirauschen wirft sie noch einen prüfenden Blick in den fensterlosen Raum.

"Haben Sie sich heute Morgen die Haare gekämmt?", fragt sie kritisch und eilt schon weiter. Aus dem hinteren Teil der Wohnung hört man sie kramen: "Da muss ich doch noch mal schnell einen Kamm holen. Zum Friseur können wir ja gerade nicht." "Nein. Alles zu", sagt die Frau. Kerstin Nowak wünscht einen schönen Tag. Dann schließt sie behutsam die Tür.

Mangel an Schutzmasken

Draußen wartet der Zeitdruck. Mit einer fließenden Bewegung streicht sich Kerstin Nowak die rotblonden Locken aus dem Gesicht und die Schutzmaske von der Nase. "Ich muss jetzt das Auto an meine Kollegin übergeben", sagt sie und eilt weiter. Zehn Minuten später sitzt sie im Büro ihrer Chefin und sagt: "Natürlich machen wir uns Gedanken wegen des Virus. Aber wir müssen unseren Kunden ja vor allem vermitteln, dass wir selbst keine Angst haben."

Annett Jäckel, Pflegedienstleiterin bei den Maltesern, nickt zustimmend. Zwölf Angestellte pflegen etwa 70 Klienten. Sie alle reagieren ganz unterschiedlich auf den Ausbruch der Pandemie. "Von etwa einem Drittel der Leute, die wir nur für individuelle Dienste oder die Hauswirtschaft besuchen, haben wir Absagen bekommen", sagt Annett Jäckel. 

In der vergangenen Woche habe einer ihrer Patienten, ein etwa 90-jähriger Mann, schwere Erkältungssymptome bekommen. Zunächst habe sich sein Hausarzt geweigert, ihn zu besuchen. Was Annett Jäckel in solchen Momenten am meisten umtreibt, ist der Schutz vor der Übertragung des Virus.

"Wir haben nicht einen Schutzanzug", sagt sie. "Sollte wirklich jemand an Covid-19 erkranken, können wir ja nicht einfach die Pflege aussetzen." Lieferungen an Desinfektionsmittel und Schutzmasken erhalte sie schon seit sechs Wochen nicht mehr. "Ich habe hier keine Räume, um ein großes Lager vorzuhalten", sagt sie. "Das fällt mir jetzt auf die Füße."

Arbeit am Limit

Seit 25 Jahren arbeitet Annett Jäckel bereits in der Pflege, ist viele Jahre selbst im ambulanten Pflegedienst unterwegs gewesen. Sie sagt: "Ich renne seit 20 Jahren am Limit und jetzt auf einmal ist es wichtig, dass wir beklatscht werden." Den Nachrichten, die ihren Beruf hochjubeln, entzieht sie sich. Das Radio bleibt bei ihr seit Tagen aus.

Ob sich durch die Krise für die Beschäftigten in ihrem Bereich etwas ändern wird? Annett Jäckel lacht zynisch und winkt ab. "Wie soll das denn gehen?", fragt sie. "Soll etwa der Arbeitgeber plötzlich bessere Löhne zahlen können? Woher soll das Geld denn kommen?" Nicht der Applaus der Vielen sei es, der derzeit durch den Tag trägt, fügt Kerstin Nowak hinzu, sondern der Dank der alten Leute.

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