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„An den Krebs-Vorwürfen ist nichts dran“

Durch aktuelle Zahlen des Krebsregisters sieht sich das Riesaer Stahlwerk entlastet. Demnach lebt man selbst in Radebeul nicht gesünder.

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© Sebastian Schultz

Riesa. Macht das Stahlwerk krank – oder nicht? Um diese Frage wird in Riesa seit Jahren gestritten. Eine Bürgerinitiative warf Feralpi jetzt wieder vor, gefährliche Dioxine in die Luft zu pusten. Eine Grünen-Abgeordnete thematisierte die Vorwürfe in einer Anfrage im Landtag. Aus den Zahlen des Krebsregisters geht zwar hervor, dass es in Riesa viele Krebsfälle gibt – aber nicht, warum. Die SZ sprach mit Werksdirektor Frank Jürgen Schaefer und Mathias Schreiber, dem Umweltbeauftragen von Feralpi.

Frank Jürgen Schaefer  ist seit fast zehn Jahren Werksdirektor bei Feralpi in Riesa. Er stammt aus Dortmund.
Frank Jürgen Schaefer ist seit fast zehn Jahren Werksdirektor bei Feralpi in Riesa. Er stammt aus Dortmund. © Archivfoto: Lutz Weidler
Mathias Schreiber arbeitet als Leiter Umwelt- und Strahlenschutz bei Feralpi. Von Beruf ist er Umweltingenieur.
Mathias Schreiber arbeitet als Leiter Umwelt- und Strahlenschutz bei Feralpi. Von Beruf ist er Umweltingenieur. © Archivfoto: Lutz Weidler

Herr Schaefer, Herr Schreiber: Sie haben sich beim Krebsregister die aktuellsten Zahlen zu den Fällen in Riesa besorgt. Was bleibt von den Vorwürfen, das Stahlwerk mache krank?

Schaefer: Gar nichts. Ganz im Gegenteil.

Das müssen Sie erklären. Tatsächlich gibt es in Riesa doch ungewöhnlich viele Krebsfälle?

Schreiber: Das Zahlenwerk, das der Freistaat auf eine Kleine Anfrage der Landtags-Grünen vorgelegt hat, war lückenhaft – und ohne die notwendigen Erläuterungen. So fehlte der Hinweis, dass es sich um reine Fallzahlen handelt, die nicht nach dem Alter der Einwohner gewichtet wurden.

Warum ist das so wichtig?

Schaefer: Wenn man seriös arbeiten will, muss man das Alter der Einwohner bei einem Vergleich der Krebsfälle zwischen Städten zwingend berücksichtigen. So sind etwa der Prostatakrebs bei Männern oder der Brustkrebs bei Frauen typische Krebsarten, die im Alter gehäuft auftreten.

Und was sagen nun die Zahlen des Krebsregisters aus, wenn man das Alter der Riesaer berücksichtigt?

Schreiber: Dafür muss man zunächst wissen, was der SIR-Wert bedeutet: Die Zahl steht für „Standardized Incidence Ratio“, also eine Rate, die aussagt, ob es in einer Region mehr oder weniger Neuerkrankungen gibt, als zu erwarten wären. Wir haben das vom Krebsregister für Riesa, Radebeul, Meißen und Coswig im Rahmen einer Anfrage berechnen lassen, jeweils im Vergleich zum Landkreis-Durchschnitt.

Und wie schneidet Riesa ab?

Schaefer: Nach den ersten veröffentlichten Zahlen sah es so aus, als ob Riesa ein Problem hat und die Radebeuler besonders gesund sind. Berücksichtigt man das Alter, sind die Werte bei den Männern fast gleich. Und bei den Frauen steht gar Radebeul schlechter da als Riesa. Diese Daten zeigen, dass an den Krebs-Vorwürfen gegen das Stahlwerk nichts dran ist!

Manche Krebsarten treten aber nicht unmittelbar nach einer Kontamination auf, sondern Jahre später ...

Schaefer: Tatsächlich sind auch die Zahlen vor 2004 wenig auffällig. Offenbar haben sich nicht einmal die Emissionen des Stahlwerks aus DDR-Zeiten ausgewirkt.

Aber irgendwo muss der Krebs doch herkommen.

Schreiber: Glaubt man Medizinern, ist etwa für den Lungenkrebs zu 95 Prozent das Rauchen verantwortlich, bei Hautkrebs zu 90 Prozent die Sonneneinstrahlung. Der von der DDR-Industrie ausgestoßene Staub hat dafür gesorgt, dass es damals deutlich mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Entzündungen von Haut- und Atemwegen gab, etwa Bronchitis.

Schaefer: Ich bin kein Mediziner, aber Experten sagen übereinstimmend, dass zum Beispiel beim Prostatakrebs die Ernährung die Hauptursache ist. In Mitteleuropa essen wir zu viel Käse- und Milchprodukte. In Japan ist Prostatakrebs so gut wie unbekannt, weil die Japaner sehr viel Seefisch essen. Der eigene Lebenswandel ist beim Thema Krebs absolut dominant.

Schaut man in die Daten des Krebsregisters, stammen die jüngsten Zahlen allerdings von 2013 ...

Schreiber: Aktueller geht es nicht! Die statistische Auswertung dauert, zwei Jahre mindestens. Schließlich gilt es erst, die komplette Meldung der Krebszahlen abzuwarten, dann die Bevölkerungszahl zu berücksichtigen. Es gilt Umzüge oder Arztwechsel von Patienten zu berücksichtigen, damit Krebsfälle nicht doppelt erfasst werden. Diese Fallzahlen sind sehr exakt!

Kritiker ziehen das Klinische Krebsregister heran. Das sagt etwas anderes ...

Schreiber: Das ist weniger aussagekräftig. Dort werden einfach die gemeldeten Fälle pro Krankenhaus erfasst – statistisch hat dabei jede Kommune Pech, die über ein Krankenhaus verfügt. Riesa hat eins.

Die Grünen-Abgeordnete Katja Meier fordert, dass Feralpi bei diesem Thema offener mit den Bürgern vorgeht.

Schaefer: Wenn es irgendwelche Auffälligkeiten gäbe, wäre es die Aufgabe der Gesundheitsämter, Ursachenforschung zu betreiben. Aber da ist ganz einfach nichts dran! Sonst wären die Ämter längst tätig.

Die Bürgerinitiative macht Feralpi dennoch schwere Vorwürfe ...

Schaefer: Wer die aktuellen Zahlen des Krebsregisters ignoriert, handelt unlauter. Das geht auf Kosten unserer Belegschaft und der Bürger der Stadt Riesa, die von grundlosen Gerüchten verunsichert werden. Die Berufsgenossenschaft misst regelmäßig an den Arbeitsplätzen die Schadstoffbelastung, auch direkt am Schmelzofen. Zuletzt gab es eine Messung in den Krankanzeln der Schrotthalle, die unter dem Hallendach fahren. Die sind mit einem Staub- und einem Aktivkohlefilter ausgestattet. Das Ergebnis: Es gab überhaupt keine Auffälligkeiten! Selbst in der ungefilterten Luft waren alle Grenzwerte sehr deutlich unterschritten. Auch bei täglich acht Stunden Arbeit macht die Luft dort nicht krank, selbst dann, wenn es keine Filter in der Krankanzel gäbe.

Aus den Öffnungen im Dach entweichen immer wieder Stoffe. Warum?

Schaefer: Um das zu verhindern, müsste man das Stahlwerk hermetisch abriegeln, wie unter einer Käseglocke. Das gibt es nirgendwo in Deutschland! Schon jetzt verfügt unsere neue Entstaubungsanlage über 12 Megawatt Anschlussleistung. Um die gesamte Luft abzusaugen, bräuchte man acht bis neun solcher Anlagen. Das wäre auch aus ökologischen Gründen unsinnig.

Schreiber: Die Luft aus den Produktionsbereichen, in denen problematische Stoffe entstehen, wird bei uns zu 100 Prozent abgesaugt und gefiltert. Das ist längst nicht in jedem deutschen Stahlwerk so.

Gespräch: Christoph Scharf