Merken

An der amerikanischen Mauer

US-Präsident Donald Trump will zwischen den USA und Mexiko eine Mauer errichten. Die Grenze ist längst zum Politikum geworden. Ein Besuch bei denen, die sie bewachen.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Maren Hennemuth

Kurz vor der Mündung in den Pazifik macht der Tijuana einen Knick. Dort, wo die Grenze zwischen Mexiko und den USA bald ihr westliches Ende erreicht, schleift der stinkende dünne Fluss alles mit, was die gleichnamige mexikanische Millionenstadt so ausspuckt: alte Autoreifen, verbeulte Plastikflaschen, Lumpen und Schuhe. Am Ufer leben Menschen in provisorischen Verschlägen aus Plastikplanen. Nicht weit von ihnen entfernt steht ein Mann in grüner Uniform. Er ist ein amerikanischer Grenzschutzbeamter, ein Border Patrol Agent, und er hält Ausschau nach Menschen, die versuchen, illegal in die USA zu gelangen.

Rund 1130 Kilometer sind bereits mit Absperrungen gesichert.
Rund 1130 Kilometer sind bereits mit Absperrungen gesichert. © dpa
Über den bisherigen Grenzzaun sind von Mexiko aus fünf der rund neun Meter hohen Prototypen der Mauer zu sehen, die US-Präsident Trump an der Grenze errichten will.
Über den bisherigen Grenzzaun sind von Mexiko aus fünf der rund neun Meter hohen Prototypen der Mauer zu sehen, die US-Präsident Trump an der Grenze errichten will. © dpa

Er blickt auf den Kanal, an dem etliche Obdachlose leben. „Deportados“ werden sie genannt, viele wurden unter Barack Obama aus den USA abgeschoben, bei der Rückkehr nach Mexiko ist irgendetwas schiefgegangen, sie haben dort nicht wieder Fuß gefasst. Jetzt harren sie zwischen den Welten aus, schlafen in Tunnelschächten und notdürftig zusammengezimmerten Hütten, die USA immer vor Augen.

Eine gelbe Linie markiert die Stelle, an der Mexiko endet und die Vereinigten Staaten beginnen. Man könnte die Szene natürlich leicht als Symbol für die Abschottung der USA heranziehen, hier die Abgeschobenen, da der Grenzschützer, Teil einer Behörde, die in den Augen mancher eins ist mit der rigiden Einwanderungspolitik von US-Präsident Donald Trump.

Aber die Realität ist komplizierter, und vielleicht muss man deshalb an dieser Stelle Christopher Harris zu Wort kommen lassen, der gern sagt, dass man nicht so viel in Schwarz-Weiß-Mustern denken dürfe. Der 51-Jährige ist seit 21 Jahren beim Grenzschutz. Er ist mit einer Frau verheiratet, deren Eltern illegal aus Mexiko in die USA kamen, und die dennoch Trump wählte. Er spricht für den National Border Patrol Council, eine Gewerkschaft, die sich im Wahlkampf hinter Trump stellte. Harris sagt, er sei kein großer Unterstützer des Republikaners. Er möge manches, was Trump sage, anderes nicht.

Die Grenze zwischen Mexiko und den USA ist 3 144 Kilometer lang, sie erstreckt sich von Brownsville in Texas bis nach San Diego in Kalifornien. Sie verläuft durch Flüsse und Wüsten, durch unwirtliche Flecken Erde und entlang dicht besiedelter Gegenden. Sie ist zum Politikum geworden, seit Trump im Sommer 2015 erstmals davon sprach, dass Mexiko nicht seine besten Leute schicke, sondern Vergewaltiger und Drogendealer, und dass er deswegen eine Mauer bauen werde.

Rund 1 130 Kilometer der Grenze sind bereits mit Zäunen und Absperrungen gesichert. Mit rostigen Stahlmauern etwa, zusammengebaut aus alten Hubschrauberlandeplatten, die noch aus Zeiten des Vietnamkrieges stammen. Oder neueren Maschenzäunen, an denen Stacheldraht hängt. In einigen Gegenden stehen doppelte Barrieren, in anderen nur solche, die Autos abhalten sollen. Manchmal enden die Zäune abrupt.

Harris ist nicht im Dienst an diesem Tag, er ist im Namen seiner Gewerkschaft zur Grenze gefahren, weil er erklären möchte, was es heißt, sie schützen zu müssen. Er macht das öfter, bringt Gruppen von Journalisten, Politikern oder Aktivisten her, um über die Arbeit der Border Patrol Agents zu sprechen.

Er redet über die mexikanischen Kartelle auf der anderen Seite. Er sagt, sie ließen sich viel Geld dafür bezahlen, Menschen über die Grenze zu bringen. Er zeigt Bilder auf seinem Handy von mutmaßlichen Gangmitgliedern, die er und seine Kollegen festgenommen haben.

Er erzählt davon, wie es ist, stundenlang allein auf einem Posten zu sein und manchmal den ganzen Tag über kein Wort mit einem anderen Menschen zu wechseln. Er spricht über Depressionen und Sucht. Er zeigt eine Stelle, an der sich einer seiner Kollegen das Leben nahm. Er fährt an einem Grenzabschnitt vorbei, wo er selbst vor zwölf Jahren einen Stein an den Kopf bekam. Er war damals gerade dabei, einen Mann festzunehmen, als ein anderer den Stein warf.

In den kargen Hügeln um ihn herum harren Männer und Frauen der Grenzpatrouille aus und beobachten die Landschaft. Manche fahren ganz langsam mit ihren weiß-grünen Autos die Schotterpisten ab. Die Fensterscheibe heruntergekurbelt, den Blick auf den Boden gerichtet, suchen sie nach Fußabdrücken.

Ab und an binden sie alte Reifen an ihre Autos, um die Erde hinter den Grenzzäunen glatt zu ziehen. Später kehren sie zurück und schauen, ob jemand dort entlanggelaufen ist. Sie rütteln an Kanalgittern, um zu prüfen, ob sie durchgesägt wurden. Sie halten Ausschau, ob in den Bäumen hinter der Mauer Menschen sitzen, die auf einen günstigen Moment warten, um eine Gruppe rüberzuschicken. Manchmal verbringen sie Stunden damit, Verstecke in Gebüschen zu suchen.

Als er vor zwanzig Jahren hergekommen sei, sagt Harris, sei die Gegend ein Niemandsland und die Situation außer Kontrolle gewesen. Nachts hätten er und seine Kollegen oft 20, 30 Mann festgenommen, während um sie herum andere Gruppen entwischten. „Wir wurden so oft beschossen, dass uns gesagt wurde, dass wir es nur melden sollen, wenn wir selbst oder unser Auto getroffen wurden.“ In den Achtzigern und bis Mitte der Neunziger zählte der Abschnitt bei San Diego zu den beliebtesten Gegenden für illegale Grenzübertritte – zieht man die Zahl der Festnahmen heran: Im Jahr 1992 lag sie im Sektor von San Diego bei mehr als 565 000, wie aus einer Statistik der Grenzschutzbehörde CBP hervorgeht.

Es war der demokratische Präsident Bill Clinton, der schließlich das begann, was Trump nun gern in Form einer Mauer perfektionieren würde. Seine Regierung zog ab 1994 die ersten Zäune an der Grenze hoch. Seither wurde der Grenzschutz kontinuierlich ausgebaut, auch unter Obama.

Trump pocht seit Monaten auf die Finanzierung der Mauer. Jüngst machte das Weiße Haus den Vorschlag, der 25  Milliarden Dollar für den Grenzschutz vorsehen würde. Im Gegenzug sollten 1,8 Millionen Menschen ohne Papiere die Möglichkeit bekommen, die US-Staatsbürgerschaft zu erlangen. Aber die Demokraten müssten dafür unter anderem die Abschaffung der Greencard-Lotterie in Kauf nehmen, deshalb sind die Pläne höchst umstritten. Ein Gesetzentwurf im Senat scheiterte.

Wenn man Harris fragt, ob er die Idee einer Mauer gut findet, sagt er, ihm seien drei Dinge wichtig. Mehr Personal, neuere Technik, bessere Infrastruktur. Es müsse nicht unbedingt eine Mauer aus Beton sein, es würde schon reichen, die bestehenden Absperrungen zu erweitern, sagt er. Und egal, auf welche Art von Barriere es hinauslaufe, ihm sei vor allem wichtig, dass man hindurch schauen könne. „Wir müssen in der Lage sein, unsere Gegner zu sehen.“

Es ist die Sicht von der Grenze und derer, die sie bewachen, und man ahnt, wie sehr der Blickwinkel vielleicht die Denkweise bestimmen kann, wenn man tagein tagaus aus dort hinüberschaut und Menschen davon abhalten muss, illegal herüberzukommen. In dieser Denkweise schaffen Zäune Sicherheit, weil sie einen davor schützen, dass man einen Stein an den Kopf bekommt. Weil sie die Kartelle davon abhalten, Drogen herüberzubringen. Weil sie kriminelle Gangs aufhalten.

Es gibt eine andere Sicht. Die, dass Zäune und Mauern tödlich sind, weil sie Menschen zwingen, abgelegene Routen zu nehmen, um über die Grenze zu gelangen. Es ist die Sicht von Menschen wie Pedro Rios. Er arbeitet für das „American Friends Service Committee“ in San Diego und kämpft gegen das, was er die „Militarisierung“ der Grenze nennt. Es habe mit Bill Clinton und seiner „Operation Gatekeeper“ begonnen, sagt er. Seither sei die Grenze immer weiter aufgerüstet worden. Die Border Patrol Agents agierten inzwischen wie eine paramilitärische Einheit, sagt er. Seit Trumps Amtsantritt würden manche von ihnen ein aggressiveres Verhalten an den Tag legen.

Rund 16 000 Grenzschützer sind an der Südwestgrenze der USA im Einsatz. Immer wieder gibt es Gewaltvorwürfe gegen Beamte. Seit 2010 zählte die Grenzschutzbehörde 43 Tote bei Vorfällen, in die Border Patrol Agents involviert waren. Im Berichtsjahr 2017 machten Beamte in 17 Fällen Gebrauch von ihrer Schusswaffe. In 643 Fällen setzten sie andere Mittel ein, darunter Pfefferspraygeschosse.

Vor Kurzem legten zwei Menschenrechtsorganisationen einen Bericht vor, in dem sie Grenzschützern vorwerfen, in der Sonora-Wüste in Arizona zwischen März 2012 und Dezember 2015 regelmäßig Wasserkanister und Lebensmittel zerstört zu haben, die Gruppen dort für Migranten hinterließen. In dem Zeitraum hätten sie in 415 Fällen zerstörte Kanister gefunden, heißt es in dem Bericht. Und in der Mehrzahl der Fälle seien Border Patrol Agents dafür verantwortlich gewesen, behaupten die Gruppen. Es handele sich dabei auch keinesfalls um das Fehlverhalten einzelner Grenzposten, die Vorfälle hätten vielmehr System.

Eine Sprecherin der Grenzschutzbehörde sagt, man dulde ein solches Verhalten nicht. Die Beamten seien angewiesen worden, keine Wasserflaschen zu zerstören. Harris sagt, ihm seien keine Fälle bekannt, in denen seine Kollegen so etwas getan hätten. Die Gruppen, die solche Vorwürfe erheben würden, hätten ihre eigenen Ziele.

Hier draußen an der Grenze verstummen die Vorwürfe. Und vielleicht muss man deshalb an dieser Stelle wegschwenken von der amerikanischen Seite. Drüben in Mexiko ragt ein paar Kilometer weiter im Osten hinter ausgeweideten Autos und zerbeulten Lkw-Fahrerhäusern das auf, was einmal Trumps Mauer werden könnte. Acht Prototypen, die Baufirmen im Auftrag der Grenzschutzbehörde errichtet haben.

Es hat etwas Absurdes und Bitteres, dass man auf die mexikanische Seite hinüber muss, um sie anschauen zu können. Aber auf der US-Seite kommt man nicht so nah heran. Die Modelle sind streng geschützt.

Wie eine Drohung überragen die neun Meter hohen Prototypen den existierenden Grenzzaun. Der Kontrast zwischen dem rostigen Stahl und den neuen Mauerstücken könnte wohl kaum größer sein. Manche sind aus Beton. Eines ist blau angestrichen. Zwei haben Stelen, durch die man hindurchschauen kann. Das Gras um sie herum ist für kalifornische Verhältnisse ungewöhnlich grün. Nichts stört den Blick.

Auf der mexikanischen Seite säumen Müll und Schutt den Straßenrand. Jemand hat ein paar Reifen an dem Grenzzaun aufgeschichtet. In der Ferne, in den kalifornischen Hügeln, fährt ein grün-weißes Auto der Border Patrol entlang. (dpa)