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An der Seite der Verbrecher

Martin Wissmann hat ständig mit Betrügern, Dealern oder gar Mördern zu tun. Er verteidigt sie. Das ist nun mal sein Job. An seine Grenzen kommt er trotzdem manchmal.

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© Christian Juppe

Von Jana Mundus

Es ist Betrug. Mehr als 2,4 Millionen Euro hat Rolf W. von seinen Kunden kassiert. Doch gewinnbringend angelegt hat er das Geld nie. Im Januar wurde er dafür vor dem Amtsgericht Dresden zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Dass es nicht noch mehr Jahre geworden sind, dafür hat sein Strafverteidiger Martin Wissmann gesorgt. Er hatte sich vorab mit dem Oberstaatsanwalt geeinigt. Voraussetzung dafür: Rolf W. gesteht den 87-fachen Betrug. Das tat er. Wohl auch auf Anraten Wissmanns. Es ist nicht der erste Betrüger, dem der Dresdner Anwalt vor Gericht beisteht. Auch Mörder oder Drogendealer hat er verteidigt. Eine Aufgabe, für die nicht jeder seiner Mitmenschen Verständnis hat.

Martin Wissmann kennt die Fragen. Er hat sie oft gehört. Wie kann jemand einen Mörder verteidigen? Wie kann er einem Vergewaltiger zur Seite stehen? „Ich trete da keinem Monster gegenüber“, antwortet er dann. „Das sind auch Menschen, mit denen man reden kann.“ Wenn er sie zum ersten Mal trifft, hört er zu, lässt sich ihre Geschichte erzählen. Mit allen unschönen, zuweilen schrecklichen Details. Doch das ist sein Job. Jeder hätte schließlich einen Anspruch auf Rechtsbeistand. „Und manche Vorwürfe müssen ja nicht richtig sein.“ Eines stellt er jedoch klar: „Wir holen keine Schuldigen aus dem Knast.“

Die Gerichtsberichte in der Zeitung liest Martin Wissmann ganz genau. Fast wäre er nämlich selbst Journalist geworden. Totschlag oder Mord, Berufung und Revision. Gängiges Vokabular, wenn über Gerichtsverhandlungen berichtet wird. „Ich achte sehr darauf, ob solche Begriffe korrekt verwendet werden“, sagt der 52-Jährige. Totschlag sei nicht das Gleiche wie Mord. Gerade für die Angeklagten nicht: Für Totschlag gibt es fünf bis 15 Jahre Haft, bei Mord droht lebenslange Freiheitsstrafe.

Auf der anderen Seite

Für den Journalismus interessierte sich Wissmann schon als Schüler. Aufgewachsen ist er in Werne an der Lippe, eine Stadt in Nordrhein-Westfalen zwischen Münster und Dortmund. Als 16-Jähriger bessert er sein Taschengeld bei einer Regionalzeitung auf. Seinen Zivildienst macht er bei der Caritas – in deren Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. „Das war mein Ding“, sagt Wissmann. Die große Frage nach den 20 Monaten: Volontariat in einer Redaktion oder Jura-Studium?

Die Juristerei macht das Rennen. Der Plan: Die Sache bis zum ersten Staatsexamen durchziehen und dann ab in den Journalismus. Nebenbei jobbt er deshalb weiter. Macht Praktika beim ARD „Ratgeber Recht“, hospitiert beim ZDF. Für die Sendung „Recht brisant“ auf 3sat leitet er Drehs. Begleitet den Prozess um Ebby Tust, der den Vater von Steffi Graf erpresste. Für einen Bericht über einen Spionage-Prozess bekommt er 1992 Markus Wolf, den ehemaliger Chef des DDR-Auslandsnachrichtendienstes, vor die Kamera.

Wenig später stehen die Prüfungen zum ersten Staatsexamen an. Er besteht – und hat Zweifel. Vielleicht doch lieber das zweite Staatsexamen dranhängen? Also beginnt er sein Referendariat am Oberlandesgericht in Hamm. Nebenbei schreibt er Rechtstipps für Zeitschriften. Am Ende des Referendariats stehen drei Monate bei einem Strafverteidiger an. Er kommt zu dem renommierten Kölner Anwalt Reinhard Birkenstock. „Von Anfang an war ich voll involviert in die Kanzlei-Arbeit. Ich besuchte Mandanten in der Justizvollzugsanstalt und hörte ihre Geschichten.“ Plötzlich ist da ein anderer Wunsch in seinem Kopf.

Er will Strafverteidiger werden. Von seinen Erfahrungen als Journalist profitiert er. Das Recherchieren, das Zuhören ist auch als Jurist wichtig. „Ich arbeite mit dem Menschen, das ist wie im Journalismus.“ Manchmal kommt er allerdings an seine Grenzen. Wie damals, als er als Strafverteidiger Angeklagte vertrat, die im Gefängnis einen Mithäftling in der Nasszelle aufgehängt hatten. Vorher hatten sie ihn misshandelt. „Das hat mich psychisch mitgenommen. Da schaut man in die Abgründe der menschlichen Seele.“ Auch in solchen Situationen macht er seine Arbeit, prüft, welche Beweise belastbar sind und welche nicht. „Ich bin Strafverteidiger, aber kein Strafverhinderer.“

Kanzlei als Familiensache

Dass er sich vor Jahren für das Referendariat entschieden hat – ein Glücksfall in Sachen Liebe. Damals lernte er seine Frau kennen. Mit der Anwältin ging er nach Dresden, wo ihr Vater eine Kanzlei hatte. Heute gehört dem Ehepaar eine eigene Kanzlei in der Hüblerstraße. Wenn Martin Wissmann die Verteidigung eines Infinus-Aufsichtsrats oder eines Schlägers der Hooligans Elbflorenz übernimmt oder den ehemaligen Rotlicht- und Glücksspielkönig von Dresden verteidigt – dann wird er heute selbst zum Gegenstand der Medienberichte.

„Manchmal gibt es Zeiten, da kann ich in der Freizeit nur schwer abschalten. Da bin ich gedanklich im Gerichtssaal.“ Dann holt er sich Rat bei seiner Frau – oder geht mit dem achtjährigen Sohn zum Fußballtraining. „Dort bin ich dann nur einer von vielen Vätern, die am Rand zuschauen.“ Manchmal, da melden sich auch ehemalige Klienten bei ihm. Wie ein junger Mann aus gutem Haus, der ins Drogenmilieu abrutschte. „Heute hat er aber einen Job, und es geht ihm gut. Hat er mir am Telefon erzählt.“ Solche Momente sind wichtig für Martin Wissmann. „Da merke ich immer, dass ich etwas bewegt habe.“