Von Peter Anderson
Meißen. Pannenaufzug, Leerstand, Namensstreit, Jahnhalle – viele Baustellen hat die Große Kreisstadt Meißen. Da wäre es doch das Beste, die Problemfälle einmal auf den Tisch zu packen und zu diskutieren. Mit dieser Grundidee wollte die SZ vor wenigen Tagen eine Serie von Sommerinterviews starten. Die Vorsitzenden der Fraktionen im Stadtrat sollten zu Wort kommen, ihre Sicht auf die aktuelle Lage der Stadt äußern können.
Nach dem ersten Gespräch mit Linken-Chef Ullrich Baudis allerdings sagten zwei Politiker ab. Sowohl der Vorsitzende der ULM-Fraktion Wolfgang Tücks als auch der Vorsitzende der CDU-Fraktion Falk Werner Orgus lehnen ein Gespräch ab. Ursache dafür ist eine teils giftig geführte Diskussion zum Baudis-Interview auf der SZ-Facebookseite. Statt eines sommerlich ruhigen Austauschs von Argumenten wirbelt ein sogenannter Shit-Storm durch das Netz.
Auslöser der Attacke ist ein alter Bekannter, der offenbar viel Zeit bei Facebook verbringt: Ex-CDU-Stadtrat Thomas Tallacker wirft seinen früheren Busenfreund Ullrich Baudis einen wenig pfleglichen Umgang mit den eigenen Mitarbeitern vor. Dazu gesellt sich der Meißner Thomas Funke, der ebenfalls meint, in der virtuellen Öffentlichkeit schmutzige Wäsche zu Baudis’ Tätigkeit als Kaffeehausbetreiber waschen zu müssen.
ULM-Fraktionschef Wolfgang Tücks bezeichnet diese beiden Einträge als „widerlich“ und „niveaulos“. Meißen stelle sich ein Armutszeugnis damit aus. Gleichzeitig fragen er und CDU-Stadtverbandschef Sven Gläser, weshalb die Anwürfe nicht vom Online-Team der Sächsischen Zeitung moderiert bzw. gelöscht wurden.
Tatsächlich würden die Verhaltensregeln, welche die SZ für ihre Internet-Seiten definiert hat, durchaus ein Löschen der Einträge von Tallacker und Funke erlauben. Auf der anderen Seite haben Gerichte bei Klagen von Politikern dem Recht auf freie Meinungsäußerung in der Vergangenheit zumeist den Vorrang gegenüber den Persönlichkeitsrechten eingeräumt. Politiker müssten sich auch überspitzte Kritik gefallen lassen, heißt es in mehreren Urteilen. Schnell würden sonst auch die Lügenpresse-Schreier von Zensur und Unter-den-Teppich-Kehren schwafeln.
Hinzu kommt: Tallacker und Funke erhielten für ihre Gehässigkeiten durchaus nicht nur Beifall von der Kommentatoren-Gemeinde. So schreibt der bekennende Pegida-Anhänger Heiko Knorr auf der Facebookseite von Ex-CDU-Stadtrat Tallacker, dass es ihm nicht gefalle, dass Politik mit Arbeit und Privatem vermischt würde. „Wenn wir jetzt anfangen uns zu freuen, sobald es dem politischen Mitbewerber wirtschaftlich, finanziell, gesundheitlich oder privat schlecht geht, dann endet das alles in Hass“, so Knorr. Bedächtige Worte, die bei manchem Leser das wohlfeile Schubladendenken durcheinanderbringen dürften.
CDU-Fraktionschef Falk Werner Orgus sieht trotzdem mehr Nachteile als Vorteile, wenn er sich derzeit ausführlich zur Stadtpolitik äußern würde. Egal, was er sage, dies könnte sofort als Steilvorlage genutzt werden, um der CDU-Fraktion und ihm persönlich zu schaden. Er müsse damit rechnen, dass sämtliche auch noch so harmlosen politischen Provokationen, massive Angriffe nach sich ziehen würden. Der Ansatz des Sommerinterview sei gut, die Nachbereitung im Internet ließe das allerdings in den Hintergrund rücken.
Pannenaufzug, Leerstand, Namensstreit, Jahnhalle – die vielen Baustellen von Meißen werden damit zumindest in der Form von SZ-Sommer-Interviews nicht ausführlich diskutiert werden können. Und nicht nur die Stadt selbst bleibt so mit ihren vielfältigen Problemen wieder einmal auf der Strecke. Der freie Diskurs insgesamt – eine der Grundlagen der Demokratie – wird aus der Öffentlichkeit in Hinterzimmer und in die Kommentatorenspalten der Netzwerke verlagert.