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Anonymer Protest, realer Rassismus

Beim „Forum Frauenkirche“ schockiert eine Wahldresdnerin aus Kanada mit persönlichen Erfahrungen.

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© dpa

Von Hermann Tydecks

Dresden. Die Bankreihen in der Dresdner Frauenkirche waren besetzt, die Organisatoren mussten sogar die Aufgänge zu den Emporen öffnen. Etwa 700 Menschen waren am Dienstagabend der Einladung zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Was will das Volk?“ gefolgt – viermal so viele Leute wie sonst bei der Veranstaltungsreihe „Forum Frauenkirche“.

Vorne, auf einer kleinen Holztribüne vor dem Altar, saßen namhafte Diskutanten: Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Sachsens Landesbischof Jochen Bohl, Politikwissenschaftler Hans Vorländer und Bascha Mika, die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau. Der Politiker verteidigte das Demonstrationsverbot am vergangenen Montag als „verantwortlich und verantwortbar“. Man war sich einig über einen großen Vertrauensverlust in Politik und Medien. In einer zunehmend komplizierteren und globalisierten Welt hätten viele Bürger ein „Gefühl der Ohnmacht“ entwickelt, diagnostizierte Demokratieforscher Vorländer.

Dabei stünden aber nicht Staat und Medien alleine in der Pflicht, sagte de Maizière: „Alle, die jetzt debattieren wollen, können es nicht allein uns überlassen, sondern sollen sich selber beteiligen.“ Auch Landesbischof Bohl sah die Menschen selbst in der Pflicht, angefangen bei der Wahlbeteiligung bis zur Diskussion um Defizite. Als Ort des Austausches seien soziale Netzwerke wie Facebook „ambivalent“, sagte Vorländer. Zwar könne man sich darüber wunderbar organisieren und verabreden. „Menschen können dort aber Hass und Häme abladen. Sie können es anonym machen, ohne ihr Gesicht zu zeigen. Aber in der Demokratie muss man sein Gesicht schon zeigen und für etwas eintreten.“

Ärger um ein Quebec-Fähnchen

In der Fragerunde schlug dann die Stunde der Kanadierin Anne-Christine Loranger. Die 44 Jahre alte Sprachlehrerin aus Montreal zog 2004 der Liebe wegen nach Dresden. Sie lebt seitdem mit ihrem Freund zusammen und unterrichtet Studenten, Privatleute und Firmenmitarbeiter in Englisch und Französisch. „Rassismus ist Realität in Dresden“, sagt sie. „Auch gegen mich. Nicht erst seit Pegida, sondern seit Jahren.“ Später, am Telefon, wird sie konkreter. Sie erzählt von ihrem Fiat, an dessen Antenne sie eine kleine Fahne ihrer Heimatprovinz Quebec montierte habe: „Zweimal wurden sie abgerissen und gestohlen. Als ich die Fahne zum dritten Mal anbrachte, wurde die Antenne abgebrochen.“ Ein Quebec-Aufkleber unter ihrem Nummernschild sei weggekratzt worden. Wenn sie Straßenbahn fahre und sich währenddessen am Handy nicht in Deutsch unterhält, erntet sie von anderen Fahrgästen böse abwertende Blicke. „Seit es Pegida gibt, hat das zugenommen. Ich fühle mich in Dresden nicht mehr sicher“, sagt sie.

„Dabei liebe ich die Stadt und war glücklich hier.“ Mittlerweile traut sie sich nicht einmal mehr, ein englischsprachiges Buch in der Bahn herauszuholen. „Wenn sich die Stimmung nicht wieder bessert, will ich meine Kinder hier nicht großziehen.“ Dann werde sie ihren Freund bitten, in Kanada oder Berlin eine Arbeit zu finden. Und Dresden, das sie bislang ihr Zuhause nannte, für immer verlassen.