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Ans Licht gekommen

In einem alten Berliner Gericht zeigt die Manufaktur Meissen, wie effektvoll ihr Porzellan wirken kann.

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© Peter Anderson

Von Peter Anderson

Berlin/Meißen. Wer hätte in diesem Kiez echtes Meissener vermutet? Der rechte Nachbar der aktuellen Sonderschau des Weißen Goldes aus Sachsen in der Bundeshauptstadt ist Benicios Pizza, die es bei Lieferheld auf vier Sterne bringt. Links schließt sich die in die Jahre gekommene Apotheke „Am Amtsgericht“ an. In diesen Abschnitt der Kantstraße, welche ursprünglich in Höhe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche beginnt, verirren sich kaum Touristen.

Ausgerechnet hier allerdings, in einem früheren Gerichtsgebäude und dem späteren Charlottenburger Grundbuchamt, werden derzeit die neusten Errungenschaften sowie Klassiker aus dem Triebischtal präsentiert und das mit einem interessanten Partner: Die kanadische Leuchten-Manufaktur Bocci unterhält in dem geschichtsträchtigen Gebäude seit 2015 ihre Berliner Schauräume. Den Anlass für das neuste Projekt, nach einer Kooperation zur Frankfurter Messe Ambiente, liefert das sogenannte Gallery Weekend. Die Veranstalter definieren es als Rundgang durch die Berliner Kreativszene. Eigenen Angaben zufolge nahmen dieses Jahr 50 Galerien und rund 1 000 internationale sowie nationale Gäste daran teil.

Keine Angst vor wilhelminischen Amtsgebäuden: Wer an der von einem imposanten Reichsadler aus Glas bewachten Tür der Kantstraße 79 klingelt, dem wird wie von Zauberhand aufgetan. Es folgt ein Moment der Irritation. Der Besucher kommt sich vor wie am Ende einer Zeitreise ins Kaiserreich. Rechterhand steht er vor einer Pförtnerloge. Doch nirgends lässt sich eine Menschenseele blicken. Die leuchtenden Kurschwerter, das Meissener Markenzeichen, geben etwas Sicherheit zurück.

Erlösend ertönt das Geklapper von Absätzen. Eine junge Dame, ganz in Schwarz gewandet, erscheint. Auf Anfrage hin gibt sie knappe Hinweise. Über fünf Etagen hätten die beiden Meissen-Kreativchefs und Modemacher Jörg Ehrlich und Otto Drögsler Leuchten und Porzellan miteinander in Beziehung gesetzt. Bitte nicht den Dachstuhl vergessen, der sich über eine Nebentreppe erreichen lässt. Schon ist die Erscheinung wieder verschwunden. Die adrette Dame zieht es zurück zu ihrem Apple-Rechner im Obergeschoss.

An dieser Stelle darf der Besucher durchaus so etwas wie Entdeckerfreude empfinden. Zumindest an diesem exemplarischen Werktagsnachmittag durchstreift er die Räume des alten Amtsgerichts ganz allein. Mit der Akribie von Restauratoren haben die Berliner Architekten Grüntuch Ernst die Grundstruktur des Komplexes herausgeschält. Dazu zählen die schweren Türen der früheren Zellen ebenso wie Drehknöpfe als Lichtschalter und das teils original erhaltene braune Linoleum der früheren Amtsstuben. Eine solche Kulisse eröffnet herrliche Gelegenheiten zum Spielen. Das dabei verwendete Grundprinzip ist schnell erklärt. Drögsler und Ehrlich habe die oft organisch wie Blüten, Früchte oder Tierkörper geformten Edelleuchten zusammen mit ausgewählten Gruppen Meissener Porzellans in den einzelnen Räumen als Stillleben arrangiert. Auf hohe Vasen in leuchtender Indisch-Blau-Malerei geht ein goldener Lichtregen nieder. Weiß-gelb aus sich selbst leuchtende Himmelsgestirne hängen über einem riesigen Setzkasten, höchstwahrscheinlich angefüllt mit den Grundzutaten für die Meissener Porzellanmasse. Daneben sind die neuen Wandteller der beiden Designer mit Szenegängern ebenso zu sehen wie mit psychedelischen Mustern komplett überzogene Figuren. Ganz wunderbar korrespondieren Fundstücke aus den Meissener Archiven – so mit Tinte beschriftete, braune Papierumschläge aus der Fotosammlung – mit der aus der Zeit gefallenen Atmosphäre im alten Charlottenburger Gericht.

Bleibt die Frage, welches Ziel die Übung verfolgt. Vom Online-Auftritt des Journals Women’s Wear Daily – einer Art Modebibel – wird Jörg Ehrlich mit der Aussage zitiert, er und sein Mitstreiter verfolgten das Ziel, Meissener Porzellan auf eine neue, leichtere Ebene zu heben und nicht so gesetzt und seriös zu präsentieren, wie dies bislang geschah. Mit ihrer Serie von Meissener Kaffeepötten haben sie das bereits vorgemacht. Der klassische Mingdrachen befindet sich hier als Dekor in Gesellschaft mit Pop-Art-Motiven wie dem Kussmund oder dem Peace-Zeichen. Auch das Gastspiel im Glashaus bringt zusammen, was nicht auf den ersten Blick zusammengehört. Gegensätze ziehen sich an: Eine Meissen-Schau in Nachbarschaft zum Spätverkauf, klassische Vasen auf einem Pressspan-Hocker, edle Teller auf einer quietschgrünen Kunst-Wiese über eine Plaste-Decke verteilt. Erlaubt ist, was gefällt – Hauptsache heraus aus der Vitrine. Bocci lässt in Berlin das Potenzial des Meisseners als raumfüllendes Kunstwerk überzeugend aufscheinen.

Die Ausstellung ist bis 16. Mai kostenfrei zu sehen, dienstags bis samstags, 11 bis 19 Uhr.

Weißen Goldes aus Sachsen in Berlin

Wo ist die Meissen-Figur? Und um welches Motiv handelt es sich überhaupt? In der Ausstellung wird auch mit optischen Effekten gespielt.
Wo ist die Meissen-Figur? Und um welches Motiv handelt es sich überhaupt? In der Ausstellung wird auch mit optischen Effekten gespielt.
Wie Quallen schweben die Leuchten von Bocci über einem Setzkasten, der augenscheinlich Zutaten für die Porzellanherstellung enthält. Der Prozess hat viel gemeinsam mit der Produktion von Glas.
Wie Quallen schweben die Leuchten von Bocci über einem Setzkasten, der augenscheinlich Zutaten für die Porzellanherstellung enthält. Der Prozess hat viel gemeinsam mit der Produktion von Glas.
Die Schau in Berlin-Charlottenburg mixt Stile und Materialien bunt durcheinander. So wird echtes Meissener schon einmal auf einer Kunststoffdecke präsentiert.
Die Schau in Berlin-Charlottenburg mixt Stile und Materialien bunt durcheinander. So wird echtes Meissener schon einmal auf einer Kunststoffdecke präsentiert.
Das Gebäude der zeitlich begrenzten Sonderausstellung wurde in der Vergangenheit als Gericht mit Gefängniszellen und Grundbuchamt genutzt. Der Reichsadler im Fenster über der Eingangstür erinnert an die Erbauung im Kaiserreich. Leuchtbündel von Bocci erhellen die Szenerie.
Das Gebäude der zeitlich begrenzten Sonderausstellung wurde in der Vergangenheit als Gericht mit Gefängniszellen und Grundbuchamt genutzt. Der Reichsadler im Fenster über der Eingangstür erinnert an die Erbauung im Kaiserreich. Leuchtbündel von Bocci erhellen die Szenerie.
Wo versteckt er sich der kleine Wüstenfuchs aus Porzellan? Die Figur ist vor dem in Wüsten-Tarnfarben gestalteten Hintergrund kaum zu erkennen.
Wo versteckt er sich der kleine Wüstenfuchs aus Porzellan? Die Figur ist vor dem in Wüsten-Tarnfarben gestalteten Hintergrund kaum zu erkennen.
Das Treppenhaus des Denkmals Kantstraße 79 gehört zu den eindrücklichsten Räumen. Seit 2015 nutzt die kanadische Leuchtenmanufaktur das Gebäude als Berliner Schauraum. Die Zusammenarbeit mit der Manufaktur erfolgte im Rahmen des Gallery Weekends in Berlin.
Das Treppenhaus des Denkmals Kantstraße 79 gehört zu den eindrücklichsten Räumen. Seit 2015 nutzt die kanadische Leuchtenmanufaktur das Gebäude als Berliner Schauraum. Die Zusammenarbeit mit der Manufaktur erfolgte im Rahmen des Gallery Weekends in Berlin.
Schwerter zu Leuchten: Die Manufaktur hat ihr bekanntes Markenzeichen optisch markant in der Eingangshalle zur über fünf Etagen reichenden Schau zusammen mit den Leuchten der kanadischen Manufaktur Bocci platziert. Mit der Akribie von Restauratoren haben die Berliner Architekten Grüntuch Ernst die Grundstruktur des Komplexes herausgeschält. Dazu zählen die schweren Türen der früheren Zellen ebenso wie Drehknöpfe als Lichtschalter und das teils original erhaltene braune Linoleum der früheren Amtsstuben.
Schwerter zu Leuchten: Die Manufaktur hat ihr bekanntes Markenzeichen optisch markant in der Eingangshalle zur über fünf Etagen reichenden Schau zusammen mit den Leuchten der kanadischen Manufaktur Bocci platziert. Mit der Akribie von Restauratoren haben die Berliner Architekten Grüntuch Ernst die Grundstruktur des Komplexes herausgeschält. Dazu zählen die schweren Türen der früheren Zellen ebenso wie Drehknöpfe als Lichtschalter und das teils original erhaltene braune Linoleum der früheren Amtsstuben.
Die Formen der Bocci-Leuchten erinnern oft an Vorbilder aus dem Pflanzenreich wie Blüten oder Früchte. Die Kombination mit der opulenten Obstschale der amerikanischen Künstlerin Chris Antemann erscheint stimmig.
Die Formen der Bocci-Leuchten erinnern oft an Vorbilder aus dem Pflanzenreich wie Blüten oder Früchte. Die Kombination mit der opulenten Obstschale der amerikanischen Künstlerin Chris Antemann erscheint stimmig.
Wie goldene Tropfen schwingen die Bocci-Leuchten über dieser farblich beeindruckenden Collage von Vasen in Indisch-Blau-Malerei.
Wie goldene Tropfen schwingen die Bocci-Leuchten über dieser farblich beeindruckenden Collage von Vasen in Indisch-Blau-Malerei.