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Ans Messer geliefert

Seit Jahren schneidet Uwe Scholz mit seinem Messer täglich seine Frühstücksäpfel. Weil es Gesetze gibt, die kaum jemand versteht, soll er dafür jetzt eine Strafe zahlen.

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Von Ralph Schermann

Die Story beginnt an einem Dienstag. Für Görlitz ein Tag voll Sonnenschein, für Uwe Scholz überschattet von Trauer. Er hat in der Familie einen Todesfall zu verkraften, und weil Dienstage auch Sprechtage sind, macht er sich auf zum Amtsgericht. „Ich wollte mich über Regeln zum Nachlass informieren“, sagt der Mann aus Girbigsdorf, der bei der Länderbahn als Personaldisponent arbeitet. Es ist 16.30 Uhr, als er das Gericht betritt. Der Wachmann im Gerichtsfoyer bittet ihn, seinen Rucksack zu öffnen.

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„Das ist mein Arbeitsrucksack“, erklärt Uwe Scholz und packt aus: Brotbüchse, Thermosflasche, Taschentücher. Und ein schwarzes Stoff-Etui mit einem kleinen Messer. „Das nehme ich auf Arbeit zum Äpfelschneiden“, sagt Scholz. „Aber, aber“, schimpft da der Wachmann und erinnert an die Hausordnung: Im Gericht sind Messer aller Art verboten. Er nimmt das Exemplar in Verwahrung. Uwe Scholz soll es wiederbekommen, wenn er das Gebäude verlässt. Dass es dazu nicht kommt, liegt an einem Justizwachtmeister.

Der schaut sich das Messer näher an. Es hat zwar nur eine 7,8 Zentimeter lange Klinge, kürzer als manche Zigarette, doch am Schaft ist ein kleiner Knubbel. Wird der gedrückt, geht die Klinge auf, ohne sie mit den Fingern der anderen Hand erst herauszupulen. Der Fachbegriff dafür ist Einhandmesser. Und der Wachtmeister weiß, dass dieser Begriff seit 2008 eine besondere Bedeutung hat. Er steht seit jenem Jahr im deutschen Waffengesetz: „Es ist verboten, Messer mit einhändig feststellbarer Klinge oder feststehende Messer mit einer Klingenlänge über zwölf Zentimeter Länge zu führen.“ Als Uwe Scholz das Gericht verlässt, bleibt sein Messer dort. Er muss eine Belehrung unterschreiben und bekommt Post von der Bußgeldstelle des Landratsamtes: Wegen „verbotenen Mitführens einer Waffe“ wird ein Verwarngeld von 50 Euro festgesetzt.

Was kann er dagegen tun? Nichts. Denn es winden sich selbst Rechtsanwälte und wollen nicht genannt sein, wenn sie „nur inoffiziell“ erklären, dass dieses Gesetz eher am Rand der Verfassungsmäßigkeit schrammt. „Die Rechtsnorm ist unbestimmt, kein Betroffener kann wissen, ob er ein berechtigtes Interesse beim Führen eines Taschenmessers verfolgt oder es einem allgemein anerkannten Zweck dient oder eben verboten ist“, beschreibt ein Jurist. Er meint damit die Ausnahmeregeln. So gestattet das Waffenrecht für Einhandmesser „den Transport in einem verschlossenen Behältnis“ sowie das Nutzen bei „berechtigtem Interesse.“ Mag sein, dass Äpfelschälen auf Arbeit nicht zu den berechtigten Interessen gehört, doch ein Blick in die deutsche Gerichtsstatistik zeigt, dass sogar schon Köche bestraft wurden, weil sie Küchenmesser auf dem Weg zur Arbeit dabeihatten. In Stuttgart verurteilten Richter einen Mann, der ein Fünf-Zentimeter-Einhandmesser in der Autoablage hatte, um bei einem Notfall den Sicherheitsgurt durchtrennen zu können. „Das ist kein allgemein anerkannter Zweck“, steht im Urteil, worauf der Verteidiger seinem Mandanten empfahl, statt einer Fünf-Zentimeter-Einhandklinge dann eben ein ganz normales Messer mit einer elf Zentimeter langen Klinge ins Auto zu legen. Das nämlich ist erlaubt.

Das Messer gab es gratis

Uwe Scholz hatte sein Messer in einem Etui und das wiederum verpackt im Rucksack. Ist das denn kein erlaubter Transport „im verschlossenen Behältnis“? Nein, sagt ein Görlitzer Staatsanwalt: „Der Rucksack gilt als geschlossen, nicht aber als verschlossen. Verschluss erfordert ein extra Schloss.“ Das Amtsgericht Kiel sah das in einem Urteil anders: „Eine Waffe ist als nicht geführt anzusehen, wenn man sie unten im Rucksack verstaut.“ Ja, was denn nun?

Wie viel Unsicherheit zu diesem Thema besteht, zeigt eine Anfrage an ein sächsisches Landratsamt, ob man Einhandmesser mit einer Klingenlänge bis sieben Zentimeter im Auto haben darf. Antwort eines Beamten: „Ja, wenn Sie das begründen können. Zum Beispiel sagen Sie bei einer Kontrolle, Sie brauchten das Messerchen, weil Sie regelmäßig Pilze damit abschneiden.“ Das nämlich gelte als ein berechtigtes Interesse.

Noch komplizierter wird es, vergleicht man Empfehlungen verschiedener deutscher Polizeibehörden. Während man in der Polizeidirektion Görlitz weiß, dass Einhandmesser nicht erlaubt sind, teilt zum Beispiel das Polizeipräsidium Dortmund mit: „Einhandmesser sind unabhängig der Klingenlänge vom Waffengesetz nur erfasst, wenn sie eine Hieb- oder Stoßwaffe sind. Für die Beurteilung ist die Zweckbestimmung des Herstellers hilfreich.“

Hersteller des bei Uwe Scholz beschlagnahmten Messers ist die Werkzeug-Maschinen GmbH KS-Tools bei Frankfurt am Main. Geschäftsführer Peter Kühne kennt die Rechtslage: „Aber wir beliefern keine Einzelkunden, sondern nur Fachfirmen mit Profiwerkzeug. Das besagte Einhandmesser ist im Angebot für Leute, die es zur Berufsausübung brauchen.“ Ein Bekannter von Uwe Scholz arbeitet als Handwerker und bekam bei größeren Bestellungen von Außendienstlern des Lieferers mal solche Messer gratis mit dazu, wovon er eins dem Äpfelschneider überließ. Und der mag es sehr: „Weil es eben so schön einfach ist.“

Erlassen wurde das Gesetz, weil jemand solche Messer zu Straftaten benutzte. Die Regel restriktiv anzuwenden, soll dazu dienen, den Zweck des Verbotes ebenso zu unterstreichen wie die Strafandrohung von bis zu 10 000 Euro für das Mitführen solcher „Waffen“. Doch nach dieser Logik müssten auch Hosengürtel verboten werden, wenn Hooligans mit ihnen Leute verprügeln. Neulich kaufte sich Uwe Scholz eine Illustrierte. Die warb für ein Abo mit Geschenken. Zum Beispiel einem Set asiatischer Messer mit 17-Zentimeter-Klinge. Uwe Scholz schüttelt den Kopf und teilt seine Frühstücksäpfel jetzt mit dem Brieföffner.