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Haftbefehl gegen Attentäter von Halle

Bundesjustizministerin Lambrecht benennt "rechtsextremistischen Terroranschlag". In Dresden werden Häuser der jüdischen Gemeinde weiter bewacht. Der Überblick.

Von Maximilian Helm
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Stephan B. steigt in Karlsruhe aus dem Hubschrauber. Er wird hier am Bundesgerichtshof dem Haftrichter vorgeführt.
Stephan B. steigt in Karlsruhe aus dem Hubschrauber. Er wird hier am Bundesgerichtshof dem Haftrichter vorgeführt. © dpa
  • Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hat Haftbefehl gegen Stephan B. erlassen. B. war mit einem Hubschrauber nach Karlsruhe gebracht worden.
  • Vater des mutmaßlichen Täters äußert sich: B. sei ein Eigenbrötler gewesen und habe viel Zeit am Computer verbracht. Er war nicht polizeibekannt.
  • Justizministerin Christine Lambrecht hat die Tat als "rechtsextremistischen Terroranschlag" bezeichnet.
  • Ein Defekt an der Tatwaffe hat nach ersten Erkenntnissen mehrere Leben gerettet.
  • Sachsens Innenminister Roland Wöller hat für Freitag um 18 Uhr eine Mahnwache vor der Synagoge in Dresden angekündigt.

Halle/Saale. Die Entwicklungen des Tages:

Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hat einen Tag nach der Bluttat von Halle nach Informationen des Südwestrundfunks Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Rechtsterroristen Stephan B. erlassen. Das habe ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe dem Sender am Donnerstagabend bestätigt. Der Richter habe Untersuchungshaft angeordnet. 

Vier Schusswaffen hat Stephan B. nach Angaben von Generalbundesanwalt Peter Frank bei der Tat mit sich geführt. Es sei zumindest eine vollautomatische Schusswaffe dabei gewesen. Die Bundesanwaltschaft will sich in den weiteren Ermittlungen "insbesondere auch mit der Frage befassen, ob Personen in die Vorbereitung oder Durchführung des Anschlags eingebunden waren oder im Vorfeld Kenntnis hiervon hatten".

Die Opfer des Anschlages sind nun ebenfalls bekannt: Vor der Synagoge starb eine 40-jährige Hallenserin und ein 20-jähriger Mann aus dem nahe gelegenen Merseburg. Auf seiner Flucht verletzte der Täter außerdem eine 40-jährige Frau und einen 41-jährigen Mann. Das Paar wird im Krankenhaus behandelt. Es besteht keine Lebensgefahr.

Mit einem Hubschrauber wurde Stephan B. am Donnerstag nach Karlsruhe geflogen, hier soll am Bundesgerichtshof die Haftprüfung des mutmaßlichen Attentäters stattfinden. B. wird Mord in zwei Fällen und versuchter Mord in sieben Fällen vorgeworfen.

Stephan B. wurde zuerst im Krankenhaus behandelt und dann nach Karlsruhe geflogen.
Stephan B. wurde zuerst im Krankenhaus behandelt und dann nach Karlsruhe geflogen. © dpa

Generalbundesanwalt Peter Frank sagte, der Täter habe vorgehabt, in der Synagoge ein Massaker anzurichten. "Was wir gestern erlebt haben, war Terror", so Frank. "Der Täter wollte in der Synagoge zahlreiche Menschen töten. Er sah sich in einer Tradition vergleichbarer Attentäter, etwa dem von Christchurch. Der Täter wollte eine weltweite Wirkung erzeugen, durch das Streamen des Attentats und das 'Manifest', das er im Internet hochgeladen hat. Er wollte nach unserer Kenntnis auch andere zu vergleichbaren Taten anstiften."

Justizministerin: Rechtsextremistischer Terroranschlag

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat die Tat von Halle als "rechtsextremistischen Terroranschlag" eines Einzeltäters bezeichnet. Die Motive für die Tat seien antisemitischer und rechtsextremistischer Natur, sagte sie in Karlsruhe.

In Dresden bleibt der verstärkte Polizeischutz vor Gebäuden der jüdischen Gemeinde weiter bestehen. Das verkündete Innenminister Roland Wöller (CDU) am Donnerstag in der Synagoge. "Angriffe auf jüdisches Leben sind Angriffe auf uns alle", sagte Wöller. Um sich der "zunehmenden Rohheit" entgegenzustellen ruft Wöller am Freitag um 18 Uhr zu einer Mahnwache an der Synagoge auf. 

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat die Diskussion um den Hallenser Anschlag für einen Angriff auf den sächsischen AfD-Vorsitzenden Jörg Urban genutzt. Dessen Verurteilung der Ereignisse seien solange "Heuchelei", bis er sich zur Montagsrede von Pegida-Gründer Lutz Bachmann erklärt hätte. Urban hatte am Montag an einer Pegida-Demonstration teilgenommen. In dem Zusammenhang hatte Bachmann eine Rede gehalten, wegen der er von mehreren Menschen wegen Volksverhetzung und Anstiftung zu einer Straftat angezeigt worden war.

Stephan B. war nicht polizeibekannt. Das ergab eine eine bundesweite Abfrage bei Sicherheitsbehörden. Niemand hatte den Mann auf dem Schirm.

Haftbefehl gegen Stephan B.

Der Generalbundesanwalt will noch am Donnerstag beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen Stephan B. stellen. Das teilte die Behörde mit. B. war am Mittwoch vorläufig festgenommen worden.

Die Betreiber der Streaming-Plattform Twitch haben sich ebenfalls geäußert. Hier hatte der Schütze seine Tat ins Internet hochgeladen. Die Betreiber äußern tiefes Beileid für die Opfer. 2.200 Nutzer hätten den angesehen, bevor er 30 Minuten nach Veröffentlichung gemeldet und entfernt worden sei. Twitch kündigte Konsequenzen an: "Wir arbeiten mit verschiedenen Anbietern zusammen, um die Verbreitung solcher Inhalte zukünftig zu unterbinden".

Der Vater von Stephan B. äußert sich gegenüber der Bild-Zeitung zu seinem Sohn: Der mutmaßliche Täter sei ein Eigenbrötler gewesen, der häufig vor dem Computer saß. "Er war weder mit sich, noch mit der Welt im Reinen, gab immer allen anderen die Schuld." Der 27- Jährige habe kaum Freunde gehabt und stattdessen seine Zeit im Internet verbracht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte noch am Mittwochabend die Neue Synagoge in Berlin. "Wir müssen uns geschlossen jeder Form des Antisemitismus entgegenstellen", schrieb Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter.

Eine noch höhere Opferzahl wurde möglicherweise von Defekten an mindestens einer Waffe des Täters verhindert. In dem angeblichen Tatvideo ist zu sehen, wie in mindestens zwei Fällen Ladehemmungen das Leben von Menschen zu retten scheinen. Der Täter setzte eine vermutlich im Selbstbau hergestellte Langwaffe, eine Pistole und Sprengsätze ein.

Die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag hat den "grausamen Terroranschlag" verurteilt. "Der Täter darf nie wieder in Freiheit leben", erklärte der Vorsitzende Jörg Urban am Donnerstag in Dresden. Wer unschuldige und wehrlose Menschen "regelrecht massakrieren" wolle, habe die höchste Strafe verdient. 

Die jüdische Gemeinde in Halle ist klein. Deshalb hat sie sich an Yom Kippur einen Vorbeter aus Berlin eingeladen. Yossel schildert in einem emotionalen Video, das er direkt nach seiner Vernehmung bei der Polizei aufnahm, die Minuten während des Angriffs. "Es waren die schlimmsten Minuten meines Lebens, ganz klar", sagt er.

In Berlin werden jüdische Einrichtungen weiter mit erhöhtem Aufwand geschützt. "Diese Schutzmaßnahmen werden bis auf weiteres aufrecht erhalten - insbesondere auch mit Blick auf die noch anstehenden jüdischen Feiertage", sagte ein Sprecher der Innenverwaltung am Donnerstag. Die spürbare und sichtbare Präsenz von Sicherheitskräften gelte auch für Einrichtungen "jenseits von Synagogen". 

Nach der Tat tauchte ein Dokument im Internet auf, bei dem es sich nach Angaben einer Expertin um eine Erklärung des Angreifers zu handeln scheint. Das PDF-Dokument zeige Bilder von Waffen und enthalte einen Verweis auf das Live-Video, das von der Tat verbreitet worden sei, twitterte Rita Katz, Leiterin der auf die Beobachtung von Extremisten spezialisierten Site Intelligence Group.

In dem Text wird laut Katz das Ziel genannt, „so viele Anti-Weiße zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden“. Das Dokument sei anscheinend am 1. Oktober angelegt worden und gebe Hinweise darauf, wie viel Planung und Vorbereitung der Täter in die Attacke gesteckt habe. Ob es tatsächlich von dem mutmaßlichen Täter stammt, ist bislang unklar.

Vorwürfe gegen Polizei

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, beklagte fehlenden Polizeischutz. "Bei uns gibt es nie Polizeikontrollen", sagte er am Donnerstag in Halle. Nicht einmal bei der Chanukka-Feier, dem Jüdischen Lichterfest, mit mehreren hundert Menschen gebe es Polizei, "obwohl ich bitte, dass sie kommen." Anders als beispielsweise in Berlin und München sei die Polizei nicht vor der Synagoge präsent.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will am Donnerstagmittag das jüdische Gotteshaus besuchen. Geplant ist auch ein Treffen mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), wie das Bundespräsidialamt am Morgen mitteilte. Erwartet wird auch Bundesinnenminister Horst Seehofer. Er will auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Zentralrats-Präsidenten Schuster und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) über neue Erkenntnisse informieren.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gab der AfD eine Mitverantwortung an der Tat in Halle. „Das eine sind diese schrecklichen Gewalttäter, vor denen wir uns schützen müssen, das andere sind auch die geistigen Brandstifter, da sind in letzter Zeit auch einige Vertreter der AfD in unverschämter Weise aufgefallen“, sagte der CSU-Politiker im Interview mit dem Sender Bayern 2 des Bayerischen Rundfunks.

Namentlich nannte Herrmann in diesem Zusammenhang den Thüringer AfD-Spitzenpolitiker, Björn Höcke: „Höcke ist einer der geistigen Brandstifter, wenn es darum geht, wieder mehr Antisemitismus in unserem Land zu verbreiten. Darüber müssen wir jetzt die politische Auseinandersetzung konsequent führen.“

Im Internet verspottet

Hintergrund: Am Mittwoch hat der deutsche Neonazi Stephan B. im Paulusviertel von Halle/Saale versucht, in eine Synagoge einzudringen. Dort feierte die jüdische Gemeinde gerade Jom Kippur, das Versöhnungsfest, den höchsten Feiertag des Judentums. Er schoss auf die Tür und ließ mehrere Sprengsätze detonieren, schaffte es aber nicht, in die Synagoge einzudringen. Daraufhin ließ er ab, erschoss eine junge Frau auf der Straße und einen Mann in einem türkischen Restaurant. Kurz darauf konnte er festgenommen werden.

Aufgrund von Berichten über mehrere Täter fahndete die Polizei im Großraum Halle/Leipzig nach weiteren Tätern. Auch die Bundespolizei und mehrere Spezialeinheiten waren im Einsatz. Erst gegen 19 Uhr gab es Entwarnung: Die Hallenser konnten wieder auf die Straße gehen und auch der Nah- und Fernverkehr wurde wieder aufgenommen. 

Stephan B. hatte seine Tat mit einer Helmkamera gefilmt und live auf der Streaming-Plattform Twitch veröffentlicht. Tausende sahen zu. In einschlägigen Netzwerken erhielt er jedoch mehr Spott als Bewunderung für seine grausame Tat. Etwa 2.200 Leute sahen den Stream, erst nach etwa 30 Minuten wurde er gelöscht. Die Mitschnitte kursieren weiterhin im Netz. 

Die Tat wurde im Nordosten von Halle/Saale verübt.
Die Tat wurde im Nordosten von Halle/Saale verübt. © dpa Grafik

Mitarbeit: Tobias Wolf; dpa