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Sylvana Kretschmar eröffnet in Niesky eine neue Allgemeinarztpraxis. Gratulanten und Patienten stehen Schlange.

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© André Schulze

Von Frank-Uwe Michel

Es ist Montagmorgen. Brückentag. Auch in Niesky. Eigentlich ist Ausschlafen angesagt. Doch in der Görlitzer Straße 19a ticken die Uhren ein bisschen anders. Vor der neuen Allgemeinarztpraxis von Sylvana Kretschmar hat sich eine lange Schlange gebildet. Die Sonne lächelt zwar verzagt hinter den Wolken hervor, doch so richtig warm wird den Menschen nicht. Der Wind bläst kräftig. „Macht aber nichts“, so der Tenor unter den rund 30 Wartenden. „Wir stehen ja nicht aus Langeweile hier, sondern weil wir eine Hausärztin brauchen.“ Vielen ist die 48-jährige Medizinerin schon aus ihrer Tätigkeit für andere Nieskyer Ärzte bekannt. Und sie sind froh, dass sie jetzt, nach abgeschlossener Facharztausbildung eine eigene Praxis eröffnet hat. So wie Klaus Werner. „Wir waren schon Patienten von Frau Kretschmar, als sie noch bei Dr. Hurtig arbeitete. Wir wollen bei ihr bleiben, weil wir das Gefühl haben, bei ihr gut aufgehoben zu sein“, sagt Sieglinde Preisler, deren Mann sich ins warme Auto verzogen hat, aber gleichfalls auf einen Termin in der neuen Praxis hofft. „Sie ist die Ärztin unseres Vertrauens. Um wieder bei ihr zu landen, stehen wir gern noch zwei Stunden an.“

Die haben rund 30 Wartende schon hinter sich gebracht, die inzwischen im Warmen angekommen sind und es fast bis zur Glastür mit der das Etappenziel verkündenden Aufschrift „Anmeldung“ geschafft haben. Unter ihnen - wie auch im Außenbereich - sind nicht nur Patienten, die in die Kartei der Allgemeinmedizinerin aufgenommen werden oder sogleich behandelt werden wollen. Etliche, wie zum Beispiel Gabi Berthold, sind an diesem Morgen extra hierhergekommen, um Sylvana Kretschmar zu beglückwünschen. „Ich habe während ihrer Ausbildung in Görlitz als Arzthelferin mit ihr zusammengearbeitet. Dabei habe ich ihr Fachwissen schätzen gelernt und bin nun froh, dass sie sich selbstständig gemacht hat“, sagt die Besucherin aus der Neißestadt.

Um ganz profane Dinge geht es dagegen bei Margitta Pirschel: „Ich hoffe, dass ich einen Termin bekomme. Ich bin schon vor fünf Jahren nach Niesky gezogen, musste bisher aber weiter nach Löbau fahren, um mich im Krankheitsfall behandeln zu lassen. Nun will ich die Gelegenheit nutzen, in der neuen Praxis Fuß zu fassen.“

Die Chance dazu ist auf jeden Fall günstig. Etwa 300 Patienten hatte Sylvana Kretschmar bei ihrer vorangegangenen Station. „Wenn die Leute eine Einverständniserklärung abgeben, kann die dortige Akte zu uns überwiesen werden“, erläutert Katrin Laske - eine von zwei Schwestern, die den Ansturm an diesem Tag in die richtigen Bahnen lenken. „Eigentlich wollten wir irgendwann Mittag machen, doch das wird heute wohl nichts“, erklärt sie mit einem Blick nach draußen. „Ist aber egal, denn wir sind ja für die Patienten da und werden so lange weitermachen, bis der Letzte seinen Termin bekommen hat.“

Sylvana Kretschmar selbst macht trotz Dauerbelastung in ihrem lindgrünen Outfit auch nach einigen Stunden noch eine gute Figur. „Ich hätte nicht im Entferntesten mit einem solchen Ansturm gerechnet. Das übertrifft meine kühnsten Erwartungen.“ Doch sie versteht auch die Motivation der Menschen, beim stundenlangen Warten lieber eine Erkältung in Kauf zu nehmen als ohne Eintrag in der Kartei nach Hause zu gehen. „Viele haben Angst, irgendwann ohne Hausarzt dazustehen.“ Ob der Andrang in den nächsten Tagen so weitergeht, vermag die Ärztin nicht einzuschätzen. „Ich habe mir vorgenommen, 1 000 Patienten aufzunehmen. Mehr geht nicht, denn es muss medizinisch ja auch noch vertretbar sein.“ Sie wolle „keine Abfertigung“, sondern individuelle Behandlung leisten. Daneben seien Hausbesuche zu bewältigen, Nacharbeiten, aber auch Weiterbildungen zu absolvieren.

Sylvana Kretschmar hat es sozusagen im „dritten Anlauf“ zur Fachärztin für Allgemeinmedizin geschafft. In den 1980er Jahren hatte sie ein Studium zur Lehrerin für Russisch und Geografie begonnen, dies nach der Geburt eines Kindes nach fünf Semestern aber abgebrochen. Auch ihr Job im Kundendienst der Sparkasse konnte sie nicht auf Dauer zufriedenstellen. „Ich hatte mich schon als Kind für die Zahnmedizin interessiert. Die ist es nun zwar nicht geworden, aber mit der Allgemeinmedizin bin ich jetzt richtig glücklich.“ Was sich offenbar auf ihre Patienten überträgt, die lieber Schlange stehen als unverrichteter Dinge wieder abzuziehen.