Merken

Ansturm auf die Knollen

Das Selbstlesen steht hoch im Kurs. Alle wollen frische Kartoffeln. Es gibt aber noch andere Gründe.

Teilen
Folgen
© Egbert Kamprath

Von Maik Brückner

Liebenau. Es geht ruckzuck. Ehe sich die kleine Lena versieht, haben ihre Oma und ihre Urgroßeltern den Plasteeimer mit Kartoffeln gefüllt. Die Vierjährige lacht und legt eine große Knolle dazu. Suchen musste sie nicht. Die Kartoffeln liegen wie auf einem Präsentierteller auf dem Acker. Sie müssen nur eingesammelt werden. Und das macht jedes Jahr aufs Neue Spaß. „Wir kommen hier schon seit zehn Jahren her“, sagt Lenas Urgroßvater, Udo Neubert. „Wir waren immer zufrieden.“ Und auch diesmal passt alles. Das Kartoffellesen bei Liebenau ist so gut organisiert, dass sich die Großfamilie auf das Wesentliche konzentrieren kann. Dennoch bleibt Zeit für einen Schwatz, sagt Simone Walter, Lenas Oma. „Hier treffen wir Leute, die wir das ganze Jahr nicht gesehen haben.“ Angst, dass die drei Säcke nicht voll sind, muss sie nicht haben.

Familienausflug der besonderen Art: Lena mit ihrer Oma Simone Walter aus Rehefeld und ihren Urgroßeltern Udo und Ursula Neubert aus Altenberg (v.li.).
Familienausflug der besonderen Art: Lena mit ihrer Oma Simone Walter aus Rehefeld und ihren Urgroßeltern Udo und Ursula Neubert aus Altenberg (v.li.). © Egbert Kamprath
Raik Bellmann ist der Chef auf dem Acker. Hier verkauft er drei Säcke an André De Coster, der zum ersten Mal beim Kartoffellesen ist.
Raik Bellmann ist der Chef auf dem Acker. Hier verkauft er drei Säcke an André De Coster, der zum ersten Mal beim Kartoffellesen ist. © Egbert Kamprath
Kartoffellesen hält fit, sagt Siegfried Schreiber, der mit Traktor und Hänger vorgefahren ist. Nun geht es zur Waage der Agrar GmbH.
Kartoffellesen hält fit, sagt Siegfried Schreiber, der mit Traktor und Hänger vorgefahren ist. Nun geht es zur Waage der Agrar GmbH. © Egbert Kamprath

Vor ihr liegen noch viele Kartoffeln. Die hat der Siebkettenroder der Liebenauer Agrar-GmbH aus dem Boden geholt. „Das ist alte Technik, die für unsere Zwecke noch gut funktioniert“, sagt Raik Bellmann. Er ist als Pflanzenbauleiter der Liebenauer Agrar GmbH heute der Chef auf dem Acker. Und das zum ersten Mal. Aufgeregt sei er nicht gewesen. „Ich konnte gut schlafen“, sagt er. Schließlich weiß er bestens, wie das Kartoffellesen hier in Liebenau läuft. Schon als Knirps sammelte er Kartoffeln, damals mit seinem Großvater. Später, als er schon bei der Agrar GmbH arbeitete, half er beim Organisieren. Nun ist er für alles verantwortlich.

„Zwölf Mitarbeiter helfen mit“, sagt er. Die einen verkaufen am Feldrand Säcke und kassieren. Andere fahren Traktor, sie ziehen den Siebkettenroder übers Feld und stellen die Hänger auf, auf denen die aussortierten Kartoffeln landen. Denn jeder Kartoffelleser ist angehalten, sauber zu lesen. Das heißt, die kleinen und beschädigten Kartoffeln sind in ein Extra-Körbchen zu legen. Später sollen sie in die Hänger gekippt werden. „Viele unserer Stammkunden wissen das“, sagt Bellmann. Wer zum ersten Mal hier ist, bekommt das von den Mitsammlern zu hören. Oder aber von Raik Bellmann, der permanent auf dem Feld unterwegs ist, um hier nach dem Rechten zu schauen. Ab und zu ist er auch an einer der beiden Kassen, um Säcke zu verkaufen.

Hier trifft er André De Coster. Der Berggießhübler steht da und staunt. Er ist zum ersten Mal hier. Davon erfahren habe er eher zufällig. „Der Bauer, bei dem ich frische Eier kaufe, hat mir davon erzählt. Später habe ich es in der Zeitung gelesen“, erzählt der 69-Jährige. Und weil er frische Produkte mag, hat er sich auf den Weg gemacht. Von Raik Bellmann kauft er drei Säcke. Dann zieht er weiter. Ein paar Meter hinter ihm ist Anita Zeschel fleißig am Sammeln. „Die Kartoffeln hier sind zwar teurer als die vom Kaufland. Dafür sind sie aber frischer“, sagt die Börnersdorferin.

Das schätzt auch Siegfried Schreiber, der zu den Ersten gehörte, die auf dem Feld waren. Durfte er auch, weil er einer der ehemaligen Mitarbeiter der Agrar GmbH ist. Von 1964 bis 2014 hat er bei ihr und ihren Vorgängerbetrieben gearbeitet. „Eigentlich müsste ich keine Kartoffeln mehr lesen“, sagt der 71-jährige Liebenauer, der mit Traktor und Hänger gekommen ist. „Doch für die Knochen ist Bewegung gut.“ Wie fit ihn die Arbeit gehalten kann, kann jeder sehen. In 1,5 Stunden hat er zusammen mit seiner Frau den Hänger gefüllt. Nun tuckert er los, um den vollen Hänger wiegen zu lassen. Obwohl noch andere mit Hängern gekommen waren und viele Sammler mit gefüllten Säcken das Feld verlassen haben, gibt es noch genügend Kartoffeln. Ob am Sonnabend weiter gesammelt werden kann, hängt vom Wetter ab. „Es darf nicht regnen“, sagt Raik Bellmann.

Kartoffellesen: Sonnabend in Liebenau und Oberhäslich, ab 8 Uhr (nur, wenn es die Witterung zulässt)