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Am digitalen Wendepunkt

Mit Beginn der Pandemie hielt die digitale Lehre an der TU Dresden Einzug. Was heißt das für die Zukunft? Eine Diskussion.

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In diesem Wintersemester werden wieder verstärkt Präsenzveranstaltungen angeboten. Ein Vorteil für Studierende, die nur am Bildschirm dabei sein können oder die Vorlesung später anschauen wollen, sagen Lars Bernard (3.v.l.) und Michael Kobel (4.v.l.).
In diesem Wintersemester werden wieder verstärkt Präsenzveranstaltungen angeboten. Ein Vorteil für Studierende, die nur am Bildschirm dabei sein können oder die Vorlesung später anschauen wollen, sagen Lars Bernard (3.v.l.) und Michael Kobel (4.v.l.). © Foto: Thorsten Eckert

Sie sind beide in turbulenten Zeiten ins Erweiterte Rektorat der TU Dresden berufen worden: Prof. Lars Bernard als Chief Officer Digitalisierung und Informationsmanagement, Prof. Michael Kobel als Prorektor Bildung. Hätten Sie sich ruhigeres Fahrwasser gewünscht?

Michael Kobel: Ich glaube nicht, dass man sich das aussuchen kann. Es hieß einfach, die Aufgaben anzugehen, die anstanden. Und die waren herausfordernd.

Lars Bernard: Wir hatten in diesen Coronazeiten beide den Vorteil, dass wir ja vorher schon Dekane waren. Professor Kobel an der Fakultät Physik und ich an der Fakultät Umweltwissenschaften. Wir wussten also, was es heißt, für Lehre und Forschung in dieser Situation Lösungen finden zu müssen.

Professor Bernard, Ihr Titel klingt spannend und Sie sind der erste, der ihn an der TU Dresden tragen darf. Warum braucht die Universität einen Menschen, der sich um diese Themen kümmert?

Lars Bernard: Verantwortlichkeiten in diesem Bereich gab es früher schon in Form eines Gremiums. Digitalisierung kann letztlich aber nur gelingen, wenn jemand das Thema über alle Bereiche einer Hochschule hinweg koordiniert und in die Leitung, also das Rektorat eingebunden ist. Es heißt also, Digitalisierung in Lehre, Forschung und der Verwaltung im Blick zu behalten, damit Dinge effizient laufen und es keine Insellösungen gibt. Ich hoffe, dass mir das gelingt.

Mit der Corona-Pandemie hat sich die Art und Weise von Lehren und Lernen auch an der TU Dresden verändert, vieles läuft nun digital. Wo steht die Hochschule gerade?

Michael Kobel: Aktuell ist es ein Wendepunkt für die TU Dresden. Ich hoffe, dass die Herausforderungen durch Corona, denen wir uns gemeinsam gestellt haben, einen bleibenden Effekt haben werden. Es wäre schlimm, wenn wir nach der Pandemie einfach so weitermachen würden wie früher. Natürlich gab es in den zurückliegenden Monaten außerordentlich viele Belastungen für Lehrende und Lernende. Wie diese gemeistert wurde, verdient Dank und Anerkennung. Aber wir haben Dinge gelernt und umgesetzt, die wir sonst so nicht erfahren hätten. Wir mussten alle von heute auf morgen lernen, was digitale Lehre heißt. Ohne den Druck durch Corona hätten wir das in so kurzer Zeit nie erreicht.

Sind denn all Ihre Kolleginnen und Kollegen von diesen Entwicklungen begeistert?

Michael Kobel: Es gibt schon viele, die diese Form des Arbeitens zu schätzen gelernt haben. Aber natürlich gibt es auch einen Teil, der wieder zurück zu Altbekanntem will. Wir müssen schauen, was wir aus diesen drei Semestern mitnehmen, womit sich alle wohlfühlen. Die Studierenden wiederum haben erfahren, wie anpassbar solch eine Form der Lehre auch auf individuelle Bedürfnisse ist. Wer es nicht live zur Vorlesung schafft, weil das Kind krank ist, kann sich heute eben auch online die Aufzeichnung anschauen. Solche Möglichkeiten der hybriden Lehre, das heißt, eines Online-Angebots zusätzlich zur Präsenz, wollen wir weiterhin anbieten. Es wird aber natürlich immer Elemente geben, die nur in Präsenz stattfinden können, wie beispielsweise Laborpraktika.

Das heißt, die Studierenden fanden diese neue Art das Lernens gut?

Lars Bernard: Zumindest haben wir viel positives Feedback bekommen und auch mal ein Dankeschön, weil sie natürlich auch gesehen haben, mit welchem Einsatz hier Dinge umgesetzt wurden. Viele von uns haben Nächte mit ihrem Rechner verbracht, um digitale Veranstaltungen zu entwickeln. Wir alle profitieren auch von den jüngsten Technik-Entwicklungen: Ohne etwa die heute viel leistungsfähigeren Videokonferenzsysteme wäre vieles gar nicht machbar gewesen.

Wie digital wird die TU Dresden nach Corona bleiben?

Michael Kobel: Wir werden keine Fernuniversität werden – dafür ist die persönliche Begegnung der Lehrenden und Lernenden zu wichtig und der Campus auch einfach zu schön. Aber das technische Wissen, das wir uns in diesem Notfall-Digitalisierungsprogramm während Corona angeeignet haben, wird die Präsenzlehre bereichern. Wir müssen eruieren, was funktioniert hat und was nicht und das Gute auch in Zukunft bewahren. In diesen Fragen müssen wir die Studierenden einbinden und zusammen Konzepte entwickeln.

Inwieweit bleibt aktuell überhaupt Zeit zu evaluieren, was gut funktioniert und was nicht?

Lars Bernard: Auch früher gab es ja bereits die regelmäßige Evaluierung der Lehre. Natürlich schauen wir uns nun auch spezieller an, wie digitale Formate funktionieren. Die Möglichkeit, zeitunabhängig oder asynchron zu lernen, wird von vielen Studierenden sehr geschätzt. Negativ empfindet aber ein großer Teil die fehlenden sozialen Interaktionen. Wir dürfen nicht vergessen: Es gibt jetzt Studierende, die ihren Kommilitonen noch nie in der Realität begegnet sind. Dafür ist die nun geplante Rückkehr in Präsenz wichtig.

Wenn das Digitale die Präsenzlehre in Zukunft unterstützen soll: Wie stellen Sie sicher, dass die Lehrkräfte in digitalen Tools geschult werden?

Michael Kobel: Eine hochschuldidaktische Begleitung gab und gibt es auch zu diesem Thema. Die ist heute natürlich breiter geworden, und wir haben uns auch personell stärker aufgestellt. Uns stehen in Zukunft also Fachleute zur Verfügung, die die Digitalisierung auch didaktisch vorantreiben werden. Eine der wichtigen Fragen wäre zum Beispiel, wie eine Onlineklausur funktionieren kann. Außerdem wollen wir Mitarbeitende unterstützen, die Konzepte für die digitale Lehre entwickeln wollen.

Lars Bernard: Außerdem lernen die Lehrenden aktuell sehr viel voneinander. Es gibt hier an der TU Dresden ein Chat-Tool für die TUD-Mitarbeitenden. Dort tauschen sich die Lehrenden quasi rund um die Uhr über die digitale Lehre aus.

Stichwort digitale Klausur: Wie lässt sich in diesem Fall denn sicherstellen, dass da zu Hause niemand mit 50 Lehrbüchern um sich herum sitzt?

Michael Kobel: Ich persönlich bin ein großer Freund des kompetenzorientierten Lehrens und Lernens. Bei mir können Studierende in Klausuren seit jeher Auszüge ihrer Materialien nutzen und bei den mündlichen Onlineprüfungen der letzten Semester sogar alle Unterlagen. Letztlich sind die Fragen dann so gestaltet, dass die Lernenden ihr Wissen anwenden müssen. Das funktioniert online genauso gut.

Lars Bernard: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, die technologische Unterstützung zu haben, solch einen Termin mit 300 und mehr Studierenden, verteilt auf die ganze Republik, überhaupt durchführen zu können. Da haben wir mit dem Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen an der TU Dresden einen verlässlichen Partner. Alle an der TU Dresden haben sehr engagiert den Wechsel zu Onlineprüfungen unterstützt, um es so den Studierenden zu ermöglichen, ihr Studium fortführen zu können.

Aber wie stellen Sie sicher, dass der oder die richtige Studierende vor dem Rechner sitzt und die Klausur schreibt?

Lars Bernard: Zunächst setzen wir auf Vertrauen, denn Studierende verpflichten sich mit der Einschreibung an der TU Dresden zu korrektem Verhalten. Dennoch müssen wir mit Täuschungen umgehen und diese verhindern. Denn auch in der analogen Welt gab es immer wieder Täuschungen, auf die wir reagieren mussten. Eine aktuelle Frage ist etwa, wie wir sicherstellen können, dass genau die zu prüfende Person die Onlineprüfungsleistung ablegt und dies ohne fremde Hilfe tut. Wir verbessern daher die Methoden zur Feststellung der Identitäten und zur Verhinderung von Täuschungen im digitalen Raum. Das bedarf auch neuer rechtlichen Grundlagen.

Für all diese digitalen Möglichkeiten braucht es aber auch die technischen Voraussetzungen. Das wird in den kommenden Jahren sicherlich viel Geld kosten?

Michael Kobel: Auf jeden Fall. Deshalb geht auch nicht alles auf einmal. Es gab Sondermittel für die IT-Ausstattung, das hat etwas geholfen, letztlich muss die Ertüchtigung der Lehrräume aber mittelfristig im Rahmen der finanziellen Grundausstattung passieren. Wir haben dabei in den nächsten Jahren dank zusätzlich geschaffener Stellen für Medientechniker und Medientechnikerinnen die Möglichkeit, die Modernisierung aus eigenen Kräften Stück für Stück zu beschleunigen und künftig 20 Lehrräume pro Jahr mit digitaler Technik auszustatten.

Lars Bernard: Wichtig ist aber auch, dass wir die Leute dafür haben, die so etwas umsetzen können. Mit dem aktuellen Tarifrecht ist es für uns als Universität heute sehr schwer, mit der Wirtschaft um die heiß begehrten IT-Expertinnen zu konkurrieren. Das macht die Umsetzungen digitaler Lösungen noch einmal schwieriger.

Die Lehre und das Lernen an der TU Dresden sind also weiter im Wandel. Was wünschen Sie sich auf kurze Sicht aber erst einmal für das aktuelle Wintersemester?

Lars Bernard: Als Erstes natürlich, dass wir so viel Präsenzveranstaltungen für die Studierenden anbieten können wie nur möglich. Gerade auch für die Erstsemester ist es wichtig, das Leben auf dem Campus kennenzulernen. Auf alle anderen Fälle sind wir aber sehr gut vorbereitet.

Michael Kobel: Ich wünsche mir, dass wir in Sachen digitaler Lehre dranbleiben, Dinge weiter ausprobieren, verbessern und die Präsenzlehre damit bereichern. Dann können wir aus diesen schwierigen Monaten etwas Positives für die Zukunft der TU Dresden mitnehmen.

Interview: Jana Mundus