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Zu viel Offenheit im Netz? Wir im Datenrausch

Die digitale Welt hat ihre Tücken. Ein neuer Forschungsbereich der TU Dresden soll herausfinden, wie sich die Privatsphäre dadurch verändert.

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Wie viel Privatheit ist in digitalen Zeiten noch möglich? Das ist einer der Punkte, dem sich Lucas von Ramin (r.) und Johanna E. Möller in einem neuen Forschungsbereich an der TU Dresden widmen.
Wie viel Privatheit ist in digitalen Zeiten noch möglich? Das ist einer der Punkte, dem sich Lucas von Ramin (r.) und Johanna E. Möller in einem neuen Forschungsbereich an der TU Dresden widmen. © Foto: Thorsten Eckert

Digitalisierung ist in unserer Gesellschaft zu einem Reizwort geworden. Die einen sehen in der Vernetzung von Dingen und Menschen viele innovative Möglichkeiten für unser Leben. Andere warnen vor Datenklau, dem Ende der Privatsphäre und der digitalen Vereinsamung. „Das Thema ist in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich umstrittener als noch vor einigen Jahren“, bestätigt Lucas von Ramin, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Praktische Philosophie der TU Dresden. Anfangs sahen viele in den digitalen Technologien eine Chance für Teilhabe, auch an demokratischen Prozessen. Mittlerweile mache sich Ernüchterung breit. Das hat Gründe: „Nicht zuletzt durch die Populismusdebatte im Zuge der US-Wahl, zunehmende Radikalisierungstendenzen oder Fake News wurden Probleme sichtbar.“ Seit dem Sommer koordiniert von Ramin den Potenzialbereich „Gesellschaftlicher Wandel“ an der TU Dresden. Zu diesem Bereich gehört unter anderem die Forschungsinitiative „Disruption and Societal Change“, kurz TUDiSC, also „Störung und gesellschaftlicher Wandel“. Interdisziplinär widmen sich Forscher der TU Dresden in diesem Rahmen auch den Schwierigkeiten, die das Leben im Datenrausch mit sich bringt.

Von Spionagesoftware bis zum Verkauf von Daten

Insgesamt sechs Projekte haben nun unter dem Dach von TUDiSC mit ihrer Arbeit begonnen. Eines behandelt die Frage, wie Menschen mit den alltäglichen Herausforderungen der Regulierung ihrer Privatheit umgehen. Daran forscht Johanna E. Möller vom Institut für Kommunikationswissenschaft zusammen mit Kollegen aus den Bereichen Soziologie und IT. „Wie wir Informationen sichern oder teilen ist ein Thema, das im Alltag zunehmend präsent ist, ihn gewissermaßen stört“, erklärt sie. Alltägliche Technologien, wie der Smart Speaker oder Smartphones, seien Datenkraken und damit solche Störungen. Wie gehen wir damit um? Welche Strategien und Lösungen finden wir in unserem sozialen Umfeld für Privatheit? Hinzu kommt, dass beispielsweise Handys zu kleinen Überwachungsgeräten mutieren. Das hat zuletzt auch der Skandal um die Spionagesoftware Pegasus gezeigt.

Ein weiterer kritischer Punkt, den die Kommunikationswissenschaftlerin sieht: der Handel mit Daten, der noch nicht gesetzlich reguliert ist. „Da entsteht aktuell ein Markt, auf dem viele bereits gut verdienen“, gibt sie zu bedenken. Auch deshalb sei Forschung zu dem Themenfeld extrem wichtig. „Es ist unsere Aufgabe, genau solche Problematiken aufzuzeigen, damit darüber diskutiert werden kann.“

Neues Forum widmet sich Dingen, die uns ängstigen

Viele Menschen fühlen sich in der digitalen Welt unter Druck und teilweise auch überfordert. Lucas von Ramin erklärt das am Beispiel der verschiedenen Messengerdienste, die existieren. „Die meisten haben schon verstanden, dass es in diesem Bereich Anbieter gibt, die nicht gut mit persönlichen Daten umgehen.“ Also Messenger wechseln oder bleiben, weil der Freundeskreis nicht mitzieht? Bedrohung und Potenzial – das Thema bediene beide Seiten. „Wir müssen uns als Menschen fragen, ob wir bereit sind, einen Schritt zurückzutreten und eine Entscheidung zu treffen“, ergänzt seine Kollegin. Bei der Lösungsfindung soll die TUDiSC-Forschung helfen.

Nicht nur das. Johanna E. Möller gehörte zu den ersten Vortragenden des vom Bereich „Gesellschaftlicher Wandel“ ins Leben gerufenen Societal Change Forum (SCF) an der TU Dresden. Es behandelt seit einigen Monaten Forschungsthemen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Dinge, die von vielen als Bedrohung wahrgenommen werden: Klimakrise, Migration, Populismus, die Corona-Pandemie aber auch technischer Fortschritt.

Eine gemeinsame Sprache soll gefunden werden

„Unsere Gesellschaft steht aktuell vor großen Herausforderungen“, sagt die Forscherin. Deshalb müsse darüber gesprochen werden, wie diesen zu begegnen sei. „In Bezug auf Digitalisierung und Technik ist wohl die größte Aufgabe, die Beziehung zwischen Mensch und Technik weiterzuentwickeln.“ Wie kann die Technik dem Menschen dienen und nicht umgekehrt? „Die Frage ist eigentlich: Lassen wir uns von der Entwicklung treiben oder können wir noch fragen: Wie wollen wir leben?“ An der TU Dresden schauen die Wissenschaftler dabei schon längst nicht mehr nur auf die Technik. Es geht um mehr, um den interdisziplinären Diskurs. Im Exzellenzcluster „Zentrum für taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion“, kurz CeTI, entwerfen Elektrotechniker, Informatiker, Psychologen oder auch Neurowissenschaftler gemeinsam Konzepte, wie Mensch und Maschine künftig zusammenarbeiten. Im „Schaufler Lab@TU Dresden“ setzen sich Forscher und Künstler mit aktuellen Technologien und deren Auswirkungen auf unser Leben auseinander. „Genau das ist der Schlüssel“, zeigt sich Johanna E. Möller überzeugt. „Ob Sozialwissenschaftlerin oder IT-Experte – wir müssen eine gemeinsame Sprache finden, damit wir zusammen an Problemen arbeiten können.“ Lucas von Ramin setzt sich deshalb dafür ein, dass die TU Dresden dahingehend auch weiterhin ihr Profil schärft. Zurückdrehen lässt sich die Digitalisierung ohnehin nicht mehr. Das Leben im Datenrausch ist die neue Normalität. Was wichtig wäre, seien Regularien von politischer Seite, damit unsere Daten und das Private geschützt sind. „Wir dürfen aber auch die Menschen nicht vergessen, die in dieser Welt leben müssen“, sagt der Philosoph und Politikwissenschaftler. Um teilhaben zu können, müssten Bürger darüber informiert sein, wie Technologien funktionieren und was sie können. Es braucht digital mündige Bürgerinnen und Bürger.

Jana Mundus