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Geheimnisvolles Saudi-Arabien

Ein Königreich lüftet seinen Schleier: Nach Jahrzehnten der Abschottung öffnet sich Saudi-Arabien für Touristen. Eine Reise zu Totenstädten, Wolkenkratzern und gastfreundlichen Menschen.

Von Steffen Klameth
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Keine Fata Morgana: Die Konzerthalle Maraya bei AlUla fasziniert mit ihrer rundum verspiegelten Fassade.
Keine Fata Morgana: Die Konzerthalle Maraya bei AlUla fasziniert mit ihrer rundum verspiegelten Fassade. © Steffen Klameth

Die Zukunft ist in der Wüste gelandet. Einer Fata Morgana gleich steht da ein Irgendwas im Nirgendwo. Beim Näherkommen erkennt man ein rechteckiges Gebäude, dessen Fassade mit den umliegenden Hügeln zu verschmelzen scheint. Schließlich steht man davor und erkennt sich selbst – im Spiegel.

Genauso heißt das futuristische Bauwerk auch: Maraya, das arabische Wort für Spiegel. Genaugenommen sind es fast 10.000 Quadratmeter Glas, die das Theater umhüllen. Die Idee stammt vom italienischen Architektenteam Gio Forma, verwirklicht wurde es in einem Tal unweit von AlUla im Nordwesten der Arabischen Halbinsel. Dass es der Bau ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat, nimmt man interessiert zur Kenntnis. Dass hier seit der Eröffnung 2018 schon Stars wie Andrea Bocelli und Lionel Ritchie aufgetreten sind, scheint nur logisch. Doch kein Konzert kann so aufregend sein wie der surrealistische Anblick von außen.

Wer das Staunen verlernt hat, lernt es hier aufs Neue. Schließlich sind wir nicht in New York oder Shanghai, sondern in Saudi-Arabien. Einem Land, das sich seit Jahrzehnten abgeschottet hat. Einem Land, von dem man manches gehört hat, über das man aber kaum etwas wirklich weiß. Das soll sich nun ändern. Seit 2019 können Touristen mit einem elektronischen Visum einreisen. Innerhalb eines halben Jahres kamen 400.000 Gäste – und dann die Pandemie. Nun nimmt man einen neuen Anlauf. Beliebte Ziele sind die Hauptstadt Riad und die Hafenstadt Dschidda. Mekka ist für Nicht-Muslime übrigens tabu, ebenso die Moschee von Medina.

Aber es gibt ja noch andere Attraktionen. Die Oasenstadt AlUla zum Beispiel. Und das keinesfalls nur wegen des verspiegelten Theaters. Die Stadt empfängt die Besucher mit einer spektakulären Landschaft und einer großartigen Historie. Ein grünes Meer von Dattelpalmen und rote, oft skurril geformte Sandsteinfelsen bilden die Kulisse für eine ganz besondere Zeitreise. Sie reicht Tausende Jahre zurück, Historiker sprechen gar von 200.000 Jahren. Die ältesten augenscheinlichen Belege stammen aus dem 9. und 10. Jahrhundert vor Christus – Schriften und Zeichnungen, die die Menschen in den Stein geritzt oder aus ihm herausgeschnitzt haben. Es sind Geschichten von Einwohnern und Reisenden, vom Alltag und von Wünschen. Allein rund 300 davon wurden am Jabal Ikmah entdeckt, einer gewaltigen Felswand. Es mutet wie ein Wunder an, dass sie bis heute so gut erhalten sind.

Faszinierend: Das Qasr Farid ist das größte von über 100 Felsengräbern, die die Nabatäer in Hegra hinterließen.
Faszinierend: Das Qasr Farid ist das größte von über 100 Felsengräbern, die die Nabatäer in Hegra hinterließen. © Steffen Klameth
Der „Berg der Mädchen“: Hier sind insgesamt 31 Gräber in den Fels gehauen, eines davon darf man auch von innen besichtigen.
Der „Berg der Mädchen“: Hier sind insgesamt 31 Gräber in den Fels gehauen, eines davon darf man auch von innen besichtigen. © Steffen Klameth

Die meisten Inschriften wurden in der Dadan-Sprache verfasst. Dadan, das wissen zumindest Bibel-Kundige, wird mehrmals im Alten Testament erwähnt. Das Königreich von Dadan, da sind sich die Historiker inzwischen sicher, soll sich genau hier befunden haben. Auf der anderen Seite des Tales führen Stufen hinauf zum Fels, in dem große Löcher klaffen – hier haben einst die Menschen ihre Toten begraben. Rami erzählt, wie er als Kind dort gespielt hat. Inzwischen ist alles abgesperrt. Und die Erkundungen haben gerade erst begonnen. Hinter dem Berg, nur per Hubschrauber erreichbar, wird fleißig weitergegraben. „Die Archäologen entdecken jede Woche etwas Neues“, berichtet der Mann.

Da ist man in Hegra schon ein ganzes Stück weiter. Hegra befindet sich praktisch gleich um die Ecke und ist das Aushängeschild von AlUla – die erste Unesco-Welterbestätte in Saudi-Arabien. Wer schon einmal im jordanischen Petra war, fühlt sich unweigerlich an die Felsenstadt im Nachbarland erinnert. Und das ist kein Zufall. Hegra war nach Petra die bedeutendste Siedlung der Nabatäer. Hier wie dort hinterließen die Bewohner in den Fels gehauene Gräber mit prächtigen Portalen. „Je wohlhabender die Familie, desto kunstvoller der Eingang“, erklärt Mamdou, der Guide. Den größten Eindruck schindet zweifellos das Qasr Farid; es steht etwas abseits und darf als einziges der über 100 Gräber einen eigenen Monolithen für sich beanspruchen. Sehenswert ist auch der „Berg der Mädchen“ mit 31 Gräbern; eines davon darf man von innen besichtigen.

Gigantisch: Von der Sky Bridge im 99. Stock des King Towers kann man die Ausmaße der Hauptstadt Riad erahnen.
Gigantisch: Von der Sky Bridge im 99. Stock des King Towers kann man die Ausmaße der Hauptstadt Riad erahnen. © Steffen Klameth

In den meisten Reiseführern wird der Ort noch als Madain Saleh bezeichnet, durch den man einfach so spazieren konnte. Inzwischen ist alles weiträumig abgesperrt. Man benötigt ein Ticket und muss eine organisierte Tour buchen, wahlweise mit Bus, per Fahrrad oder auf dem Pferderücken. An festgelegten Punkten warten lokale Führer und erzählen Wissenswertes über die seltsame Felsenwelt – beispielsweise, dass bislang nur ein einziges Skelett gefunden wurde. Das Grab war unter Steinhaufen versteckt.

Die Römer besiegelten rund 100 Jahre nach der Zeitenwende das Schicksal der Nabatäer. Seine Bedeutung als Handelsplatz an der Weihrauchstraße hat der Ort über Jahrhunderte bewahrt, vor allem dank seines unterirdischen Wasserreservoirs. Wasser ist der größte Schatz in der Wüste – und Saudi-Arabien besteht zu 60 Prozent aus Wüste. In dem Land, das sechsmal größer als Deutschland ist, gibt es weder Flüsse noch Seen. Trotzdem zählt es zu den reichsten Ländern der Erde. Das wiederum hat mit einem anderen Bodenschatz zu tun: Öl.

Das Fort Al-Masmak in Riad wurde 1865 erbaut und erzählt die Geschichte aus der Zeit um die Gründung des heutigen Staates Saudi-Arabien.
Das Fort Al-Masmak in Riad wurde 1865 erbaut und erzählt die Geschichte aus der Zeit um die Gründung des heutigen Staates Saudi-Arabien. © Steffen Klameth
Die heutige Ruinenstadt Diriyah war die ursprüngliche Heimat der Familie Al Saud.
Die heutige Ruinenstadt Diriyah war die ursprüngliche Heimat der Familie Al Saud. © Steffen Klameth
Heute ist Diriyah ein Museum, wo abends eine spektakuläre Lichtshow gezeigt wird.
Heute ist Diriyah ein Museum, wo abends eine spektakuläre Lichtshow gezeigt wird. © Steffen Klameth
Die Moschee von Mekka als Modell im Nationalmuseum in Riad. Nicht-Muslime dürfen Mekka nicht betreten.
Die Moschee von Mekka als Modell im Nationalmuseum in Riad. Nicht-Muslime dürfen Mekka nicht betreten. © Steffen Klameth
Moderne Bauten prägen das Zentrum der Hauptstadt Riad – der Kegel mit der Kugel wurde von Norman Forster entworfen.
Moderne Bauten prägen das Zentrum der Hauptstadt Riad – der Kegel mit der Kugel wurde von Norman Forster entworfen. © Steffen Klameth
Die Fontäne in Dschidda sprüht 300 Meter in die Höhe – das gilt als Weltrekord.
Die Fontäne in Dschidda sprüht 300 Meter in die Höhe – das gilt als Weltrekord. © Steffen Klameth

In den 1920er-Jahren entdeckte man im Osten der Halbinsel die ersten Quellen, 1938 begann die Förderung. Saudi-Arabien verfügt über die weltweit zweitgrößten Ölreserven und ist damit ein Machtfaktor im Nahen Osten. Zurzeit gehört es zweifellos zu den größten Gewinnern der Energiekrise. Aber das Öl sprudelt nicht mehr so wie einst, das ist auch den Herrschern klar. Seit Kronprinz Mohammed bin Salman – gern als MBS bezeichnet – die Regierungsgeschäfte führt, hat ein Wandel eingesetzt. Er betrifft die Gesellschaft und umfasst auch gigantische touristische und ökonomische Projekte am Roten Meer und in der Wüste. Das Zauberwort heißt „Vision 2030“.

Die Familie der al-Saud beherrscht die Region – mit zwei Unterbrechungen – seit dem 18. Jahrhundert. Damals verbündete sich der Stamm mit dem Religionsgelehrten Ibn Abd al-Wahhab, der eine besonders konservative Auslegung des Korans verfolgte. Der wahhabitische bzw. salafistische Islam ist bis heute Staatsreligion und die Scharia die geltende Rechtsnorm. Folter und Todesurteile, Zensur und Versammlungsverbot, der erstarkende Fundamentalismus und nicht zuletzt die Benachteiligung von Frauen bringen Saudi-Arabien regelmäßig internationale Kritik ein.

Willkommen: Noura AlSadoun und ihr Mann Ahmed empfangen ausländische Besucher.
Willkommen: Noura AlSadoun und ihr Mann Ahmed empfangen ausländische Besucher. © Steffen Klameth

Als Tourist bleibt man davon unbehelligt, solange man sich an die Regeln hält. Von ausländischen Besucherinnen erwartet man, dass sie Schulter und Beine bedecken; ein Kopftuch ist keine Pflicht. Saudische Frauen tragen in der Öffentlichkeit die weitgeschnittene Abaya, viele verhüllen traditionell auch ihr Gesicht. „Das ist aber ihre eigene Entscheidung“, sagt Sultanah, eine ehemalige Lehrerin in Riad. Sie selbst belässt es beim Kopftuch. Ihr Mann Abdullah, 71, lobt den Wandel unter Kronprinz Salman: Frauen bekämen mehr Rechte, es werde gegen die Korruption gekämpft, die Wirtschaft stelle sich breiter auf. „Für Saudi-Arabien hat ein neues Jahrhundert begonnen“, sagt der frühere Luftwaffengeneral.

Seine Tochter Noura gibt dem neuen Saudi-Arabien ein Gesicht. Die 31-Jährige hat in Boston studiert und führt seit zwei Jahren eine eigene Firma. Die vermittelt Begegnungen zwischen Einheimischen und Ausländern. In zwölf Städten können Touristen bereits solche „Hausbesuche“ buchen, selbstredend auch bei ihr und ihren Eltern. Zur Begrüßung werden arabischer Kaffee und Datteln serviert, zum Lunch Hühnchen und gefüllte Weinblätter, als Nachtisch Obstsalat. Alkohol gibt es – wie überall – nicht, dafür angeregte Gespräche. Das Interesse scheint auf beiden Seiten groß. Dass man hier nicht bei einer gewöhnlichen Familie zu Besuch ist, ist offensichtlich. Aber allein die Möglichkeit dieser Begegnung scheint wie ein kleines Wunder – in einem Land, das langsam seinen Schleier lüftet.

Urlaub in Saudi-Arabien: Das muss man wissen

Anreise: Lufthansa fliegt täglich ab Frankfurt nach Riad, Saudia steuert mehrmals pro Woche Riad und Dschidda auch von München an. Hin- und Rückflug kosten im Schnitt etwa 600 Euro.

Einreise: Das Touristenvisum inklusive Covid-Versicherung kostet derzeit 118 Euro und ist ein Jahr gültig.

Reisezeit: Im Winter herrschen angenehme Temperaturen, nachts kann es aber auch recht kalt werden. Im Sommer ist es sehr heiß.

Sprache: Amtssprache ist Arabisch, viele Saudis sprechen auch Englisch.

Geld: Für einen Euro bekommt man etwa vier Saudi-Rial. Die Preise sind im Schnitt etwas höher als in Deutschland.

Rundreise: Die Münchner FTI Group ist der erste große deutsche Veranstalter, der seit Kurzem Rundreisen in Saudi-Arabien anbietet. Die Tour „Zauberhafte Welt zwischen Wüste und Moderne“ (7 Ü) führt von Riad über Jubbah und AlUla nach Dschidda und kostet ab 1.999 Euro (ohne Flüge).

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Die Reise fand auf Einladung der Saudi Tourism Authority und FTI Touristik statt.

www.fti.de

www.visitsaudi.com/de