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Arbeitswelt: KI auf Abwegen?

Die Zukunft wird digitaler. Das gilt auch für Büros und Warenlager, für Produktionshallen, Ateliers und Werkstätten. Doch wenn zunehmend Algorithmen über Arbeitsprozesse entscheiden, entstehen auch Risiken.

Von Annett Kschieschan
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Mensch und Maschine - das ist kein Widerspruch. Allerdings muss mit dem zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz auch in der Arbeitswelt manches neu verhandelt werden.
Mensch und Maschine - das ist kein Widerspruch. Allerdings muss mit dem zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz auch in der Arbeitswelt manches neu verhandelt werden. © AdobeStock

Gleichberechtigung ist mehr als ein Kampfbegriff. Diese Erfahrung hat jetzt auch ein Unternehmen gemacht, das von einer Mitarbeiterin verklagt wurde. Der Grund: Die Frau verdiente bei gleicher Qualifikation und Leistung rund tausend Euro weniger als ihr männlicher Kollege. Der Arbeitgeber hatte das damit begründet, dass der Mann eben besser verhandelt hätte. Der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat entschieden, dass das kein valides Argument ist. Er sprach der Dresdnerin eine Gehaltsnachzahlung und eine Entschädigung zu.

Ein Präzedenzfall? Vielleicht. Und vielleicht sogar im doppelten Sinne. Denn die Themen Gleichberechtigung und Lohngerechtigkeit werden gegenwärtig nicht nur im Bezug auf gegenwärtige Arbeitsverhältnisse diskutiert, sondern auch mit Blick auf die Rekrutierung der Zukunft. Denn die könnte bald zunehmend von der Künstlichen Intelligenz gesteuert werden. Schon jetzt setzen vor allem große Unternehmen auf Algorithmen, wenn es darum geht, Bewerberprofile zu vergleichen. Untersuchungen haben ergeben, dass Frauen häufiger schlechter bezahlte Jobs angeboten werden, wenn Unternehmen KI-basierte Software bei der Personalauswahl einsetzen. Das liegt freilich nicht an der Software, sondern daran, dass die KI von den Menschen lernt. Das gilt offenbar auch für geschlechtsspezifische und andere Vorurteile.

Die Soziologinnen Tanja Carstensen und Kathrin Ganz haben sich in einer eigenen Studie mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen der Einsatz der KI bereits jetzt auf das Thema Gleichstellung von Männern und Frauen hat und welche Entwicklungen in diesem Bereich zu erwarten sind. Die Ergebnisse zeigen einmal mehr, dass der Einsatz Künstlicher Intelligenz auf vielen Ebenen für Veränderungen sorgt – oft im positiven, manchmal auch im negativen Sinn. Und manchmal ist noch unklar, in welche Richtung sich die Arbeitswelt durch den zunehmenden Einsatz von Automatisierung und KI-basierter Software entwickeln wird. Die Frage, ob Menschen zunehmend von Robotern ersetzt werden und beim eventuellen Abbau von Arbeitsstellen geschlechtsbezogene Unterschiede zutage treten werden, lässt sich zum Beispiel nicht pauschal beantworten. Im Pflegebereich ist der Frauenanteil hoch. Hier wird es auch künftig auf den Einsatz von Menschen ankommen. In der Buchhaltung arbeiten ebenfalls viele Frauen. Hier ist der zunehmende Einsatz von Technologien, die menschliche Arbeitskraft einsparen, wahrscheinlich. Gleiches gilt für Männer vor allem dort, wo es um eher einfache Produktionstätigkeiten geht.

Mitbestimmung im Betrieb nutzen

Fest steht also bislang nur, dass sich die Arbeit verändern wird. Nicht, dass Menschen im großen Stil arbeitslos werden. Fakt ist aber auch, dass vor dem flächendeckenden Einsatz der Künstlichen Intelligenz noch einige Hausaufgaben gemacht werden müssen. So legen Untersuchungen bereits jetzt nahe, dass die Daten, mit denen KI-basierte Anwendungen gefüttert werden, oft nicht ausgewogen sind. Dadurch besteht nach Einschätzung der Expertinnen die Gefahr, dass die KI Diskriminierung quasi „lernt“ und dadurch Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz zementiert. „Historisch gewachsene Vorurteile zulasten ohnehin benachteiligter Menschen“ würden auf diese Weise einfach reproduziert werden.

So sollte sie freilich nicht aussehen, die schöne neue Arbeitswelt. Muss sie auch nicht, denn im Gegensatz zum Menschen kann die KI emotionslos Neues lernen und anwenden. „In den untersuchten Diskursen werden KI, Arbeit und Gender fortlaufend ausgehandelt. Auffällig ist dabei die breite Thematisierung der geschlechterpolitischen Dimensionen von KI“, heißt es bei Tanja Carstensen und Kathrin Ganz. Die Debatten seien eben genau von der Vorstellung geprägt, dass der Einsatz von KI gestaltbar ist und verhandelt werden müsse. Die Wissenschaftlerinnen verweisen in diesem Zusammenhang auch die betriebliche Mitbestimmung, die auch bei der Einführung der KI besonders wichtig sein kann. Betriebsräte sitzen mit am Tisch, wenn über neue Technologien, Einstellungsprozesse oder Änderungen in der Unternehmenskultur entschieden wird. Sie tun offenbar gut daran, sich rechtzeitig mit dem Thema KI zu beschäftigen und im Zweifel dort nachzuhaken, wo Ungleichheit befürchtet wird – ob geschlechtsspezifisch oder auch mit Blick auf Beschäftigte mit Migrationshintergrund oder einer Behinderung.

Die KI bietet die ziemlich einzigartige Chance, auch in diesem Bereich gute und bessere Regelungen zu finden, denn ohne motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die vielzitierte Transformation der Arbeitswelt nicht zu machen.

Tanja Carstensen, Kathrin Ganz: Gender, Künstliche Intelligenz und die Arbeit der Zukunft. Eine Analyse der Aushandlungsprozesse in wissenschaftlichen, medialen und politischen Diskursen und der Möglichkeiten (betrieblicher) Gestaltung, HBS-Forschungsförderung Working Paper Nr. 274, März 2023