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Auf dem Weg zur neuen Freizeit?

Die Diskussion um die Vier-Tages-Woche hat in den vergangenen Monaten Fahrt aufgenommen. Erste Arbeitgeber bieten das Modell an – doch nicht jede Variante kommt den Beschäftigten langfristig entgegen.

Von Annett Kschieschan
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Am Donnerstag schon in Wochenend-Stimmung? Die Vier-Tage-Woche macht es möglich, bringt aber auch neue Fragen mit sich.
Am Donnerstag schon in Wochenend-Stimmung? Die Vier-Tage-Woche macht es möglich, bringt aber auch neue Fragen mit sich. © AdobeStock

Morgens um 6 Uhr aufstehen, zwischen 7 und 8 Uhr am Arbeitsplatz sein und das Tagwerk starten. Im Vollzeitjob bedeutet das hierzulande in der Regel acht Stunden am Tag an fünf Tagen in der Woche. Die Tatsache, dass immer mehr Branchen flexible Arbeitszeiten einführen und Mitarbeiter zunehmend selbst entscheiden können, ob sie Lerche oder Nachtigall sind – also lieber morgens früh loslegen oder eher in den späteren Nachmittagsstunden produktiv sein wollen – hat den Blick auf Arbeitszeiten verändert. Immer häufiger wird das Modell der Vier-Tage-Woche diskutiert.

Die Stadt Wedel bei Hamburg ist in Deutschland Vorreiter bei der Umsetzung. Die Mitarbeiter der Verwaltung können künftig ihre Arbeitszeit auf vier Wochentage beschränken – und dann ein langes Wochenende genießen. Weniger Leistung wird allerdings nicht erwartet, an den vier Arbeitstagen muss demnach mehr getan werden. Der Lohn bleibt dafür gleich. Viele Arbeitnehmer begrüßen den Vorschlag dennoch.

Zeit nicht einfach nur umverteilen

Drei freie Tage am Stück – das wiegt für viele die Mehrarbeit unter der Woche auf. Arbeitspsychologen geben indes zu bedenken, dass diese Variante nicht für jeden und auch nicht für jede Branche geeignet ist. Nicht überall lässt sich Arbeit so einfach umverteilen. Dazu kommt, dass übermäßiger Stress durch regelmäßige Zehn-Stunden-Arbeitstage nicht in jedem Fall durch ein langes Wochenende ausgeglichen werden kann. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) verweist darauf, dass Konzentration und Effizienz ab der siebenten Arbeitsstunde deutlich sinken. Dafür steigt die Gefahr von Fehlern oder gar Arbeitsunfällen.

Auch die Gewerkschaften sehen die bloße Umverteilung von Arbeitszeit kritisch. Erst vor kurzem hatte die IG Metall für die nächste Tarifrunde in der nordwestdeutschen Stahlindustrie die Vier-Tage-Woche mit einem vollen Lohnausgleich ins Gespräch gebracht. Weniger arbeiten bei vollem Gehalt – diese Variante ist natürlich die attraktivste Form der Vier-Tage-Woche, und sie ist angesichts des Fachkräftemangels in vielen Branchen keineswegs unrealistisch. Unternehmen, die ihren Angestellten diese Option bieten, dürften bei vielen Bewerbern die Nase vorn haben.

Dazu kommt: Wer sich seltener überfordert und gestresst fühlt, ist zufriedener im Job und weniger krank. Aktuell klagt im Durchschnitt jeder zweite Arbeitnehmer über Überlastung im Job. Eine entsprechende Studie der Bertelsmann-Stiftung stützt sich unter anderem auf Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Demnach arbeiten Männer rund 41 bis 44 Stunden die Woche, wünschen sich aber eine Arbeitszeit von 37 bis 40 Stunden. Frauen kommen auf eine Wochenarbeitszeit von 35 Stunden und wären im Schnitt gern fünf Stunden weniger mit Lohnarbeit beschäftigt. Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, dass deutsche Vollzeitbeschäftigte im Durchschnitt 41,3 Stunden arbeiten.

Immer mehr Menschen finden: Das ist zuviel. Das Thema Work-Life-Balance – also ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben – steht vor allem bei den Jüngeren ganz oben auf der Prioritätenliste für ein erfülltes Leben. Teilzeitjobs gelten schon lange nicht mehr als ungeliebte Zwischenlösung bis die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind, sondern als Arbeitszeitmodell, das Raum für Freizeit, Familie, Hobbys und Weiterbildung lässt. Vor allem Letzteres macht die Teilzeitjobber für die Wirtschaft interessant. Waren die Hürden für Quereinsteiger früher hoch, bieten viele Unternehmen gerade ihnen heute gute Perspektiven – und bekommen dafür Mitarbeiter, die ihren Horizont erweitert haben und sich aus eigener Motivation in neue Themenbereiche einarbeiten wollen.

Plus für die Motivation

Die Welt verändert sich auch im Arbeitsleben sehr viel schneller als in früheren Generationen, und wo immer mehr Firmen um immer weniger Bewerber konkurrieren, steigt die Bedeutung von Arbeitszufriedenheit, Loyalität und Motivation. Das gilt umso mehr mit Blick auf die Prognosen für den hiesigen Arbeitsmarkt. Das Bundeswirtschaftsministerium schätzt, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter bis 2030 um weitere knapp vier Millionen sinken wird.

Will man ältere Beschäftigte länger im Unternehmen halten, dürfte das in den meisten Fällen nur mit attraktiven Arbeitszeitlösungen funktionieren. Das gilt ebenso für Berufseinsteiger, die sich heute oft Zeit lassen mit der Karriere und das Berufsleben lieber erstmal in Teilzeit kennenlernen wollen. Vor diesem Hintergrund wird erwartet, dass die Zahl der Unternehmen, die eine Vier-Tages-Woche anbieten, bundesweit wachsen wird.