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Azubis brauchen Perspektiven

Der Nachwuchsmangel ist eines der drängendsten Probleme in vielen Branchen und Berufen. Trotzdem lassen die Bedingungen für Azubis in vielen Firmen noch Luft nach oben, ergab eine Studie der Gewerkschaftsjugend.

Von Annett Kschieschan
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Alles startklar für den Berufsweg? Während viele Azubis im ersten Lehrjahr noch zufrieden mit ihrer Ausbildung sind, würde im dritten Lehrjahr nur noch gut die Hälfte ihren Ausbildungsplatz weiterempfehlen.
Alles startklar für den Berufsweg? Während viele Azubis im ersten Lehrjahr noch zufrieden mit ihrer Ausbildung sind, würde im dritten Lehrjahr nur noch gut die Hälfte ihren Ausbildungsplatz weiterempfehlen. © AdobeStock

"Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“ Kaum ein junger Mensch, der diesen Spruch nicht irgendwann einmal zu hören bekommt, sei es halb im Spaß oder doch ziemlich ernst gemeint. Inzwischen ist er eher Binsenweisheit als Ratschlag, denn dass der Lehrling eben kein Chef ist, dürfte jedem einleuchten. Dass er aber auch kein Handlanger ist, den man bei Bedarf mit Botengängen abspeisen oder zum Reinigen der Kaffeemaschine abstellen kann, sollte ebenso klar sein. Wertschätzung ist schon während der Ausbildung wichtig. Und sie ist keine Einbahnstraße. Das ist eine Erkenntnis aus dem Ausbildungsreport 2022, den die DGB-Jugend kürzlich vorgestellt hat.

„Wer Fachkräfte will, muss gute Ausbildungsbedingungen bieten. Gerade in Branchen, die für einen rauen Umgangston und für Mängel in der Ausbildung bekannt sind, haben es die Arbeitgeber selbst in der Hand, neue Auszubildende zu finden. Wenn die Ausbildungsqualität dürftig ist, spricht es sich unter den jungen Menschen eben rum“, sagt DGB-Bundesjugendsekretär Kristof Becker. Das gilt freilich auch für das Gegenteil. Viele Betriebe bieten Azubis inzwischen nicht nur individuelle Förderung, Zuschüsse und eine sichere Perspektive an. Sie werben auch auf den Kanälen der sozialen Medien, um junge Leute dort abzuholen, wo sie am liebsten unterwegs sind.

In Sachsen werden Firmen, die sich besonders stark für den Nachwuchs machen, regelmäßig ausgezeichnet, etwa als beste Ausbildungsbetriebe oder Preisträger beim Zukunftspreis der Handwerkskammern. Das und die entsprechende Mundpropaganda sorgen auch zwischen Neiße und Mulde dafür, dass manche Betriebe dem demografischen Wandel zum Trotz jedes Jahr Bewerbungen erhalten. Luft nach oben gibt es trotzdem. Fast jeder sechste Azubi würde dem Report nach die Lehre in seinem Ausbildungsbetrieb nicht weiterempfehlen. Dabei verstärkt sich der kritische Blick während der Lehrzeit. Während im ersten Lehrjahr noch sieben von zehn Azubis ihre Lehrstelle weiterempfehlen würden, tut das im dritten Jahr nur noch gut die Hälfte der jungen Leute. Ein möglicher Grund dafür: Mehr als ein Drittel der Auszubildenden hat keinen betrieblichen Ausbildungsplan, obwohl dieser gesetzlich vorgeschrieben ist.

Berufsberatung muss zulegen

Außerdem verweist der Ausbildungsreport der Gewerkschaften darauf, dass fast jeder dritte Azubi regelmäßig Überstunden machen muss oder Aufgaben erledigen soll, die nichts mit den eigentlichen Lehrinhalten zu tun haben. Viele junge Leute sind zudem unsicher, ob der Ausbildungsbetrieb ihnen tatsächlich eine Perspektive bieten kann. „Wer seine Ausbildung erfolgreich absolviert, muss auch übernommen werden: Im ausgebildeten Beruf, wohnortnah, Vollzeit und unbefristet“, betont Kristof Becker. „Selbst von den Befragten, die übernommen wurden, erhält fast ein Drittel nur eine befristete Stelle und wird meist nur für ein Jahr eingestellt.“

Unternehmen begründen das aktuell vor allem mit der allgemeinen Krisenlage, in der auf die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie die Kostenexplosion bei den Energiepreisen folgte. Für die Gewerkschaften ist das kein Grund, die Nachwuchsförderung aus dem Blick zu verlieren. Angesichts der Lage auf dem Ausbildungsmarkt fordert Kristof Becker eine gesetzlich garantierte Ausbildungsgarantie, die durch eine Umlagefinanzierung aller Unternehmen finanziert wird. „Wir brauchen Lösungen für diejenigen, die keine Ausbildung finden, die im Übergangsbereich feststecken“, betont er. Die umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie soll vor allem hier wirken und darüber hinaus die Finanzierung der Ausbildungskosten „unter allen Unternehmen fair verteilen und ein Auffangnetz außerbetrieblicher Ausbildungsplätze für alle schaffen, die keine betriebliche Ausbildung finden konnten.“

Dass das nicht nur ein Thema für die Unternehmen ist, macht ein anderer Punkt deutlich. Mehr als 72 Prozent der befragten Azubis gab in der aktuellen Umfrage an, sich während der Schulzeit nicht ausreichend auf die Berufswahl vorbereitet gefühlt zu haben. Nicht mal ein Drittel hatte die Beratungsangebote der Agentur für Arbeit genutzt. Davon wiederum fanden reichlich 40 Prozent die Unterstützung wenig hilfreich. Ein Lösungsansatz hier könnten die Jugendberufeagenturen sein, die aber offenbar in der Zielgruppe noch nicht ausreichend bekannt sind. Sie wollen regionale Ansprechpartner in Sachen Berufswahl sein. 13 solcher Einrichtungen gibt es in Sachsen. Seit 2019 werden sie über das Förderprogramm „Jubas“ unterstützt. Für die Weiterentwicklung der Jugendberufsagenturen stehen von 2022 bis 2024 insgesamt 2,3 Millionen Euro zur Verfügung. Keine schlechten Voraussetzungen dafür, Nachwuchs und Lehrstellen künftig noch passgerechter zusammenzubringen.

Die DGB-Jugend hat im Rahmen ihrer Berufsschultour bundesweit 14.428 Auszubildende aus den 25 am häufigsten gewählten Ausbildungsberufen im dualen System befragt. Die Studie wurde auch in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit dem Institut für sozialpädagogische Forschung (ism) in Mainz erstellt.