Merken

Der lange Weg zurück zur Pflege

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Immer mehr Mitarbeiter werfen indes ausgebrannt das Handtuch. Eine Analyse zeigt: Viele von ihnen können sich eine Rückkehr vorstellen. Wenn die Bedingungen stimmen.

Von Annett Kschieschan
 4 Min.
Teilen
Folgen
Neben den fachlichen Kenntnissen sind Zuwendung und Ansprache besonders wichtig für pflegebedürftige Menschen. Die Zeit reicht nur selten dafür.
Neben den fachlichen Kenntnissen sind Zuwendung und Ansprache besonders wichtig für pflegebedürftige Menschen. Die Zeit reicht nur selten dafür. © AdobeStock

Pflege brennt“ – lautet ein Hashtag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Ärzte, Krankenpflegerinnen, Notfallsanitäter, Altenpflegehelferinnen und Angehörige berichten dort teils schmerzhaft akribisch, wie ernst es um jenen Lebensbereich steht, in dem jeder am hilfsbedürftigsten ist. Wer krank ist, einen Unfall erlitten hat, plötzlich zum Notfall wird, braucht Hilfe, die verlässlich, schnell und effektiv ist. Von den menschlichen Aspekten, von Trost und Zuwendung, ist da noch keine Rede. Denn selbst die Basisleistungen sind infolge des Personalmangels längst in Gefahr. Das gilt für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen gleichermaßen. Und es ist das vielleicht drängendste Problem der modernen Arbeitswelt.

Allein in Sachsen werden derzeit etwa 60.600 Pflegebedürftige in Einrichtungen versorgt. Tendenz steigend, denn die Menschen werden immer älter. Prognosen gehen davon aus, dass der Bedarf an Pflegekräften weiter massiv wachsen wird. Schon jetzt sind bundesweit mehr als 3,8 Millionen Menschen über den ersten Pflegegrad hinaus hilfsbedürftig. Sie werden von über einer Million Beschäftigten versorgt.

Ex-Pflegekräfte online befragt

Dazu kommen – so eine Schätzung der Hans-Böckler-Stiftung – rund 700.000 Helferinnen und Helfer aus dem Ausland, zumeist aus Osteuropa. Sie werden „Live-Ins“ genannt und viele von ihnen verlassen, ebenso wie zahlreiche deutsche Pflegekräfte, ihren Beruf entkräftet. Eine von der Böckler-Stiftung geförderte Studie hat sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, unter welchen Bedingungen Aussteiger bereit wären, ihren alten Job wieder aufzunehmen. Das ist wichtig, weil schon jetzt absehbar ist, dass Nachwuchs alleine den sich verschärfenden Pflegekräftemangel nicht auffangen können wird. Die Wissenschaftler kommen dabei zu dem Schluss, dass sich durch die Rückkehr von Aussteigern sowie die Aufstockung aus dem Teilzeitarbeitsbereich mindestens 300.000 zusätzliche Pflegekräfte gewinnen ließen.

Basis für die Hochrechnungen war eine bundesweite Online-Befragung, an der im vergangenen Jahr rund 12.700 ehemalige oder in Teilzeit beschäftigte Pflegekräfte teilgenommen haben. Die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten und 60 Prozent der Aussteiger gaben an, sich ein Aufstocken der Arbeitszeit beziehungsweise eine Rückkehr in den Beruf vorstellen zu können. Die Motivation zur Rückkehr kann freilich nur gelingen, wenn sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich verbessern. Noch immer ist es so, dass speziell in der Altenpflege, dem demografisch bedingten Wachstumsbereich, vor allem Frauen arbeiten, viele davon in Teilzeit. Der Anteil der Hilfskräfte ist hoch. Sie erleben im Alltag körperlich und mental herausfordernde Situationen bei mäßiger Bezahlung. Und auch wenn sich Letztere in den vergangenen Jahren verbessert hat, verdient eine Altenpflegerin in Vollzeit im Durchschnitt immer noch fast 500 Euro weniger als ihre Kollegen in der Krankenpflege, die genauso am Mitarbeitermangel leidet.

Gerade einmal zwölf Prozent der Altenpflegemitarbeiter hierzulande sind gewerkschaftlich organisiert. Nach Analyse der Wissenschaftler Wolfgang Schroeder, Lukas Kiepe und Saara Inkinen wird dieser Umstand durch den „Unwillen der Arbeitgeber, sich in Arbeitgeberverbänden zu organisieren", verstärkt. Beides zusammen führe dazu, dass die Tarifautonomie in der Altenpflege kaum ein Thema ist und dass nach wie vor viele Beschäftigte nur solange in ihrem Beruf bleiben, bis sich etwas Besseres findet. Das wiederum ist heute leichter möglich als kaum zuvor, denn fast alle Branchen suchen dringend Personal. Entsprechend hoch ist auch die Fluktuation bei vielen Pflegediensten. Auch hier arbeiten inzwischen viele Frauen und Männer aus dem Ausland. Und auch wenn Zuwanderung eine der wichtigsten Strategien im Kampf gegen den Fachkräftemangel ist, sehen Experten diesen Umstand kritisch.

Fokus auf Aus- und Weiterbildung

Die teilweise massive Rekrutierung von Pflegekräften aus Osteuropa, aber auch aus Asien sorgt dafür, dass in den Heimatländern der Angeworbenen ausgebildetes Personal fehlt. Das Thema der globalen, gesellschaftlich definierten Verantwortung ist auch im Bereich Gesundheit und Pflege mehr als eine Floskel. Die Forscher der Studie verweisen in diesem Zusammenhang auf Schweden, wo man vor allem darauf setzt, bereits im Land lebende Migrantinnen und Migranten im Pflegebereich zu qualifizieren. Auch hierzulande müsse dem Thema Ausbildung, Weiterentwicklung und Weiterbildung mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden.

Und das möglichst schnell, denn der Hashtag „pflegebrennt“ wird jeden Tag mit neuen Beispielen gefüllt. Sie malen eine Zukunft mit Pflegebedürftigkeit in düsteren Farben.