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Starke Lobby in schweren Zeiten

Die Pandemie, der Ausbau der Homeoffice-Optionen, New Work-Modelle und nicht zuletzt die Auswirkungen der Energiekrise auf die Arbeitsabläufe: Betriebsräte hatten in den vergangenen Jahren mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Eine Studie zeigt: Vieles gelang ihnen gut.

Von Annett Kschieschan
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In den vergangenen Jahren mussten in den Betriebsräten viele neue Debatten geführt werden. Das Interesse an Mitbestimmung ist dennoch gestiegen.
In den vergangenen Jahren mussten in den Betriebsräten viele neue Debatten geführt werden. Das Interesse an Mitbestimmung ist dennoch gestiegen. © AdobeStock

Alle vier Jahre werden in Deutschland Betriebsräte gewählt. In diesem Jahr war es wieder soweit. Und für die meisten der Männer und Frauen, die für einen Betriebsrat kandidiert haben, dürfte klar gewesen sein: Leicht wird der Job wohl nicht. Die letzten Jahre brachten viele Herausforderungen für Betriebsräte mit sich. Die Pandemie, der auch dadurch bedingte Ausbau der Homeoffice-Optionen, das steigende Interesse an New Work-Modellen und ganz aktuell die Auswirkungen der Energiekrise auf die Arbeitsabläufe in vielen Unternehmen haben viele Fragen aufgeworfen, deren Antworten nicht zuletzt durch die Betriebsräte oft im Sinne der Beschäftigten ausfielen. Zu diesem Schluss kommt eine wissenschaftliche Untersuchung der Osnabrücker Wirtschaftssoziologen Hajo Holst und Steffen Niehoff. Basis dafür war der sogenannte Arbeitswelt-Monitor „Arbeiten in der Corona-Krise“. Dafür wurden insgesamt mehr als 7.000 Beschäftigte befragt. Sie gaben mehrheitlich an, sich während der Corona-Krise recht gut von ihren Betriebsräten vertreten gefühlt zu haben. Nur etwa ein Fünftel der Befragten sah die Arbeit der Beschäftigtenvertreter eher kritisch.

Insgesamt gab es mehr Lob von Menschen in technischen Berufen. Besonders skeptisch zeigten sich Menschen im Dienstleistungssektor und hier vor allem die höher qualifizierten Mitarbeiter.Zu den abgefragten Kriterien gehörte unter anderem, ob die Betriebsräte ein offenes Ohr für die Sorgen der Beschäftigten haben und auch in deren Sinne handeln. Das insgesamt positive Ergebnis der Befragung kann nach Aussage der beiden Wissenschaftler durchaus Mut machen. „Positive Mitbestimmungserfahrungen“ dürften demnach nachwirken damit potenziell auch das Interesse an der Betriebsratsarbeit erhöhen. Laut dem IAB-Betriebspanel hatten zu Beginn der Corona-Krise sachsenweit nur acht Prozent aller Betriebe einen Betriebs- oder Personalrat. Bundesweit gab es in rund jeder zehnten Firma, die einen Betriebsrat haben könnte, ein solches Gremium. 41 Prozent der Arbeitnehmer im Westen und 36 Prozent im Osten werden von Betriebsräten vertreten.

Mehr Interesse an Mitbestimmung

Grundsätzlich können alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen einen Betriebsrat gründen. Im Betrieb müssen mindestens fünf aktiv Wahlberechtigte beschäftigt sein, davon drei auch passiv wahlberechtigt. Aus wie vielen Personen ein Betriebsrat besteht, hängt dabei von der Größe des jeweiligen Betriebs ab und ist im Betriebsverfassungsgesetz klar geregelt. Sachsens Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Dulig hatte zu Jahresbeginn mit Blick auf die anstehenden Betriebsratswahlen für die betriebliche Mitbestimmung geworben. „Überall dort, wo es einen Betriebsrat gibt, sind die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten besser. Betriebsräte sind Teil einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft, sichern die Ordnung im Betrieb und garantieren Mitbestimmung auf Augenhöhe“, so Dulig.

Fakt ist aber auch: Die Herausforderungen dürften im neuen Jahr nicht kleiner werden. Corona sorgt nach wie vor für oft längere krankheitsbedingte Ausfälle und durch LongCovid für besondere Herausforderungen bei der Wiedereingliederung. Die Inflation und die Energiekrise setzen viele Branchen wirtschaftlich unter Druck. Ab Januar 2023 gilt für große Unternehmen außerdem das Lieferkettengesetz. Auch das wird ein Thema für die Betriebsräte sein. Unternehmen müssen nicht nur in Deutschland, sondern auch in jenen Ländern, aus denen sie Teile ihrer Produkte oder einzelne Dienstleistungen beziehen, auf die Einhaltung der Beschäftigtenrechte achten. Mindestlöhne und ein Verbot von Kinder- oder Zwangsarbeit sind hier wichtige Themen.

Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen mit wenigstens 3000 Beschäftigten, die Einhaltung grundlegender Regeln in der Wertschöpfungskette sicherzustellen. Ein Jahr später könnte diese Verpflichtung auf Unternehmen ab 1000 Beschäftigten ausgedehnt werden. Das bedeutet auch, dass Betriebe aktiv Strukturen aufbauen müssen, mit denen sie diesen Verpflichtungen nachkommen können. Wie das konkret funktionieren soll und inwieweit Mitbestimmungsmodelle in den deutschen Stammbetrieben beispielgebend für den Umgang mit Zulieferern etwa aus Osteuropa oder Fernost sein können, dürfte auch die Betriebsräte beschäftigen.

Motiviert sind die Vertreter der Beschäftigten offenbar auch in Krisenzeiten. Die Wahlbeteiligung bei den diesjährigen Betriebsratswahlen lag mit 72 Prozent „deutlich über der vergleichbarer politischer Wahlen“, hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) im Sommer konstatiert und daraus auch mehr Lust auf Mitbestimmung abgeleitet.