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„Inklusion ist der Weg“

Menschen mit Behinderungen können und wollen oft berufstätig sein. Doch häufig finden Bewerber und Firmen nicht zusammen, scheuen Arbeitgeber den vermeintlich hohen Aufwand. Eine Diskussionsrunde in Dresden zeigte jetzt, wo es Hilfe gibt und dass viele Wege zum Ziel führen.

Von Annett Kschieschan
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Langsam zurück ins Arbeitsleben: Bei der Gut Leben gGmbH in Bannewitz trainieren Betroffene unter anderem typische Verkaufssituationen.
Langsam zurück ins Arbeitsleben: Bei der Gut Leben gGmbH in Bannewitz trainieren Betroffene unter anderem typische Verkaufssituationen. © Gut Leben gGmBH

Plötzlich steht die Welt still. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Alle Pläne, alle Ziele – unwichtig geworden von jetzt auf gleich. 21 Jahre alt war die junge Frau, als das Leben die Stopp-Taste drückte. Nach einem schweren Unfall auf dem Weg zur Uni, vermutlich bedingt durch Blitzeis, lag die Studentin im Koma. Sie erwachte wieder, aber danach war alles anders. „Ich musste alles neu lernen – essen, schlucken, sprechen...“, erzählt sie heute in einem bewegenden Video – wohl wissend, dass es ein unfassbares Glück war, dass sie diese zweite Chance auf Leben bekam. Die Folgen des schweren Unfalls sieht man ihr nicht an, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz im Büro sitzt, am PC arbeitet, sich mit den Kollegen unterhält. Trotz ihrer schweren Behinderung arbeitet die ehemalige BWL-Studentin heute als Bürokauffrau.

Ihre Geschichte zeigt, wie sie aussehen kann, die ganz selbstverständliche Inklusion behinderter Menschen ins Arbeitsleben. Und sie zeigt auch, wie passgenaue und lebensnahe Hilfe individuelle Berufswege möglich machen kann. Susanne Beckert und ihr Team kennen viele solcher Wege. In der Gut Leben gGmbH in Bannewitz bei Dresden bereiten sie Menschen mit sogenannten erworbenen Behinderungen durch gezieltes Training auf ihre Rückkehr in die Arbeitswelt vor. „Oft sind es Krankheiten, zum Beispiel Schlaganfälle, oder eben schwere Unfälle, die das Leben der Betroffenen für immer verändern“, weiß Susanne Beckert. Gibt es dann noch eine Chance auf eine berufliche Zukunft? Und wie findet man einen Job, wenn man nicht mehr alles so kann wie vorher? Diese Fragen standen im Fokus einer Diskussionsrunde, zu der die Gut Leben gGmbH gemeinsam mit IHK und HWK, dem Kommunalen Sozialverband Sachsen, dem Dienstleistungsnetzwerk support für KMU, der AWO Sonnenstein gGmbH und der Personalkanzlei Hindenburg nach Dresden eingeladen hatte.

Denn Fragen gibt es beim Thema Inklusion nicht nur auf der Seite der unmittelbar von einer Behinderung Betroffenen. Auch viele Arbeitgeber sind unsicher, wenn es darum geht, Schwerbehinderte einzustellen oder mit Mitarbeitern richtig umzugehen, die nach einer Krankheit oder einem Unfall nicht mehr wie gewohnt einsetzbar sind. So wie der Bauarbeiter, der 36 Jahre in seiner Firma hart gearbeitet hat, nun aber aus gesundheitlichen Gründen eher eine Gefahr für sich und andere auf der Baustelle darstellt. Der Arbeitgeber will helfen, scheitert aber an bürokratischen Hürden und unklaren Zuständigkeiten. Andere Betriebe würden gern einen behinderten Mitarbeiter einstellen, wissen aber nicht, wie hoch der Aufwand dafür tatsächlich ist.

Gemeinsam geht alles besser. Das gilt für das Training in der Werkstatt und für den Neustart ins Berufsleben.
Gemeinsam geht alles besser. Das gilt für das Training in der Werkstatt und für den Neustart ins Berufsleben. © Gut Leben gGmBH

„Wer schwerbehindert ist, ist unkündbar, weniger leistungsfähig, hat mehr Urlaubstage und fällt zusätzlich noch öfter krankheitsbedingt aus“. So in etwa fällt die Einschätzung zum Thema oft aus, weiß Simone Hindenburg von der gleichnamigen Personalkanzlei. Sie engagiert sich seit Jahren für die Integration behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt, hat dafür die Ausbildungsmesse der Vielfalt in Dresden ins Leben gerufen, bei der Jugendliche mit Behinderung die passende Lehrstelle finden können. Und sie weiß auch: Vieles sind einfach Vorurteile. Statistiken zeigen zum Beispiel, dass behinderte Mitarbeiter längst nicht häufiger krank werden als ihre Kollegen. Und einen Arbeitsplatz behindertengerecht zu gestalten, sei meistens nicht so kompliziert wie gedacht. Inklusion werde oft als fernes, schwer erreichbares Ziel definiert. „Aber eigentlich ist Inklusion der Weg“, so Simone Hindenburg.

Ein Weg, auf dem es in Sachsen viel Hilfe gibt. Einige Möglichkeiten wurden bei der Veranstaltung in Dresden vorgestellt. So unterstützt das Integrationsamt beim Kommunalen Sozialverband Sachsen bei nahezu allen Fragen, mit denen sich potenzielle Arbeitgeber behinderter Menschen konfrontiert sehen. Zum Beispiel bei der Schaffung entsprechender Ausbildungs- und Arbeitsplätze, aber auch bei der Vermittlung von Praktika. Letztere sind oft entscheidend, wenn es darum geht, festzustellen, ob Bewerber und Firma zusammenpassen könnten. Auch Zuschüsse für die Einrichtung behindertengerechter Arbeitsplätze und die konkrete Hilfe des technischen Beratungsdienstes vor Ort sind möglich. Und für Seminare, bei denen die anderen Mitarbeiter im Sinne der Inklusion geschult werden, gibt es ebenfalls Unterstützung. „Die Möglichkeiten sind wirklich vielfältig“, betont Birgit Frick vom Integrationsamt beim KSV Sachsen. Seit 2022 haben es Arbeitgeber dank einheitlicher und sachsenweit vernetzter Anlaufstellen bei der „support Arbeitgeberberatung“ leichter, sich Hilfe zu holen.

Das Interesse daran wächst, das zeigte auch die Diskussionsrunde in Dresden. „Wir würden sehr gerne behinderte Menschen einstellen, wissen aber nicht, wo wir sie überhaupt finden sollen“, so die Mitarbeiterin einer Dienstleistungsfirma. Dass die Ansprache über klassische Stellenanzeigen nicht funktioniert, haben auch andere Unternehmen festgestellt. Nicht zuletzt, weil Interessenten dort vor allem lesen, was von ihnen gefordert wird. Acht-Stunden-Tage, Führerschein, diverse Abschlüsse – das schreckt vor allem die ab, die trotz fachlicher Kompetenz durch Krankheit oder andere Einschränkungen nicht mehr so belastbar sind wie früher. Der Tipp der Experten: Neue Wege gehen, die Wünsche der potenziellen Mitarbeiter abfragen, die Türen zum Kennenlernen öffnen und auf Mundpropaganda setzen. Denn wer inklusiv arbeitet, spricht sich herum.Dr. Wolfram Kritzner hat viele dieser Tipps längst beherzigt. Der Geschäftsführer der IWB GmbH Bannewitz hat schon mehrere Menschen mit Schwerbehinderung eingestellt, sie tragen heute Verantwortung, sind fest im Team integriert. „Bei uns gilt zum Beispiel: Mitarbeiter werben Mitarbeiter“, erzählt er bei der Diskussionsrunde in Dresden. Das Miteinander sei entscheidend. Das hat das Unternehmen sogar in sein Leitbild aufgenommen. Die Firma aus Bannewitz setzt auf die eigene Erfahrung, aber auch auf Partner wie die Gut Leben gGmbH.

Gemeinsam geht alles leichter – das ist beim Thema Integration keine Plattitüde. Die Veranstaltung wollte Unternehmern Mut machen, selbst aktiv zu werden. Angesichts des teilweise längst dramatischen Fachkräftemangels dürfte die Bereitschaft dazu weiter steigen. Eine Win-win-Situation für beide Seiten. Sächsische Betriebe brauchen kompetente Mitarbeiter, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und Menschen mit Behinderungen brauchen oft nur eine Chance, zu zeigen, was sie trotz ihrer Einschränkungen können. Damit das Leben auch nach der Stopp-Taste weitergehen kann.