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Mehr Mut zur Lücke

Bis ins Detail durchgetaktete Lebensläufe galten noch vor wenigen Jahren als Voraussetzung für eine Karriere. Inzwischen sehen viele Unternehmen biografische Umwege sogar als Vorteil – solange sie offen kommuniziert werden.

Von Annett Kschieschan
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Wie kaschiert man Lücken im Lebenslauf? Oft gilt: Am besten gar nicht. Viele Unternehmen sehen Umwege nicht mehr unbedingt als Nachteil.
Wie kaschiert man Lücken im Lebenslauf? Oft gilt: Am besten gar nicht. Viele Unternehmen sehen Umwege nicht mehr unbedingt als Nachteil. © AdobeStock

Mut zur Lücke – aber bitte nicht im Lebenslauf! So sah man das zumindest in einem Großteil der deutschen Unternehmen noch bis vor wenigen Jahren. Bewerberinnen und Bewerber sollten mit möglichst makellosen, leicht nachvollziehbaren und auf Effizienz basierenden Biografie-Häppchen punkten. Abitur, Studium, mehrere einschlägige Praktika, vielleicht als Sahnehäubchen noch ein Auslandsjahr - an dieser Richtschnur hangelten sich Tausende Berufseinsteiger entlang – manchmal entgegen ihrer persönlichen Interessen.Die gute Nachricht: Die Bewegung im Arbeitsmarkt führt inzwischen auch hier zu einem Perspektivwechsel. Wer gut qualifiziertes Personal will, schaut zwar immer noch auf Abschlüsse und Erfahrungen, aber deutlich weniger auf einen stringenten Berufsweg.

Ehrlichkeit zahlt sich meistens aus

Warum sollte es auch interessieren, ob der Programmierer mit besten Kenntnissen in seinem Fachgebiet mit Anfang 20 einmal zwei Jahre lang in einer Kneipe gejobbt hat, anstatt ein unbezahltes Praktikum ans nächste zu reihen? Weshalb sollte eine ungeplante Auszeit aus familiären Gründen jemanden Jahre später für eine Top-Stelle disqualifizieren?

Dass auch beim Thema Lebenslauf alte Strukturen aufbrechen, ist in erster Linie zwei Umständen geschuldet – zum einen dem Fachkräftemangel, der die Verhandlungsposition der Bewerber stärkt und zum anderen die veränderten Ansprüche, mit denen besonderen die ganz jungen Arbeitnehmer ins Berufsleben starten. Für sie, die sogenannte Generation Z, ist ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit wichtig. Karriere um jeden Preis ist für viele Berufseinsteiger kein erstrebenswertes Ziel mehr.Im Ergebnis gibt es viel mehr Stationen, die früher als potenzielle Lebenslauf-Lücken galten und die heute ganz selbstverständlich aufgezählt werden. Letzteres ist entscheidend, denn auch, wenn Personalverantwortliche heute weniger Probleme mit Auszeiten in der Erwerbsbiografie von Bewerbern haben, wollen sie nicht belogen werden. Im Zweifel ist es besser, einfach zu der genommenen Auszeit zu stehen als sie unbedingt zur geplanten „Bildungsphase“ umzuetikettieren.

Eine Befragung von 500 Managerinnen und Managern im Auftrag des Personaldienstleisters Robert Half hatte bereits 2018 ergeben, dass drei Viertel aller Managementverantwortlichen in Deutschland schon einmal einen Bewerber aussortiert haben, nachdem offensichtlich falsche Angaben im Lebenslauf aufgefallen waren. Ein europäischer Spitzenwert, der so im Zuge des wachsenden Personalmangels heute wohl nicht mehr zu halten wäre, aber in der Tendenz noch immer stimmt. Ein Arbeitsverhältnis braucht Vertrauen auf beiden Seiten.„Natürlich sollten Bewerber darauf achten, sich im bestmöglichen Licht zu präsentieren. Entscheidend ist aber, dass es sich dabei um die Wahrheit handelt: Lügen fallen einem früher oder später vor die Füße. Spätestens, wenn die vorgegaukelte Erfahrung und das Fachwissen im neuen Job benötigt werden. Theoretisch kann sogar Jahre nach der Probezeit deshalb die Kündigung drohen“, so Thomas Hoffmann, Director North bei Robert Half, zu den Ergebnissen der Untersuchung.Experten raten heute zu einem professionellen, aber trotzdem entspannten Blick auf künftige Arbeitsverhältnisse. Das helfe beiden Seiten, denn Spaß macht das akribische Durchleuchten von Bewerberbiografien dann doch nur wenigen Personalverantwortlichen.

Blick über den Tellerrand

Wer offen kommuniziert – sei es zum eigenen beruflichen Werdegang, zu Gehaltsvorstellungen oder zu Weiterbildungswünschen – hat gute Chancen, auch mit mehreren Umwegen im Lebenslauf eine gute Stelle zu bekommen. Ganz nebenbei bringen Bewerberinnen und Bewerber, die persönlich wie beruflich schon einige Hürden genommen haben, auch überaus nützliche Kompetenzen mit. Ein gutes Resilienzniveau und die Fähigkeit zum Blick über den eigenen Tellerrand können dazugehören.Und so rät man auf den zahlreichen Job- und Karriereportalen inzwischen immer öfter dazu, den Lebenslauf ganz schnörkellos und klar zu formulieren, den Fokus aber auf die eigenen Qualifikationen zu legen. Genau das tun viele Unternehmen inzwischen auch.