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Neustart im Blumen-Handwerk

Die letzten Kunstblumen-Spezialistinnen in Sebnitz wurden 1989 ausgebildet. Nun sucht die Manufaktur erstmals wieder Nachwuchs – für eine Branche, die gerade auf Rekordkurs ist und noch viele Pläne hat.

Von Annett Kschieschan
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Jasmin Richter ist das aktuelle Sebnitzer Blumenmädchen und damit auch die Repräsentantin einer langen Handwerkstradition. Sie zeigt hier schon einmal, was künftig auch die Azubis in der Sebnitzer Manufaktur lernen werden.
Jasmin Richter ist das aktuelle Sebnitzer Blumenmädchen und damit auch die Repräsentantin einer langen Handwerkstradition. Sie zeigt hier schon einmal, was künftig auch die Azubis in der Sebnitzer Manufaktur lernen werden. © Steffen Unger

Die blauen Kornblumen, der rote Mohn, die weißen Margeriten – ein Blumenstrauß, der so gut zum Juni passt, wie kein anderer. Ein buntes Versprechen auf den Sommer, zart und lebensfroh, filigran und trotzdem ausdrucksstark. Dass die Kornblume, der Mohn und die Margeriten nicht echt sind, fällt dem Laien erst auf, wenn er die Blumen in die Hand nehmen oder seine Nase an die Blüten halten würde. In der Sebnitzer Kunstblumen-Manufaktur ist man stolz auf den „Echtheitsfaktor“ der eigenen Produkte. Und darauf, dass Kunstblumen aus Sebnitz noch immer weit über die Grenzen Sachsens hinaus bekannt sind. Es ist einer jener Wirtschaftszweige, die sich in der Nische behaupten und mit Qualität den Spagat zwischen Tradition und Zukunftsfähigkeit meistern.

Und genau deshalb setzt die Sebnitzer Kunstblumen-Manufaktur nun nach langer Zeit wieder auf Nachwuchsgewinnung. Die letzten Blumenmacherinnen wurden hier 1989 ausgebildet. Nach der politischen Wende brach die Nachfrage nach den klassischen Sebnitzer Kunstblumen ein, der Markt musste sich neu aufstellen. In Sebnitz versuchte man in den Folgejahren immer wieder, die Ausbildung wieder aufleben zu lassen. Auch, um das Know-how der Sebnitzer „Blümlerinnen“ zu sichern. Ein letzter Anlauf, die ursprüngliche Facharbeiterlehre gemeinsam mit der IHK noch einmal an den Start zu bringen, scheiterte. „Deswegen ist es nun an der Zeit, neue Wege zu gehen“, sagt Tina Meinert, Marketingverantwortliche der Stadt Sebnitz, die nicht von ungefähr mit dem Titel „Seidenblumenstadt“ wirbt. Der Erhalt der Kunstblumentradition ist hier sozusagen Chefsache, die Schaumanufaktur, die bis heute Touristen aus aller Welt anlockt, arbeitet unter städtischer Leitung.

Künftig können junge Leute hier entweder eine zweijährige allgemeine Verkäufer-Lehre absolvieren oder sich in drei Jahren zur Kauffrau beziehungsweise zum Kaufmann im Einzelhandel ausbilden lassen. Auch dabei ist die IHK als Partner mit im Boot. Die Inhalte orientieren sich jeweils zu etwa 80 Prozent an den ganz klassischen Lehrkonzepten für beide Berufe. „Wir werden die restlichen 20 Prozent dazu nutzen, das Blümeln, aber auch das Färben, Stanzen und Prägen weiterzugeben. Einen großen Teil der Ausbildung werden auch die Themen ‚Onlineshop‘ und ‚individuelle Verkaufsgespräche‘ einnehmen“, erklärt Lisa Schmidt, die Leiterin der Manufaktur, die Idee.

Schön wie ein Sommertag – die Kunstblumen aus Sebnitz sehen täuschend echt aus.
Schön wie ein Sommertag – die Kunstblumen aus Sebnitz sehen täuschend echt aus. © Deutsche Kunstblume

Wer seine Ausbildung erfolgreich abschließt, startet danach in ein Praxisjahr. Hier lernt der Nachwuchs dann noch einmal ganz konkret die speziellen Fertigkeiten der Kunstblumenherstellung. „Wenn alles passt und die praktischen Fähigkeiten erlernt worden, bieten wir den jungen Talenten einen mindestens 10-jährigen Arbeitsvertrag im Unternehmen an - mit der Option auf Verlängerung“, wirbt der amtierende Amtschef der Stadt Ronald Kretzschmar für einen außergewöhnlichen Beruf in einem außergewöhnlichen Arbeitsumfeld. Dazu kommt die Gewissheit, eine lange Tradition am Leben zu erhalten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Sebnitz mehr als 200 Firmen, die ihr Geld direkt oder indirekt mit der Produktion von Kunstblumen verdienten. Rund 15.000 Beschäftigte fertigten zumeist in Heimarbeit die gewünschten Blumenarrangements.

Lehre startet im September

Heute geht es der Stadt Sebnitz vor allem darum, das Wissen zum Kunstblumenhandwerk zu sichern und noch dazu jungen Menschen eine sichere Perspektive in einer kreativen Branche zu bieten. Die Sebnitzer Manufaktur beschäftigt derzeit ein Dutzend Mitarbeiterinnen, der Altersdurchschnitt liegt bei 53 Jahren. „Sollte sich kein Nachwuchs mehr finden, stirbt das Handwerk in absehbarer Zeit aus“, weiß Lisa Schmidt.

Die neue Ausbildungsoffensive soll gegensteuern. Pro Jahr könnten demnach bis zu zwei Ausbildungsplätze geschaffen werden. Los geht es im September. Eine Interessentin gibt es bereits, weitere Bewerbungen sind gern gesehen. Die Aussichten in der Branche sind gut. Die Sebnitzer Kunstblumen-Manufaktur verzeichnet derzeit Anfragen in Rekordhöhe, die nächsten Großaufträge - auch aus dem Ausland - sind bereits avisiert. Vor allem über den Onlineshop konnten die Sebnitzer „Blümlerinnen“ neue Kunden auf ihre Arbeit aufmerksam machen. Der Shop, der eher aus der Not heraus kurz nach Beginn der Corona-Pandemie vor zwei Jahren eröffnet wurde, boomt inzwischen. Das Auftragsvolumen hat sich vervielfacht. Das macht Mut für weitere Pläne. Die Sebnitzer Kunstblumen sollen vor allem international noch bekannter werden. Durch Kooperationen mit der Tourismus-Marketinggesellschaft konnten sich die Sebnitzer mit ihren Seidenblumen jüngst beim Romance Travel Forum in der Dominikanischen Republik vorstellen. Weitere Aktionen vorwiegend im englischsprachigen Raum sollen folgen.

Die Wurzeln in der sächsischen Heimat sind den Sebnitzern deshalb nicht weniger wichtig. So wird zurzeit eine neue Sonderkollektion entwickelt, die das Feld- und Wiesenblumenangebot um schutzbedürftige Blühpflanzen aus dem Nationalpark Sächsische Schweiz ergänzt. „Die vier Pflanzen sollen ihren natürlichen Vorbildern täuschend echt nachempfunden werden und nur in einer begrenzten Stückzahl vorrätig sein. Ein Teil des Erlöses der Sonderedition soll dem Naturschutz in der Region zu Gute kommen“, so Tina Meinert. 2023 wollen die Sebnitzer zudem einen Antrag auf die Eintragung des Kunstblumenhandwerks in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes einreichen.

Erst einmal freut man sich nun aber auf die Wiederaufnahme der Ausbildung in der Kunstblumen-Manufaktur. Wer sich vorab ein Bild von der Arbeit machen möchte, ist für den 10. Juli zum Tag der offenen Tür eingeladen. Auf einen Blick gibt es dort zu sehen, warum die Faszination Kunstblume in Sebnitz seit hunderten Jahren ungebrochen ist – und warum die modernen Blümlerinnen bestens für die Zukunft aufgestellt sind.

Weitere Informationen zur Ausbildung und allen Produkten gibt es hier.